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Vereinigte Staaten

Schon in den 70er-Jahren warnte Nasa-Forscher Don Kessler über die Gefahren einer möglichen Kettenreaktion von Weltraummüll. Fast ein halbes Jahrhundert später kreisen tausende Tonnen Schrott um die Erde – und gefährden Satelliten und damit unseren Alltag. Kessler wird auch heute nicht müde, an Maßnahmen zu arbeiten.

Die Internationale Raumstation (ISS) wiegt rund 420 Tonnen und misst mit 110 Metern Länge soviel wie ein Fußballfeld. Aber wegen eines gerade einmal acht Zentimeter kleinen Trümmerteils im Orbit mussten sich die drei Astronauten an Bord im Juli 2015 in ihre angedockte Raumkapsel zurückziehen und die Heimreise zur Erde vorbereiten. Das Stückchen Weltraumschrott drohte der Station zu nahe zu kommen, und für ein Ausweichmanöver blieb bei einer Vorwarnung von 90 Minuten keine Zeit.

„Ich bin froh, dass es keinen Einschlag gab“, kommentierte der US-Astronaut Scott Kelly hinterher trocken im sozialen Netzwerk Twitter. Der Rückzug in die Raumkapsel war erst zum vierten Mal seit Bestehen der bemannten ISS im Jahr 2000 nötig, ausweichen musste die Station rund zwei Dutzend Mal. In Zukunft könnte das öfter auf die Besatzung zukommen.

Der ganze Artikel bei focus.de… 

Es steht schlimm um die freie Presse, wenn ein Reporter der Washington Post so etwas schreibt:

Wesley Lowery und Ryan J. Reilly von der Huffington Post wurden vergangene Woche in Ferguson, Missouri, in einem McDonald’s-Restaurant verhaftet und kurz darauf wieder freigelassen, sagen sie. Die schwerbewaffneten Polizisten hätten das Restaurant geräumt, Lowery habe sie dabei fotografiert. Daraufhin hätten sie verlangt, seinen Ausweis zu sehen, was er (legalerweise) verweigert habe. Als er den Inhalt seiner heruntergefallenen Tasche zusammenräumen wollte, hätten die Polizisten ihn gegen eine Getränkemaschine gerammt.

“My hands are behind my back,” I said. “I’m not resisting. I’m not resisting.” At which point one officer said: “You’re resisting. Stop resisting.”

That was when I was most afraid — more afraid than of the tear gas and rubber bullets.

Viele weitere Journalisten wurden in der vergangenen Woche im amerikanischen Heartland festgenommen, darunter auch deutsche. Einige wurden mit nicht-tödlicher Munition beschossen („Bean-Bag Rounds„), andere gerieten ins Tränengas der Polizei. In diesem Video sieht man, wie eine Kamera-Crew von Al Jazeera vor einer solchen Attacke flieht. Nach Aussage des Reporters wusste die Polizei auch, dass es sich um Journalisten handelte.

Nachdem Polizisten am 9. August einen Jugendlichen in Ferguson, einem Vorort von St. Louis, erschossen hatten, waren Unruhen ausgebrochen, für deren Vehemenz auch die Polizei beschuldigt wird. In panzerähnlichen Fahrzeugen, in Gasmasken und mit beängstigenden Waffen hatte sie versucht, die Proteste zu unterdrücken. Nach einigen Tagen hatte eine Landesbehörde ihre Kompetenzen übernommen; mittlerweile ist auch die National Guard im Einsatz – erfolglos.

Was bedeutet das für die Pressefreiheit in dem Land, das sich seiner unbedingten Verehrung für das First Amendment rühmt?

AP Photo/Jeff Roberson, via businessinsider.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei Protesten, die in Gewalt ausarten, muss auch die Polizei die Unversehrtheit der Anwesenden mit den Rechten der Journalisten abwägen. Sie darf keine einzelnen Journalisten eines Ortes verweisen, sie darf aber alle Menschen eines Ortes verweisen, wenn das der Sicherheit dient. Im Falle von Wesley Lowery spielte sich die Szene dazu auf privatem Grund ab; der Besitzer oder Geschäftsführer eines Restaurants kann verlangen, dass jemand geht. Wäre dann aber die Härte des Einsatzes gerechtfertigt? Ob die temporären Festnahmen in diesem Fall rechtens waren, ist schwer festzustellen. Die Polizei darf aber keine Journalisten an ihrer Arbeit hindern, weil sie Journalisten sind. Wenn eine Tränengasgranate direkt beim Kameramann eines Filmteams landet, kann man an ein Versehen glauben oder Absicht unterstellen – vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Polizei, wie im Video zu sehen, die Kamera auf den Boden richtet, nachdem die Crew weggerannt war.

