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Wenn Reddit eine Seite „umarmt“, ist das vielleicht liebevoll gemeint, überfordert aber meistens deren Server.

Ein populärer Post auf dem Linkaggregator kann ungewohnt viel Traffic auf eine Seite bringen, wie etwa ABC (die australische Version) beschreibt:

When a link to an ABC News story becomes popular on Reddit – as it also did with this story about Bill Gates‘ quest to reinvent the toilet (view on Reddit) – this can have a big influence on our own most popular lists.

Even if the story is old news.

Ein Servercrash ist zwar im Prinzip unangenehm, aber gerade Medien werden sich über einen rapiden Anstieg an Klickzahlen freuen, bedeuten sie doch bares Geld. Und das ist nicht die einzige Art, wie Reddit Journalisten helfen kann.

Reddit, Platz 24 der beliebtesten Webseiten in den USA, funktioniert demokratisch: Angemeldete User reichen Links oder Text-Posts ein, andere können dem einen Up- oder Downvote verpassen. Die beliebtesten Links stehen am weitesten oben. Unzählige Foren, genannt Subreddits, widmen sich speziellen Themen – und das kann alles sein, von Star Trek über digitale Fotografie zu obskuren Videospielen der 80er-Jahre. Die Startseite stellt die stärksten Links aus einigen großen Subreddits zusammen. Dazu gehören etwa Nachrichten, Wissenschaft, Politik und natürlich Bilder von süßen Katzenbabys.

Was hat das mit Journalismus zu tun?

Traffic von Reddit

Für den Erfolg seiner Inhalte sei Reddit sehr wichtig, sagt etwa Jonathan Hunt, Global Marketing Director bei Vice. Zumindest in den USA scheinen die Verweise für die Online-Auftritte von Nachrichtenmedien immer wichtiger zu werden, schreibt Kelly McBride bei Poynter. Sie hat mit verantwortlichen Online-Redakteuren gesprochen, die von teils deutlichen Anstiegen der Besucherzahlen über Reddit-Links berichten. Es liegt also nahe, wenn auch Journalisten ihre eigenen Geschichten in den passenden Subreddits posten – aber Vorsicht: Dabei gibt es einige Fallstricke.

Jedes Subreddit hat seine eigene Kultur, und wer sich der nicht anpasst, wird ausgeschlossen. Stümperhafte Versuche, mit Links auf eigene Geschichten zu spammen, werden schnell auf Gegenwehr stoßen. Jedes einzelne Forum hat einen oder mehreren Moderatoren mit erweiterten Rechten, die einzelne User ausschließen können – und Links auf bestimmte Seiten verbieten können.

Das mussten auch große Verlagshäuser erfahren. Das News-Subreddit  ist das größte für Nachrichten, mit 2,7 Millionen Abonnenten eines der größten überhaupt und eines der standardmäßig auf der Startseite angezeigten. Kürzlich aber wurden Links auf The Atlantic in dem Forum gesperrt, wohl weil die Artikel nicht zum absoluten Anspruch des Forums auf Hard News passen. Das ist bitter: Schon 2011 schwärmte The Atlantic davon, wie viele Besucher Reddit auf die eigene Seite bringen kann. Weil aber Jared Keller, einer der Social-Media-Redakteure, allzu übereifrig tausende Links zu Artikeln des Verlags gepostet hatte, wurden Links auf diese Domains auch 2012 bereits für eine Zeitlang auf ganz Reddit gesperrt.

Die Regeln sind dabei nicht eindeutig: „It’s not strictly forbidden to submit a link to a site that you own or otherwise benefit from in some way, but you should sort of consider yourself on thin ice“, heißt es in den FAQ. „I tried to adhere to those standards, but as language like ‘thin ice’ suggests, there’s a lot of leeway in how one might interpret them“, sagte Keller dazu.

Die Lehre daraus? Wer von Reddit profitieren will, sollte sich an die Regeln halten. Hinter den positiven und negativen Bewertungen stehen echte Menschen, die sich nicht gerne ausnutzen lassen. Nur wer selbst Teil der Kultur wird, wird Erfolg mit eigenen Links haben. Victoria Taylor, Director of Communications bei Reddit, fasst die Best Practices für Journalisten auf ihrer Seite zusammen: Respektiere Nutzer, wenn du sie kontaktierst; nutze die Foren nicht aus; identifiziere dich als Journalist; informiere dich, bevor du loslegst. Letztlich sind das Regeln, die jeder Journalist auch im Alltagsgeschäft beachten sollte.

Forum für Journalisten

Natürlich hat Reddit auch ein eigenes Forum für Journalisten, die über Fragen oder Probleme ihres Berufs diskutieren können: r/Journalism. Mit nur rund 5300 Abonnenten ist es ein vergleichsweise kleines Forum, das seinen roten Faden noch nicht gefunden hat. Neben Links zu Artikeln über Medien und Journalismus sind es viele Berufseinsteiger und Interessierte, die nach Ratschlägen fragen; seltener diskutieren die Nutzer tatsächliche ethische Fragen im Subreddit selbst. Die beliebtesten Links in der Geschichte des Subreddits sind aber fast ausschließlich Links auf externe Seiten. Mit einer aktiveren Nutzerschaft gibt es aber Potenzial für umfassendere Diskussionen.