Was auch immer herauskommt, wenn man die vergangene Woche in Ferguson juristisch betrachtet: Die Arbeit der Polizei hinterlässt einen fahlen Geschmack im Mund. Schon aus Eigeninteresse sollte sie es tunlichst vermeiden, für weitere Skandale zu sorgen, die – so ja das Wesen der Medien – überall bekannt werden. Die Behörden scheinen mit der Situation überfordert. Aus ihrer Sicht nerven Journalisten wahrscheinlich; stellen Fragen, stehen im Weg herum. Das müssen sie aber tun, denn die Unruhen in Ferguson stehen für vieles, das in den Vereinigten Staaten falsch läuft. Vielleicht braucht es ein extremes Beispiel, das zum Handeln aufruft. Dieses Beispiel kann aber nur öffentlich werden, wenn Journalisten nervige Fragen stellen.

Dabei machen sie auch einen guten Job, meint Richard H. Weiss, früher Redakteur beim St. Louis Post-Dispatch. Aber genau das sei eben ihr Job, und sie sollten dabei auch bescheiden bleiben: Die Anerkennung kommt mit den guten Storys, nicht mit Auftritten auf CNN, sagt Weiss.

Bibliotheken brauchen neue Medien, darunter E-Books, um kein „Museum der Bücher“ zu werden – das ist der Aufruf von Eblida, dem European Buereau of Library, Information and Documentation Associations. Dass diese Kampagne nötig ist, zeigt, wie sehr selbst Medienbranchen noch in einer analogen Welt leben.

The right to E-ReadIn seiner Kampagne „The Right to E-Read“ beklagt der Verband, dass es unklare Rechtsvorschriften unmöglich machten, digitale Sammlungen aufzubauen. Rund die Hälfte der E-Book-Bestseller seien für Bibliotheken nicht verfügbar – weil die Verlage keine Lizenzen erteilten und die Büchereien, anders als bei physischen Medien, derzeit kein generelles Recht auf Kauf und Ausleihe hätten. Oft seien digitale Ausgaben darüber hinaus auch teurer als analoge. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels befürchtet dagegen, dass die E-Book-Ausleihe das Geschäftsmodell digitaler Bücher an sich torpedieren würde; der Verband deutscher Schriftsteller deutet eine „Gratismentalität“ an, die die Qualität der Inhalte gefährde. Aber in Zeiten der Flatrates auf allen Gebieten, seien es Internet, mobile Daten, Musik oder Filme, wirkt die Klage einer hinterhereilenden Branche absurd.

Neues Feuer erhält die Debatte mit Amazons neuem Dienst „Kindle Unlimited„, mit dem User seit Juli für knapp zehn Dollar im Monat eine Art Bücher-Flatrate erhalten – das bedeutet den Zugriff auf rund 600.000 E-Books, bisher nur in den USA. Darunter sind zwar auch Bestseller wie die Titel der Harry-Potter- oder der Herr-der-Ringe-Reihen, die großen Verlage Hachette, HarperCollins, Macmillan, Penguin Random House und Simon & Schuster halten sich aber wohl aus dem Angebot heraus. „ComputerBild“ spekuliert aber, dass das Angebot diesen Herbst auch in Deutschland starten könnte.

Hier würde Amazon aber auf einige Konkurrenten treffen, die sich bereits etabliert haben (hier zusammengestellt von Netzwertig.com). Besonders Skoobe, ein Joint Venture der Verlage Holtzbrinck und Bertelsmann, wird als Gefahr für den Platzhirsch genannt. Ab rund zehn Euro haben Nutzer hier Zugriff auf 50.000 Bücher. Lesen.net sieht in Skoobe das derzeit beste Angebot seiner Art in Deutschland – verweist aber auch auf deutsche Bibliotheken und ihre Lizenzprobleme. Wenn es nach ihnen ginge, könnten sie ein viel größeres, viel günstigeres Angebot machen.