Redditors als Journalisten

In der Diskussion um Citizen Journalists, also ehrenamtliche Amateure, sollte Reddit nicht übergangen werden – auch wenn das bekannteste Beispiel für Reddit-Recherchen ein äußerst negatives ist. Nach den Anschlägen auf den Marathon in Bosten letztes Jahr gründete sich ein Subreddit, das bei der Suche nach den Tätern helfen sollte. Das führte dazu, dass einige unschuldige Menschen zu Unrecht verdächtigt wurden. Deren Bilder gelangten auch in klassische Medien.

Die breite Nutzerbasis von Reddit, die oft mit großer Hingabe bestimmte Foren besucht, bietet allerdings ein riesiges Potenzial. Gigaom vergleicht Berichte traditioneller Medien über eine Schießerei in Toronto mit der Zusammenfassung eines Nutzers, der unter anderem auf Tweets von Opfern, Zeugen und Tätern verweist und so eine einfacher verifizierbare, transparente Quellenlage zeigt. Als 2011 die Universität Virginia Tech in Blackburg komplett abgeriegelt wurde, nachdem zwei ein Unbekannter zwei Menschen erschossen hatte, berichtete ein Student auf Reddit live aus einem der Gebäude der Universität. Ebenso postete eine Nutzerin 2012, nachdem sie aus dem Kino in Aurora, Colorado gekommen war, in dem ein Mann zwölf Menschen erschossen hatte.

Das sind keine Beispiele für klassischen Journalismus. Allerdings bemühen sich einige Nutzer auch, Fakten zu checken – so etwa zur letzten amerikanischen Präsidentschaftsdebatte. Die Recherche beschränkt sich zwar auf Online-Quellen, ist aber letztlich eine Standardaufgabe für Journalisten. Im Subreddit r/PoliticalFactchecking posten Nutzer Behauptungen, die andere dann entweder widerlegen oder beweisen sollen.

Reddit-Nutzer versuchen sich aber nicht nur am Verifizieren, sondern auch am Zusammenstellen von Nachrichten. Mit einem neuen Feature etwa will Reddit seine unübersichtliche Benutzeroberfläche verbessern, um Liveblogging zu ermöglichen. Bisher ist das Erstellen solcher Update-Seiten den Administratoren vorbehalten, aber es gibt ein aktuelles Beispiel, das journalistische Qualitäten zeigt: Ein Info-Stream zum Konflikt in der Ukraine. Seit 72 Tagen können ausgewählte Nutzer darin posten: Tweets, Links, Videos. Ein anderes Beispiel ist das Subreddit r/SyrianCivilWar. Das fünfköpfige Moderatorenteam versucht hier, eine möglichst neutrale Faktenlage zum Bürgerkrieg in Syrien zu schaffen. Bilder und Videos vom Konflikt tauchen im Internet ohne Zeitverzögerung auf, anders als Kriegsberichte aus Zeiten vor dem Internet. Die Modderatoren versuchen, darüber einen Überblick zu verschaffen. „This sub hopes to foster an informed and civil discussion of the facts“, heißt es im Forum.
Auch wenn Fehler geschehen könnten, wenn es um Nachrichten und Informationen gehe, glaubt Erik Martin, General Manager von Reddit, dass die positiven Aspekte seiner Seite deutlich überwiegen. Professionelle Journalisten bräuchte es dennoch weiterhin. “But I also believe that having people participating in that news and in sharing information, I just don’t understand how that can be anything but positive.”

Reddit als Quelle

Vor zwei Jahren konnten Reddit-Nutzer etwas tun, das sonst nur höchstrangigen Journalisten vorbehalten war: Sie konnten Barack Obama Fragen stellen. Das Format „Ask Me Anything“ ist einer der Standards der Seite. Mehr oder minder interessante oder prominente Persönlichkeiten stellen sich den Fragen und Kommentaren der Community. Natürlich gelten im Vergleich zum Interview Einschränkungen: Der Interviewte kann sich aussuchen, worauf er antwortet; oft wird er viele Fragen gar nicht zu Gesicht bekommen, denn diejenigen mit den meisten Positivwertungen sind eher sichtbar als andere. Damit unterwirft sich auch das Interview der Reddit-Kultur.

Dennoch ist das ein Beispiel für das Quellenpotenzial auf Reddit, das über die freiwilligen Frage-Antwort-Runden hinausgeht. Denn in den unzähligen Subreddits zu hochspezialisierten Themen lässt sich schnell ein Interviewpartner oder eine Recherchequelle finden, wenn ein Journalist die Möglichkeiten nutzt. Doch dabei wieder wichtig: die Best Practices. Nutzer in Internetforen sind echte Menschen – wer Respekt vermissen lässt, wird keinen Ansprechpartner finden.

Fazit

Reddit hat sich als wichtiges soziales Medium etabliert. Für Journalisten bedeutet das eine Masse an Möglichkeiten, aber der Nutzen ist sicherlich auch Einschränkungen unterworfen.