In der Bibliothek meiner Heimatstadt Neuwied kostet die Mitgliedschaft 15 Euro – im  Jahr. Die zentrale „Onleihe“-Stelle für Bibliotheken in Rheinland-Pfalz umfasst knapp 5000 Bücher in Belletristik, 3000 in Sachbüchern – kaum eins aktuell verfügbar, weil ausgeliehen. Im digitalen Zeitalter, im Zeitalter der riesigen Speicherkapazitäten, dürfen Bibliotheken trotzdem nicht so viele E-Books ausleihen, wie sie möchten. Aus Sicht der Verlage ergibt das Sinn, aber die Autoren haben bisher ohnehin nichts vom digitalen Verleih, da sie nach Aussage des Bibliothekenverbandes keine Entlohnung dafür erhalten – was er explizit bemängelt. In den USA gibt es schon Vereinigungen von Autoren, die sich für E-Books in Bibliotheken aussprechen.

Es drängt sich keine offensichtliche Patentlösung auf, mit der Autoren, Verlage, Konsumenten und Bibliotheken auf einen Schlag zufrieden wären (auch wenn man gegen die Notwendigkeit von Gatekeepern wie Verlagen oder Plattenlabels heutzutage generell argumentieren kann). Andere Branchen, wie etwa die Musikindustrie, geben ihre Rückzugsgefechte langsam auf. Bei den Verlagen scheint man sich gerade erst dafür zu rüsten. Aber nicht nur wegen der anachronistischen Idee der digitalen Stückzahlen, auch wegen der prinzipiellen Einschränkungen der Ausleihe widerspricht die derzeitige Situation der Idee der grenzenlosen Information, für die das Internet stehen soll – und für die Bibliotheken schon lange gekämpft haben. Wunderbare Angebote wie OpenLibrary und Project Gutenberg versuchen das auch online.

Fernsehen in den Vereinigen Staaten war immer kommerziell – und wird es wohl auch bleiben. Die einzigen Ausnahmen: die wenigen und im Vergleich schlecht finanzierten öffentlichen Rundfunksender, sagt Thomas Hrach, Professor am Department of Journalism der University of Memphis, Tennessee. „Profitorientierte Sender dominieren die Wellen, und das war schon immer so“. Im Kolloquium des Oberkurses am Journalistischen Seminar Mainz sprach Hrach über das Verhältnis von privaten und öffentlichen Sendern im Vergleich zum deutschen dualen System.

Seit Beginn der Radio-Ära sorgte die amerikanische Aufsichtsbehörde, die spätere Federal Communications Commission (FCC), vor allem für eins: Dass jeder Sender sein Programm ausstrahlen kann, ohne dabei behindert zu werden. Schon in den 1930er-Jahren dominierten die kommerziellen Interessen. Die Radios waren billig, denn das Geld steckte in der Werbung. Das war erst recht der Fall, als nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch jeder Haushalt einen Fernseher besaß. Die drei großen Sender NBC, ABC und CBS machten Programm als Plattform für die Werbung – und waren damit höchst erfolgreich. „Wer eine Sendelizenz hatte, hatte fast schon die Erlaubnis, Geld zu drucken“, sagt Hrach. Die Sender zeigten, was die Zuschauer wollten: Leichte Unterhaltung, Western, Sport. Zu dieser Zeit lag privater Rundfunk in Deutschland noch 25 Jahre in der Zukunft.

Der Ruf nach einem besseren Fernsehen wurde aber bald laut. Eine „leere Ödnis“ nannte 1961 Newton Minow, Vorsitzender der FCC, das Fernsehprogramm. Der hochgeschätzte TV-Journalist Edward R. Murrow bemängelte dazu die Oberflächlichkeit und das verschwendete Potenzial seines Mediums. Die Lösung: Die Corporation for Public Broadcasting (CPB), die mit Geldern aus dem US-Haushalt seit 1967 öffentliche Sender unterstützen soll. Diese Sender sollen auf hohem Niveau bilden und informieren, ohne auf Werbung angewiesen zu sein. 2012 hatte sie dazu rund 326 Millionen Euro zur Verfügung – im Vergleich zu den rund neun Milliarden Euro, mit denen die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland ausgestattet sind. Damit trägt die CPB zur Finanzierung von 365 TV- und über 1000 Radiosendern bei. Allerdings reicht das nicht. Spenden von Zuschauern, Unternehmen und Non-Profits machen den Rest aus. Auch wenn Werbung verboten ist, sei es „normalerweise ziemlich klar ersichtlich, von wem Spenden kommen“, sagt Hrach.

Die einzelnen Sender übernehmen einen Großteil ihres Programms aus den von ihnen gegründeten Dachorganisationen: Der Public Broadcasting Service (PBS) für TV und National Public Radio (PBS) für den Hörfunk. Diese Namen stünden für gutes, informatives und vertrauenswürdiges Programm mit öffentlichem Auftrag, erklärt Hrach. Auch in Deutschland bekannt ist etwa die PBS-Sendung „Sesamstraße“, ein Bildungsprogramm für Kinder. „Big Bird ist das Mainzelmännchen in den Vereinigten Staaten“, sagt Hrach. Angesichts der oft politisch eingefärbten Nachrichten der großen kommerziellen Sender zeige sich vor allem der Journalismus der öffentlichen neutral und von hoher Qualität.

Trotzdem ist deren Finanzierung umstritten. Im Wahlkampf fällt der Name PBS häufig, wenn es um Haushaltseinsparungen geht. Mitt Romney etwa, der republikanische Kandidat zur Präsidentschaftswahl 2012, sagte zwar, dass er Big Bird zwar liebe, aber dennoch sei der Sender eine finanzielle Belastung.

Doch bei der teils mangelhaften Berichterstattung der kommerziellen Sender, gerade was internationale Geschehnisse angeht, stößt das unter Journalisten auf wenig Gegenliebe, sagt Hrach. „Amerika hat keine zentrale Stimme, um der Welt über sich selbst zu berichten und seinen unterschiedlichen Bürgern über die Welt”, sagte etwa Emily Bell von der Columbia School of Journalism 2011. Lee Bolinger, der Präsident der Universität, schlägt dafür sogar einen zentralen Sender ähnlich der Deutschen Welle vor. Die große amerikanische Abneigung gegen Regierungseinfluss mache so etwas aber sehr unwahrscheinlich, sagt Hrach. So bleibe der öffentliche Rundfunk beliebt, aber nicht erfolgreich.

 

 

Das Internet wird nicht mehr lange das demokratischste aller Medien sein.

Zukünftig sollen in den USA  Internetanbieter bestimmte Datenpakete bevorzugt behandeln können, hat die Federal Communications Commission (FCC), zuständig für die Regulierung von Funk, Kabel und Internet, angekündigt. Das heißt in etwa: Google könnte Comcast dafür bezahlen, dass Youtube-Videos künftig schneller geladen werden. Was zunächst nach einem Vorteil für den Nutzer klingt, birgt aber Probleme.

Denn wo gewisse Daten priorisiert werden, werden andere hintenan gestellt. Das widerspricht dem Prinzip des Internets als frei zugängliche, gleichberechtigte Plattform für alle Nutzer. Wer es sich leisten kann, kann den Nutzer so besser erreichen – aber das war auch in den alten Medien so. Theoretisch konnte jeder, der genug Geld hatte, massive Werbekampagnen starten oder vielleicht einfach seine eigene Zeitung gründen. Im Internet soll aber jeder die gleiche Möglichkeit haben, seine Botschaft zu vermitteln und Geschäfte zu machen. Kein kleines Startup, das einen internetbasierten Dienst anbietet, wird sich die Datenbeschleunigung leisten können. Wenn sich Nutzer aber erst an den rasenden Youtube-Ladebalken gewöhnt haben, werden sie mit den schleichenden Datenpaketen die Geduld verlieren.

Im schlimmsten Fall sähe die Werbung für einen DSL-Anschluss dann so aus:

(via Dan Shewan)

Der Streit um die Netzneutralität stammt letztlich aus der Ambiguität des Mediums selbst. Das „Internet“ besteht aus Servern, aus Daten, aus Funknetzen, aus Kabeln, aber auch auf einer abstrakten Ebene auch aus Meinungen, Werken und Dienstleistungen – und bezahlen muss man es immer. Wenn man der Logik der Unabhängigkeit des Internets folgt, dürften also auch diejenigen frei in ihren Entscheidungen sein, die dem Kunden ihren Service liefern, also auch die Internetanbieter. Gerade in den USA aber beherrschen sehr wenige, sehr große Unternehmen, allen voran Comcast, den Markt. Vielerorts stellt sich die Frage nach Auswahl gar nicht, weil es nur einen Anbieter für Internet gibt. In dieser Monopolsituation tritt der vielleicht wichtigste Aspekt des Internets hervor: die Meinungsfreiheit.