  • Die offensichtliche: Reddit wird vor allem in den Vereinigten Staaten genutzt. Zwar gibt es auch einige deutsche Subreddits, deren Aktivität hält sich aber in Grenzen.
  • Zum Auffinden von Quellen ist Reddit gut geeignet, aber deren Online-Auftritt kann sich immer noch vom echten Menschen unterscheiden – soll heißen: Bevor man jemanden als Quelle oder als Experten zitiert, sollte man sicherstellen, dass er das auch ist und nicht nur online vorgibt.
  • Die große Macht der Moderatoren in den einzelnen Foren bedeutet, dass man sich deren, teils stark kritisierten, Regeln unterwerfen muss, wenn man Reddit nutzen will.
  • Ebenso kann die Gruppendynamik oder die Kultur eines Forums journalistische Arbeit erschweren.
  • Die eigenen journalistischen Gehversuche von Reddit-Nutzern sind zwar beeindruckend und können neue Wege der Berichterstattung aufweisen, sind aber noch mit vielen Fehlern behaftet – egal ob es um Recherche, Korrektheit oder Zusammenstellung geht.
  • Zur Selbstpromotion ist Reddit kaum geeignet. Den Nutzern stößt es sauer auf, wenn eigennütziger Link-Spam auffällt, und die unterschiedlichen Subreddits gehen unterschiedlich mit Quellen um. Letztlich gilt aber auch hier: Qualität setzt sich durch, und das zur Not auch ohne Hilfe von Reddit.
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Der Komiker Zach Galifianakis interviewt Barack Obama für seine Show „Between Two Ferns“ – und das Video hat alles, was ein viraler Hit im Internet braucht. Bekannte Menschen, Witz, ein absurdes Ende. Obama gibt genau die Antworten, die ihn cool erscheinen lassen: Er verweist auf Popkultur und pariert persönliche Angriffe mit persönlichen Angriffen. Am Ende fällt die absichtlich billig gemachte Kulisse, und der Zuschauer findet sich im Weißen Haus wieder.

Video: "Between Two Ferns" mit Barack ObamaAber Obamas Auftritt bei der Show, in der Galifianakis sich absichtlich rüpelhaft gibt und seinen Gästen unverschämte Fragen stellt, hatte einen Hintergrund: Der Präsident wollte für seine Krankenversicherung werben. Amerikanische Bürger können sich dort noch bis Ende März anmelden, wenn sie nicht auf die nächste Runde warten wollen. Das scheint funktioniert zu haben, wie dieser überzitierte Tweet einer Sprecherin besagt:

Obama und sein Team wissen, wie sie ihre Zielgruppen erreichen können. Schon im Wahlkampf 2008 haben Social Media zum ersten Mal eine Vorreiterrolle gespielt. Ein Politiker kann heute auf allen Kanälen aktiv sein und sein Publikum (prinzipiell) ohne Umwege erreichen. Die Umwege in diesem Fall wären die traditionellen Medien – in den USA die großen Blätter New York Times, Washington Post und Wall Street Journal und die Sender CBS, ABC, NBC und CNN. Anstatt sich deren potenziell kritischer Berichterstattung auszusetzen, gibt Obama seine Botschaften genau dort und genau so weiter, wie er möchte. Der Times hatte er zuletzt im Juli ein Interview gegeben, der Post 2009.

Die New York Times glaubt zwar nicht, dass Obama ganz auf traditionelle Medien verzichten kann, aber sein Ansatz sei vielversprechend:

Although Mr. Obama has hardly abandoned traditional set pieces like interviews with network anchors, he has been more willing than his predecessors to ditch the oh-so-serious playbook that dominated White House communications strategy for decades.

Damit gibt Obama ein Stück Persönlichkeit preis und macht sich angreifbar. Politico sah vor dem Interview düstere Aussichten für Obama: „This isn’t a ‚public relations gamble.‘ It’s betting the farm.“ Diese Einschätzung mussten das Portal allerdings zurückziehen.

Die neuen Medien bedeuten nicht nur mehr Wahlmöglichkeiten für den Rezipienten. Sie bedeuten auch mehr Wahlmöglichkeiten für das andere Ende der Berichterstattung. Wenn Politiker in ihren eigenen Medien erfolgreich sind und ihr Publikum erreichen, brauchen sie die traditionellen nicht mehr, weil sie ihre Botschaften selbst vermitteln – und kontrollieren – können.

Einige sehen das mit Besorgnis. „The growth of non-traditional media […] allows this president to pick his spots and his audiences in ways that were unthinkable even for George W. Bush“, schreibt die Washington Post. Denn wenn sich Amtsträger abschotten, können Medien ihre Aufgabe nicht mehr wie bisher erfüllen: Den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Trotzdem ist natürlich niemand direkt verpflichtet, seine Zeit mit unbequemen Fragen zu verbringen. Deswegen sind wieder einmal die Medien am Zug. Sie müssen beweisen, dass sie relevant und wichtig sind, und auch in Zeiten der Social Media nicht überflüssig. Dann muss auch der mächtigste Mann der Welt vielleicht weniger unverschämte, dafür aber wichtigere Fragen beantworten.