Angesichts der zentralen Rolle, die das Internet in unserem Leben mittlerweile spielt, ist das nicht zu vernachlässigen. Statt Briefe zu schreiben oder Anrufe zu tätigen, nutzen wir heute Internetdienste, um zu kommunizieren. Diese gesellschaftliche Realität darf man nicht vernachlässigen, wenn es um die bevorzugte Behandlung von Daten geht. Denn das würde nichts anderes bedeuten, als dass die Kommunikation von einigen Menschen priorisiert wird – etwa die der Google-Eigentümer mit der von Hans Schmidt aus Buxtehude via Youtube-Videos von Hundewelpen. Hier lässt sich auch die Brücke zum Journalismus schlagen. In Zeiten von einbrechenden Gewinnen werden sich nur wenige Verlage die Bevorzugung leisten können. Auch wenn eine Nachrichtenseite deutlich weniger Traffic verbraucht als etwa ein Video, ist der Zugang zu relevanten Informationen doch ein grundlegendes Problem.

Die FCC jedenfalls streitet ab, dass es überhaupt dazu kommen werde. „To be very direct, the proposal would establish that behavior harmful to consumers or competition by limiting the openness of the Internet will not be permitted“, schreibt der Vorsitzende Tom Wheeler angesichts des Protests. Das allerdings kritisiert Josh Levy von Free Press, einer Non-Profit-Organisation, die sich für Pressefreiheit und freien Zugang zu Medien engagiert. Auf Reddit schreibt er schlicht, dass Tom Wheeler unrecht hat. „What’s more ‚commercially reasonable‘ than a business promoting its own products over its competitors?“

 

„#Lastprintissue“ zierte die, nun ja, letzte gedruckte Ausgabe der Newsweek. 79 Jahre lang erschien das Nachrichtenmagazin gedruckt, auf Papier. Die höchste Auflage, im Jahr 1991, lag bei 3,3 Millionen Exemplaren. Weniger als 20 Jahre später wurde das Magazin für einen Dollar verkauft. Ende 2012 erschien die letzte Ausgabe in den USA – Newsweek zog komplett ins Internet um.

Jetzt hat das Magazin neue Besitzer, und sie wollen ihr Heft wieder in den Zeitungsständen sehen. Letzten August hatte IBT Media die Seite gekauft und seitdem den Online-Traffic verdreifacht. Warum also zurück zu Print, mit einer Auflage von mickrigen 70.000? Chefredakteur Jim Impoco sagt, in der Redaktion hätten sie es das „P-Wort“ genannt.

Und doch wollen die Besitzer zurück an den Kiosk. Das soll allerdings nichts mehr mit dem Massengeschäft zu tun haben. “You would pay only if you don’t want to read anything on a backlit screen. It is a luxury product“, sagt Etienne Uzac von IBT. Eine Stütze für den Webauftritt, ein Prestigeprodukt also, lässt die New York Times analysieren. Balsam für eitle Politikerseelen, die sich gerne selbst in den Straßen sehen.

Das Prinzip mag funktionieren. Wenn man aber an den Kern der Sache geht, ist Print heutzutage ein irrsinniger Anachronismus.

Frankfurter Societäts-Druckerei

Das technische Medium hat ausgedient. Überall auf der Welt rattern riesige Ungetüme von Maschinen ganze Nächte durch, um mit raffinierten Verfahren Tinte auf tote Zellulose zu pressen, die dann umständlich gefaltet, von Lastwagen abgeholt und verteilt werden muss. Flugzeuge füllen ihre Bäucher mit tausenden identischen Papierlappen. Und am nächsten Tag geht es weiter, und am nächsten.

Zeitungsecken in Marmeladengläsern, Ellbogen in Sitznachbarn, Müllberge in Zügen – all diese Übel ließen sich verhindern, wenn irgendwann jeder seine Zeitung auf dem Bildschirm liest. Wenn da nur nicht diese kleine Unsicherheit über ein funktionierendes Geschäftsmodell wäre. Insofern freue ich mich auf die vielen letzten Printausgaben von Zeitungen und Zeitschriften. Immer vorausgesetzt, dass sie elektronisch weitererscheinen und mir damit Nerven sparen.

„The driving force behind this unparalleled era of growth is David Miscavige, ecclesiastical leader of the Scientology religion. […] He has led a renaissance for the religion itself, while driving worldwide programs to serve communities through Church-sponsored social and humanitarian initiatives.“

Das sind normalerweise keine Sätze, die man in einem progressiven, liberalen Magazin wie The Atlantic über die umstrittene Scientology-Organisation lesen würde. Und doch hyperventilierte im Januar 2013 ein solcher Artikel in freudiger Erregung über die Neueröffnungen von Scientology-Kirchen.

Das liegt daran, dass Scientology für den Artikel bezahlt hatte. Als „Sponsor Content“ ausgewiesen, erscheint bei The Atlantic Werbung, die sich in das Erscheinungsbild der Seite einfügen soll – Native Advertising. Innerhalb des zögerlichen Werbewachstums im Internet wird Native Advertising wichtiger: 2013 stieg der Umsatz in den USA um knapp 40 Prozent auf 1,56 Milliarden Dollar; im Jahr zuvor hatte es bereits einen Anstieg um rund 56 Prozent gegeben. Das steht im Vergleich zu klassischer Bannerwerbung mit einem Umsatz von über acht Milliarden Dollar. Native Advertising können gesponserte Tweets oder Facebook-Posts sein, aber eben auch ganze Artikel, die eine Botschaft eines Werbekunden transportieren sollen. Deren Vorteile zeigt Solve Media in einer übersichtlichen Infografik.

Seit ihrem Relaunch diesen Januar zeigt auch das Flaggschiff des US-amerikanischen Journalismus, die New York Times, die eingebettete Werbung (Bild via Business Insider):

Auch deutsche Onlineredaktionen denken über Native Ads nach – oder haben sie schon. In einer Umfrage des „Journalist“ zeigten sich allerdings ganz verschiedene Meinungen dazu. Von „machen wir schon“ bis „kommt uns nicht unter“ ist alles dabei.

Denn Abschreckung gibt es genug. Für The Atlantic war der Ausflug in neue Werbeformen zunächst ein Desaster: Schnell häufte sich die Kritik an der Scientology-Anzeige, gerade zwölf Stunden später löschte die Seite den Artikel. Im Statement dazu zeigte sich das Magazin zerknirscht:

We screwed up. It shouldn’t have taken a wave of constructive criticism — but it has — to alert us that we’ve made a mistake, possibly several mistakes.[…] We remain committed to and enthusiastic about innovation in digital advertising, but acknowledge—sheepishly—that that we got ahead of ourselves. We are sorry, and we’re working very hard to put things right.

Das wichtigste Problem seien die unklaren Prinzipien gewesen, nach denen Native Advertising bei The Atlantic eingebunden wird. Und tatsächlich lohnt es sich, die eingebettete Werbung zu hinterfragen.

Denn es stellt sich eine offensichtliche Frage: Warum sind Werbekunden bereit, für solchen Content viel Geld auszugeben? Neutrale Antworten gibt es genug. Im Vergleich zu sturen Pop-Ups, blinkenden Bannern und versehentlichen Klicks auf ausufernde Werbungsrahmen sind werbliche Artikel angenehm unaufdringlich. Dazu kommt: Immerhin besteht die Chance, dass die Werbung den Leser sogar interessiert. In diesem Idealfall ist dem Nutzer dann egal, ob er Inhalte von der Redaktion oder vom Werbekunden liest.

Aber Leser sind selten aufmerksam. Selbst eine ziemlich klar gekennzeichnete Anzeige wie die in der New York Times oben kann schnell wie ganz normaler redaktioneller Content erscheinen – gerade wenn der Leser sowieso den Tunnelblick draufhat, um die altbekannte Werbung zu vermeiden. Der Verdacht keimt, dass Werbekunden genau darauf setzen. So könnten sie mit ihren Botschaften von der Glaubwürdigkeit des Mediums profitieren, in dem sie werben. Journalist und Blogger Andrew Sullivan glaubt nicht, dass der Unterschied zwischen Anzeige und Inhalt überhaupt auffallen würde. “Your average reader isn’t interested in that. They don’t realize they are being fed corporate propaganda.”

Ein wichtiger Unterschied ist auch, ob der Content vom werbenden Unternehmen gestellt wird, oder ob Redakteure des Mediums ihn schreiben. Selbst wenn es nur um „gesponserte“ Artikel geht (also wie etwa eine Serie, die von Google präsentiert wird) schreiben in dem Fall Journalisten Artikel, die sie nach der eigenen Entscheidung als Redakteure so nicht geschrieben hätten. Die Unabhängigkeit ist aber noch in anderen Punkten gefährdet: Die Scientology-Werbung in The Atlantic hatte Kommentare erlaubt – die aber möglicherweise vom Marketing-Team des Magazins so moderiert wurden, dass negative Kommentare in der Versenkung verschwanden. Bei einer Privilegierung von Werbekunden fühlen sich Nutzer vor den Kopf gestoßen – erst recht, wenn die Kommentarfunktion ansonsten die gleiche ist wie auf dem Rest der Seite.