In Deutschland hinkt die Politik wie immer hinterher. Parteien kommen nur in Social Media vor, wenn sie peinliche Rap-Videos veröffentlichen, wenn sie Jugendslang zitieren, wenn sie auf Bildern unglücklich getroffen sind. Noch bleibt vieles Neuland.

Am Mainzer Hauptbahnhof ist nicht mehr allzu viel vom Trubel der letzten Wochen zu erkennen. Die Pendler fahren zur Arbeit, die Schüler zur Schule, die Reisenden in den Urlaub. Mit dem rheinland-pfälzischen Schulanfang ist der Verkehr weitgehend wiederhergestellt – zumindest zu den Hauptstoßzeiten.

Die Zugausfälle am Bahnhof haben sich innerhalb weniger Wochen von einer mittelgroßen Provinzposse zu einem bundesweiten Thema entwickelt. Das Thema hat aber auch gezeigt, wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. Die PR der Bahn selbst lief nur schleppend an, setzte aber schließlich fast alle Mittel ein. Je offensichtlicher die Bedeutung des Themas wurde, um so mehr Politiker meldeten sich zu Wort – und suchten munter Schuldige. Die Deutsche Bahn ist direkt verantwortlich für ihren Verkehr und deswegen ein klares Angriffsziel. Die Kritik wich aber schnell ab vom eigentlichen Thema und weitete sich zu einer Suche auch nach politischer Verantwortung aus.

Die Geschichte vom Bahnhof einer Landeshauptstadt zeigt, wie viele Organisationen von einem solchen Thema betroffen sein können: Mit der Bahn und ihren Sub-Konzernen das verantwortliche Eisenbahnbundesamt und damit das Bundesverkehrsministerium, also die Bundesregierung, als Eigentümer der Bund und damit wiederum die Bundesregierung, die Bundesnetzagentur, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Fahrgastverbände, die rheinland-pfälzische Landesregierung, die über Verkehrsverbände den Verkehr bestellt, Oppositionspolitiker, die Wahlkampf machen – und zu guter Letzt die Pendler, Schulkinder und Reisenden, die unmittelbar betroffen sind. Das bedeutet: Für jeden Interessenten gibt es eine große Auswahl an potenziellen Zielen für Kritik. Die vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten bedeuteten aber auch ein Informations-Hickhack, das nur schwer zu überblicken war.

In etwa geht die Geschichte so:

Am 1. August, einem Donnerstag, entgingen zwei S-Bahnen am Mainzer Hauptbahnhof nur knapp einem Zusammenstoß. Am Abend lief der Verkehr wieder an, doch dann folgte die Ankündigung der Bahn auf ihrer Website: Eine Woche lang solle abends und nachts der Verkehr weitgehend ruhen. Mit dem Vorfall habe das nichts zu tun, sagten sowohl Bahn als auch EVG. In der Ankündigung aber nannte die Bahn erstmals den Grund für die Ausfälle: Wegen eines unvorhersehbar hohen Krankenstandes in der Urlaubszeit könne sie das Stellwerk nicht ausreichend besetzen. Genaue Zahlen wurden nicht genannt – auch die Zahl der 15 Fahrdienstleiter, die im Werk arbeiten, fiel erst in der Woche darauf. Der Konzernbevollmächtigte der DB für Rheinland-Pfalz und das Saarland, Jürgen Konz, nannte am darauffolgenden Mittwoch (7. August) nur relative Zahlen: Der Krankenstand betrage über 30 Prozent.

Konz war nach Bad Kreuznach ins westliche Rheinhessen gekommen, um mit der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner über die Renovierung des Bahnhofs in ihrem Wahlkreis zu sprechen. Mainz war dabei nur Thema am Rande. Hier aber bestätigte erstmals ein Bahn-Mitarbeiter, dass es mit den Ausfällen keinesfalls nach einer Woche vorüber sei. Mindestens eine weitere Woche sei mit den Problemen zu rechnen, sagte Konz.

Klöckner nutzte den Anlass, einen Brief an Bahnchef Rüdiger Grube anzukündigen – einen von vielen, die auf seinem Schreibtisch landen sollten. Noch am selben Tag wurde das ganze Ausmaß bekannt: Bis Ende August sollten Züge ausfallen, sogar tagsüber. Die Information kam aber nicht von der Bahn, sondern vom Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Süd (ZSPNV Süd), der den Nahverkehr auf Gleisen in der Region bestellt. Die DB Netz hatte den Verband angerufen und ihn informiert.

Am nächsten Tag gab die Bahn nach fast einer Woche Unsicherheit dann die erste, kurzfristig angekündigte Pressekonferenz in einem Hotel in Mainz. Der Vorstandsvorsitzende der DB Netz, Frank Sennhenn, bestätigte hier offiziell die Angaben des ZSPNV Süd und entschuldigte sich bei den Fahrgästen. Ihm seien die Hände gebunden, denn Fahrdienstleiter bräuchten mindestens drei Monate für eine Ausbildung in einem speziellen Stellwerk – zu groß seien die lokalen Besonderheiten. Selbst weitere Ausfälle im September könne er nicht ausschließen.