Der Nutzen und die Moral von Native Advertising steht und fällt mit der Erkennbarkeit als Anzeige. Seriöse Medien wollen die Anzeigen so deutlich wie möglich als solche kennzeichnen, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Für Werbekunden bringt es aber viel, wenn ihre Anzeigen sich so sehr wie möglich dem redaktionellen Content angleichen.

Advertorials in gedruckten Zeitungen und Zeitschriften gibt es schon lange, und letztlich ist Native Advertising nur der Versuch, diese Werbeform ins Digitale zu übertragen. Dass aber nicht jeder Aspekt von Journalismus eins zu eins von Papier zu Pixeln zu übertragen ist, erfahren Verlage seit mittlerweile 20 Jahren.

The Onion kommentierte die Scientology-Geschichte übrigens beißend:

Während deutsche Medien noch überlegen, wie sie Leser auf ihren Online-Auftritten halten und einbinden können, gibt es in den USA dafür schon seit 2009 ein Vorbild – mit einem bitteren Nachgeschmack.

Unter den drei großen Nachrichtensendern ist Fox News das konservative Gegengewicht zwischen dem liberalen MSNBC und CNN in der Mitte. Während der Sender journalistisch selbst schon umstritten ist, ist seine Sparte Fox Nation ein noch besseres Beispiel für die Schere zwischen Anspruch und Realität.

Die Website verlinkt zu Artikeln und Videos zu aktuellen, meist politischen Themen, häufig geschrieben von Fox News-Lieblingen wie Bill O’Reilly. Der Tenor der Seite bedient dabei die Ängste der weißen, konservativen, christlichen Republikaner-Wählerschaft – im Moment beherrscht ObamaCare die Startseite. Als Beispiel von den Anfangstagen der Seite: die Überschrift „Why Aren’t White Males Being Considered for Supreme Court?“ vor einem Bild der neun Richter (von denen sieben weiße Männer sind). Die Überschriften und Teaser für die Links sind marktschreierisch und stellten teils den Inhalt der Links missverständlich dar.

Fox Nation ist damit im Prinzip ein konservativer Link-Blog. „We’re calling it a mix between the Huffington Post and Drudge“, sagte ein Sender-Chef zum Start der Website. Was er meinte: Von der Huffington Post will die Seite die Kommentar-Kultur übernehmen, vom Drudge Report den strikt konservativen Einschlag und die Links auf andere Medien. 

Von Kultur kann aber keine Rede sein, wenn es um die Kommentare geht. Das hochtrabende „Mission Statement“ behauptet:

The Fox Nation is committed to the core principles of tolerance, open debate, civil discourse, and fair and balanced coverage of the news. It is for those opposed to intolerance, excessive government control of our lives, and attempts to monopolize opinion or suppress freedom of thought, expression, and worship.

Tatsächlich sind die meisten Kommentare eine Mischung aus Satzfragmenten, Off-Topic-Textblöcken, persönlichen Angriffen auf andere Nutzer und Beleidigungen von Politikern – meist Barack Obama. Der Einschlag ist, wohl wie gewünscht, deutlich konservativ, liberale Einwürfe werden meist niedergeschrieben. Die Huffington Post hatte kurz nach dem Start der Seite diese Kommentare zusammengetragen:

I can’t believe people still don’t get what animals muslims are. They will not stop until they’ve killed us all and ended our way of life. I will never forget what they did to us on 9/11. It’s either us or them people!!!

If Mr Obama wants a democratic presidency, why doesn’t he let „The People“ vote for whether or not „WE“ want Muslims in this country at all! He is making a mockery of the office of „President“. What a disgrace.

YOU SAY OBAMA I SAY OSAMA YOU SAY BIN LIDEN I SAY BIN BIDEN YOU SAY TERRORIST I DSAY PRESIDENT!!!!!!!! WOW , IS THERE ANYTHING HE CANT DO BESIDE RUIN ONE HECK OF A LIFE.

Can anyone say Manchurian Candidate?

kill all ragheads

Osama Muslin HUSSIEN Terrarist!!!!!!!!!!!!

Aber schon Fox Nation selbst zögert nicht, zu beleidigen: Ungläubig fragt etwa eine Überschrift: „Rachel Madd-Cow Gets a Grammy Nomination?“ Rachel Maddow ist eine Moderatorin des Konkurrenzsenders MSNBC. Die politische Agenda der Seite wird auch in ihrer Berichterstattung deutlich. Vor der Präsidentschaftswahl im Herbst 20012 berichtete Fox Nation ausschließlich von den (wenigen) Umfragen, die Republikaner-Kandidat Mitt Romney vor Obama sahen. Und schon nachdem Obama seine Geburtsurkunde online gestellt hatte, ließ Fox Nation das Thema nicht los.