Die Reaktionen folgten prompt. Gewerkschaft, Fahrgastverbände und vor allem Politiker kritisierten die Bahn harsch. Der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) kündigte an, zu einem Runden Tisch einzuladen, um die Probleme zu besprechen. In der Zwischenzeit muss die Bahn hektisch an einer Übergangslösung gearbeitet haben: Nach dem Runden Tisch bei Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und dutzenden anderen Teilnehmern am Dienstag (13. August) konnte sie einen Plan vorlegen, der die Lage entschärfen soll. Ein Fahrdienstleiter war aus dem Urlaub zurückgekommen – genug, um von den angekündigten harschen Einschnitten im Verkehr zurückzurudern. Außerdem beginne die Bahn mit der Ausbildung zusätzlicher Fahrdienstleiter und -helfer. Lewentz zeigte sich enttäuscht, dass kein Vertreter der Bundesregierung an der Besprechung teilgenommen hatte.

Das Thema war aber mittlerweile wenigstens in den obersten Sphären der Deutschen Bahn angekommen. Rüdiger Grube hatte seinen Urlaub abgebrochen – und persönlich Mitarbeiter des Mainzer Stellwerks angerufen, um zu fragen, ob sie es ihm gleichtun wollen. Ausdrücklich habe er ihnen einen Tag Bedenkzeit für ihre Antwort gelassen. Und nachdem am Mittwoch in Frankfurt EVG und Personalvorstände der Bahn über mittel- und langfristige Änderungen der Personalpolitik sprachen, besuchte Grube das Stellwerk in Mainz – unangekündigt. Lediglich die „Bild“ konnte am nächsten Tag Fotos von der Stippvisite vorweisen. Am Sonntag (18. August) schließlich meldete sich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zu Wort. Er versprach, einen Teil der Dividende, die die Bahn jedes Jahr an den Bund abzutreten hat, wieder in das Netz zu investieren.

Zum Schulbeginn in Rheinland-Pfalz an diesem Montag lief der Verkehr halbwegs geregelt. An den verbliebenen Wochenenden im August soll sogar der reguläre Fahrplan gelten, ab September soll die Lage insgesamt wieder normal sein. Für die Kunden der Bahn war und ist die Episode noch ärgerlich. Für die Politik aber war und ist sie Anlass zum Wahlkampf.

Ein grober Überblick:

Lewentz (SPD) kritisierte Bundesregierung (CDU/FDP). Klöckner (CDU) kritisierte die Landesregierung (SPD/Grüne) und Peer Steinbrück (SPD) als vorherigen Finanzminister, der die Dividende der Bahn verteidigt habe – auch wenn die Dividende nicht das Problem sei. Rainer Brüderle (FDP) forderte den Börsengang der Bahn. Steinbrück forderte den Bund auf, die Dividende zu überprüfen. Renate Künast (Grüne) kritisierte die Bahn für ihre Entschädigungspolitik. Bei der Sondersitzung des rheinland-pfälzischen Innenausschusses am Montag (19. August) kritisierten sich die Fraktionen wiederum gegenseitig: SPD und Grüne forderten Klöckner auf, ihren bundesweiten Einfluss (gemeint ist wohl ihr Amt als CDU-Vizechefin) zu nutzen, bei der Lösung des Problems zu helfen. Klöckner wiederum kritisierte die Landesregierung, sie sei nicht entschieden genug vorgegangen, um eine Lösung des Problems zu fordern. Darüber hinaus solle Lewentz als Innenminister Lehren aus der Personalpolitik der Bahn ziehen – für die Polizei im Land.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schließlich ließ gewohnt abperlen: „Es geht jetzt erst mal darum, dass ausgebildetes Personal da ist und dass man daran arbeitet, diese Personaldecke so auszustatten, dass auch in Krankheits- und Urlaubsfällen nicht jedes Mal Tausende von Menschen leiden müssen“, sagte sie vergangene Woche.

Kleiner Disclaimer: Ich habe in den vergangenen Wochen für die dpa über das Thema Zugausfälle am Mainzer Hauptbahnhof geschrieben.

Bewaffnete in Schulen, Reparatur der kaputten Kategorisierung von Geisteskranken, strafrechtliche Verfolgung von Kriminellen mit Schusswaffen – das ist die Antwort des Vorsitzenden der National Rifle Association auf die Morde von Newtown. Damit weist Wayne LaPierre einen Ruf zurück, der immer lauter wird – dem nach universellen Background-Checks beim Waffenkauf, also der Überprüfung von Krankengeschichte und Führungszeugnis. Bisher ist das System uneinheitlich, beim privaten Verkauf von Waffen ist überhaupt keine Überprüfung vorgeschrieben. LaPierre nennt die Überprüfungen eine Idee, die logisch erscheint, aber nicht funktioniert: Das Problem seien Kriminelle mit Waffen – und die fielen sowieso aus dem System.

Allein: 2007 gab es zwischen 15.000 und 19.000 Unfälle mit Schusswaffen in den USA – 600 Menschen starben, ganz ohne Einwirken von Kriminellen. Die öffentliche Unterstützung für strengere Regulierung von Waffen ist überwältigend. LaPierre selbst nannte 1999 nach dem Schulmassaker in Columbine die Überprüfungen ein gutes Mittel gegen Waffengewalt. Und doch ist es nicht einfach, angesichts von zig Millionen Waffenbesitzern die Gesetze zu ändern – allein schon aus politischer und kommunikativer Sicht. Die Strategie des Weißen Hauses ist nun, sich ganz auf halbautomatische Sturmgewehre, große Munitionsmagazine und die Background-Checks zu konzentrieren. Gegen einfache Handfeuerwaffen oder Sportgewehre kann oder will Barack Obama nichts tun.

Und um sich vom Vorwurf der Voreingenommenheit gegenüber Waffenbesitzern zu befreien, zelebrieren der Präsident und sein Vize jetzt die Waffenkultur. Joe Biden sprach in einem Interview von Schrotflinten als hervorragende Verteidigung für das Haus, Barack Obama sprach von seiner Passion fürs Sportschießen. Diese politischen Schachzüge sollen die Verschärfung von Waffengesetzen legitimieren – und bedienen in gewisser Weise die Argumentation der NRA. Denn anstatt die Notwendigkeit des Waffenbesitzes im Allgemeinen in Frage zu stellen, zielen Obama und Biden auf die altgediente Masche „aufrechter, gesetztestreuer Bürger“ ab. Ein guter Amerikaner wisse mit seiner Waffe umzugehen – und ist der einzige, der einen böswilligen Menschen mit einer Waffe aufhalten kann. Das sagt zumindet der NRA-Vorsitzende und begründet damit seine Forderung nach Bewaffneten an Schulen. Was er nicht erwähnt: Auch an der Columbine Highschool gab es zwei Wachmänner mit Schusswaffen. Trotzdem konnten die zwei Attentäter zwölf Menschen töten.

Die NRA könnte indes den Anschluss an ihre eigenen Mitglieder verloren haben, von denen drei Viertel strengere Regeln für den Waffenkauf befürworten. Eine Minderheit der Waffenbesitzer scheint aber beunruhigt. Das zeigt sich an Aktionen, die für europäische Verhältnisse grotesk wirken: Beim „Gun Owners Support Starbucks Day“ etwa wollen sie mit offener Waffe im Café sitzen – weil Starbucks das Tragen von Waffen nicht prinzipiell verbietet. An den kommenden Gesetzen werden sie so nichts ändern können. Joe Biden sah schon zu Beginn seiner Gespräche mit Interessenvertetern im Januar Offenheit für die Regelungen.

 

Die Vereinigten Staaten werden in absehbarer Zeit keinen Todesstern bauen.

Barack Obama hatte zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2009 versprochen, seine Regierung so transparent wie möglich zu machen. Ein Teil davon war die Einrichtung einer Petitionenwebsite, über die Bürger die Bundesregierung der Vereinigten Staaten ansprechen können. Auf petitions.whitehouse.gov muss eine neue Petition in 30 Tagen nach der Einreichung 150 Unterschriften sammeln, um in den Suchergebnissen der Website aufzutauchen. Wenn das erreicht worden ist, muss die Petition in 30 weiteren Tagen 25.000 Unterschriften sammeln, damit die Bundesregierung verpflichtet ist, darauf zu antworten. Auf der Seite verspricht sie eine „zeitnahe“ Antwort – das scheint aber der Definition der Regierung überlassen zu sein.

Die Petition vom 14. November 2012, die die Regierung auffordert, einen Todesstern zu bauen, hat etwa 34.000 Unterschriften erreicht. Die Antwort ist charmant geschrieben und gespickt mit Referenzen zu den Star Wars-Filmen. Das wird die Unterzeichner und die Star Wars-Fans gleichermaßen freuen, zeigt aber auch ein Problem mit der Weise, wie die US-Regierung mit den Petitionen umgeht.

Diese Spaßpetition war eine willkommene Einladung, gute PR zu betreiben. Während die Antwort auf die tatsächlichen Forschungserfolge der NASA hinweist und um Interessierte wirbt, bleiben ernsthafte Petitionen mit wichtigeren Anliegen unbeantwortet. Unter den beliebtesten Petitionen sind viele, die mehr als doppelt so viele Unterschriften haben wie die Todesstern-Anfrage. Viele sprechen von großem Misstrauen der Obama-Regierung gegenüber – so etwa die Petition, die Wahlstimmen der letzten Präsidentschaftswahl neu zu zählen. Sie stammt vom 10. November 2012 und hat fast 70.000 Unterschriften – aber noch keine Antwort. Ebenso haben Bürger aus 30 Staaten als Reaktion auf Obamas erneuten Wahlsieg Petitionen eingereicht, ihre Staaten vom Bund abzutrennen. Obwohl das juristisch Unsinn ist, ist Schweigen keine gute Antwort auf Forderungen, die von Zehntausenden unterschrieben worden sind.

Das „We The People“-Programm könnte so zum schlechten Scherz werden. Natürlich gibt es einige fundierte, konstruktive Vorschläge, wie das Einstufen der ultrakonservativen Westboro Baptist Church als „Hate Group“, das Kennzeichnen von genetisch veränderten Nahrungsmitteln oder das Anerkennen von Gebärdensprache als Unterrichtssprache. Viele nutzen das Petitionensystem aber als Plattform für Partikularinteressen, oft als Reaktion auf kurzlebige Berichterstattung über Reizthemen. So gibt es die Petition zur Einrichtung des von der National Rifle Association geforderten Programms für bewaffnete Wachen an Schulen oder die Petition, den britischen Journalisten Piers Morgan aus den USA auszuweisen, weil er sich gegen Waffenrechte ausgesprochen hat.

Diese Petition, die in drei Wochen mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt hat, hat die Regierung aber auch beantwortet. Die Antwort wiegt den Zweiten Zusatzartikel zur Verfassung, der das Tragen von Waffen erlaubt, mit dem Ersten auf, der die Meinungsfreiheit garantiert. Das kann die Regierung aber nur schlecht als sympathische PR-Aktion einsetzen. Der Antrag, die Westboro Baptist Church als Hate Group einzustufen, hat indes mehr als 300.000 Unterschriften – aber noch keine Antwort.

Update, 16.1.:

Ab sofort muss eine Petition 100.000 Unterschriften sammeln, damit die Regierung darauf antworten muss. Dieser Schritt wird mit dem stark erhöhten Nutzeraufkommen begründet.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – aber Gold hat der Papst genug. Deswegen redet er auch, selbst wenn er es lassen sollte. Seine Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag am 1. Januar tut jedenfalls wenig, um Frieden zu stiften. In ihr warnt er vor Gleichstellung der Homo-Ehe mit der zwischen Mann und Frau – mit der Begründung, das sei eine „Beleidigung der Wahrheit des Menschen, eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit und des Friedens“.

Aber wo sieht Ratzinger den Unterschied einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau und der Ehe zwischen einem Mann und einem Mann? Bei sinkenden Geburtsraten kann die Begründung nicht mehr lauten, die Förderung der „traditionellen“ Ehe würde dem Schrumpfen der Bevölkerung entgegenwirken. Nein, diese „radikal anderen Formen der Verbindung“ sei unnatürlich, sagt der Papst. Damit leugnet er gesellschaftliche Realitäten, die nicht in das jahrtausendealte Weltbild der katholischen Kirche passen. Dass es Homosexualität gibt, ist Fakt. Sie ist tatsächlich „eingeschrieben in die menschliche Natur“, anders als die engstirnige Auslegung von Ehe, die der Papst vertritt.

Überhaupt ist das Argument der Widernatürlichkeit nichtig. Bei über 1500 Tierarten haben Forscher homosexuelles Verhalten nachgewiesen. Der Mensch ist nur ein weiteres Wesen, das dieses Verhalten zeigt. Die katholische Kirche versucht hier also nur, mit pseudowissenschaftlichen Argumenten zu überzeugen. Das allein ist schon ein Zugeständnis an eine Gesellschaft, die eine Position der spirituellen Autorität nicht mehr fraglos hinnimmt. Allerdings haben Intellektuelle des 19. Jahrhunderts auch versucht, Rassismus wissenschaftlich zu untermauern – was nach modernen Erkenntnissen unhaltbar ist.

Dass die Ehe in einer Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt, lässt sich nicht leugnen. Aber auch das ist nicht die Art der Ehe, von der Ratzinger spricht. Denn wo er die Eheschließung vor einem Priester seiner Kirche und die Verbindung zur Glaubensgemeinschaft meint, ist die gesellschaftliche Relevanz eine andere: Sie wird bestimmt vom Staat, der Verheirateten besondere Vorteile und Privilegien garantiert – aber auch nur, wenn der Staat, das heißt ein Standesbeamter, die Ehe schließt. Ein kirchliches Ritual ist dazu nicht nötig, viele Ehepartner sparen es sich. Bei 34 Prozent Konfessionslosen in Deutschland ist das auch nicht verwunderlich. Die Ehe, von der der Papst spricht, ist so oder so ein Auslaufmodell – ob Homosexuelle heiraten können, tangiert sie gar nicht.

Dass der Einsatz der katholischen Kirche gegen die gesellschaftliche Anerkennung von Homosexuellen „überkonfessionell“ sein soll, ist dann nur ein verzweifelter Versuch, die eigenen Vorurteile zu rechtfertigen. Der Papst will hier die bequemen Schuhe des Märtyrertums anziehen: Er behauptet, seine Kirche sei ein einsamer Vorstreiter für menschlichen Frieden, ohne dass das etwas mit den eigenen Überzeugungen zu tun hätte.

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kirche das öffentliche Leben und die Sozialgemeinschaft diktiert hat. Ratzingers Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag hat nur oberflächlich etwas mit Frieden zu tun. Allein aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit sind die Aussagen des Papstes aber interessant. Denn heute muss sich die Kirche bemühen, ihre Relevanz zu erhalten. Sie wird es nicht schaffen, indem sie sich gegen die Liberalisierung der Gesellschaft stellt. Nach repräsentativen Umfragen sind vier von fünf Deutschen für die Gleichstellung der Homo-Ehe. Bei 25 Millionen Katholiken in Deutschland muss es dort zwangsweise eine Schnittmenge geben. Wenn also selbst die eigenen Schäfchen widersprechen, ist das das deutlichste Zeichen, dass sich die Kirche ändern muss – oder untergehen wird. Diskriminierung hat der Mann auf dem goldenen Thron wohl nie hinnehmen müssen.

Der Mord an 27 Menschen in Newtown, Connecticut, entzündet in den USA gerade eine Debatte, die es oft gibt, die aber nie lange dauert. Nach jedem ähnlichen Vorfall, sei es in Aurora, an der Virgina Tech oder an der Columbine High School, wird der Ruf nach strikterer Regulierung von Handfeuerwaffen laut. Sofort danach verteidigen die Waffenanhänger ihre Überzeugung – mittlerweile tun sie es teils sogar proaktiv.

Politisch ändert sich aber nichts. Das Recht der Amerikaner, Waffen zu tragen, ist im zweiten Zusatzartikel zur Verfassung verankert:

A well regulated militia, being necessary to the security of a free state, the right of the people to keep and bear arms, shall not be infringed.

Milizen können inoffiziell oder als National Guards organisiert sein können. Dass sich das Recht, Waffen zu tragen, nicht nur auf sie bezieht, hat der Supreme Court in den letzten Jahren bestätigt.

Die Lobbygruppe der Waffenträger ist die National Rifle Association. Daher steht sie bei Vorfällen wie in Newtown jedes Mal im Kreuzfeuer der Kritik – dieses Mal schweigt sie. Ihre Facebook-Seite ist gelöscht, der letzte Eintrag bei Twitter stammt vom 14. Dezember, kein Eintrag auf ihrer Website ist jünger. Das ist vor allem eins: Ein Eingeständnis von mangelhafter Öffentlichkeitsarbeit. Das Schweigen wiegt umso schwerer, weil die Waffen, die der Attentäter nutzte, legal erworben und ordnungsgemäß angemeldet waren. Denn das Hauptargument der Waffenfreunde ist: Wenn man den rechtschaffenen Amerikanern die Waffen wegnimmt, bleiben sie nur den Verbrechern – und wie sollen wir uns dann gegen die wehren?

Allein: In den USA werden rund 10.000 Morde im Jahr mit Handfeuerwaffen ausgeübt; das sind zwei Drittel aller Morde. 2009 gab es über 300 Millionen Handfeuerwaffen – die Hälfte der Amerikaner gibt an, eine zu besitzen. Wer könnte hier politische Änderungen einführen?

Demokratische Senatoren haben angekündigt, als Reaktion auf Newtown Gesetzesvorschläge zum Verbot von Sturmgewehren und zum verpflichtenden Hintergrund-Check beim Waffenkauf einzureichen. Das allein hätte Newtown aber nicht verhindert – der Attentäter nutzte neben einem Sturmgewehr auch zwei Pistolen. Die Hintergrundchecks in Connecticut sind allerdings nicht einheitlich und umfassend. Auch hier unterscheidet sich die Gesetzgebung von Staat zu Staat. Präsident Obama hat indes angekündigt, sein Amt zu nutzen, um Vorfälle wie diesen zu vermeiden. Wohlgemerkt – er hat nicht angekündigt, strikere Regeln zum Waffenbesitz einzuführen. Dafür hat ihn der einflussreiche Bürgermeister New Yorks, Michael Bloomberg, harsch kritisiert – er nannte Obamas bisherige Gesetzgebung „lächerlich“.

Bloombergs ehemalige Parteifreunde von den Republikanern sind jedoch in der Breite gegen striktere Regeln – und können sich dabei auf den inoffiziellen Medienarm der Partei, Fox News, verlassen. Nur wenige Stunden nach der Tat veröffentliche die Website von Fox News einen Kommentar, der sich eine Debatte über Waffengesetze verbittet – eine solche Tragödie dürfe nicht als politische Chance gesehen werden:

It disturbs me greatly that literally hours after one of the worst events in modern American history, media pundits and publications […] are politicizing the murder of kindergarten students to further their gun control agenda.

Der Artikel selbst tut natürlich das Gleiche, versucht dabei aber, die moralische Oberhand zu wahren. Der Medienmogul Rupert Murdoch, Besitzer von Fox News, verwirrte indes seine Twitter-Follower mit einem Eintrag, der der Agenda seiner eigenen Medien widerspricht: „When will politicians find courage to ban automatic weapons?“ Obwohl sich das nur auf automatische Schusswaffen bezieht, die der Täter nicht einmal nutzte, erntete Murdoch eine Menge Hohn und Ärger. Umgekehrt will der liberale Sender MSNBC ähnliche Taten nutzen, um striktere Regeln ins Gespräch zu bringen. Die beiden Sender bilden die politischen Extreme des Mainstreamfernsehens in den USA.

2011 waren laut einer Gallup-Umfrage 44 Prozent der Amerikaner für striktere Gesetze zum Waffenkauf, nur elf Prozent für laxere. Ob sich diese Zahlen nach Newtown ändern, ist die eine Frage – ob es tatsächlich politische Konsequenzen geben wird, die andere.