„America’s Talking. All Opinions Welcome“ funktioniert, wie auch das Sendermotto „Fair and Balanced“ nur unter einer Voraussetzung: Der Idee, dass liberale und linke Medien den Mainstream beherrschen, und eine offen konservative Haltung nur ein Gleichgewicht herstellt. Binnen-Fairness findet bei Fox News aber nicht statt.

Mit angsteinflößenden, provokanten Überschriften und Nachrichtenhäppchen können es Medien sicherlich schaffen, ein Publikum zu bedienen, zu unterhalten und zu involvieren. Allein mit Journalismus hat das nicht mehr viel zu tun, vor allem, wenn der politische Einschlag derart deutlich wird und für einen neutralen Beobachter komplett mit dem Anspruch kollidiert. Ein Vorbild für deutsche Medien wird Fox Nation aber wahrscheinlich nicht werden – zu gemäßigt sind Zeitungen und vor allem Sender in ihren politischen Neigungen, erst recht im Vergleich zum emotional aufgeladenen US-amerikanischen Pundit Journalism.

Unter den Artikeln von Fox Nation haben sich aber wohl auch Trotz-Kommentatoren zusammengefunden: Zum Artikel „Dr Carson Explains Why ObamaCare is ‚Worst Thing Since Slavery‘“ kommentiert Nutzer xYodax:

this headline should read

 „token black conservative plays race card to a disgusting level, surpasses liberals“

Auch mit der unterbewussten Aufforderung zur Konfrontation kann eine Website wohl Klickzahlen zusammenklauben.

In den USA ist ein neues Gesetz auf dem Weg, das nominell die Rechte von Journalisten stärken soll. Dabei nutzt es aber eine enge Definition von „Journalist“, die besser auf die Zeit vor der Digitalisierung gepasst hätte. Aber auch das deutsche Zeugnisverweigerungsrecht lässt sich im Internetzeitalter unterschiedlich auslegen.

„Congress shall make no law […] abridging the freedom of speech, or of the press […]“

First Amendment to the Constitution of the United States of America

Die Verfassung der Vereinigten Staaten, wie auch das deutsche Grundgesetz, erkennen die Bedeutung der Presse für die Demokratie und die Gesellschaft an. Dafür können sich Journalisten in Deutschland auf umfassende Privilegien berufen – erschwerte Fusion von Medienunternehmen, um Meinungsmonopole zu verhindern, Auskunftspflicht von Behörden, Beschlagnahmeverbot für recherchiertes Material und Schutz vor Gericht in Form des Zeugnisverweigerungsrechts. Die Strafprozessordnung  erlaubt das Schweigen über Quellen und Informationen für Personen,

die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.

Das ist eine recht breite Definition, die sich vor allem auf die Produkte des Journalismus bezieht und weniger auf die einzelnen Personen, die daran beteiligt sind. „Journalist“ ist in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung – jeder kann sich so nennen.

In den USA allerdings haben Senatoren ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das eine Definition liefert. Kritiker befürchten aber, dass diese Definition nicht den modernen Umständen der Medienwelt gerecht werden und so eher Schaden als Nutzen anrichten könnte.

Am Donnerstag hat der Senat einem Gesetz zugestimmt, das dem deutschen Zeugnisverweigerungsrecht ähnelt – das erste „Shield Law“ auf Bundesebene. Das größte Hindernis bei der Formulierung: der Streit darum, wer in den Genuss dieser Privilegien kommen soll. „I can’t support it if everyone who has a blog has a special privilege … or if Edward Snowden were to sit down and write this stuff, he would have a privilege. I’m not going to go there“, sagte die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein. Geschützt sollen so nun Personen sein, die für Organisationen, die Informationen und Nachrichten verbreiten recherchieren und berichten – eine traditionelle Auffassung, die etwa Blogger kaum berücksichtigt, auch wenn Richter Ermessenspielraum haben sollen. Whistleblower haben ohnehin nichts von dem Gesetz.

In dieser Form würde das Gesetz zwar klassische Journalisten bei etablierten Medien etwas besser schützen (Zeugnisverweigerungsrechte gibt es aber bereits in 40 Staaten und dem District of Columbia), die Realitäten des neuen Medienzeitalters aber außen vor lassen, kritisiert etwa das Vice Magazine. Große Medienhäuser ließen sich einfacher von der Regierung beeinflussen als unabhängige Newsblogger.

Ohnehin würde das neue Gesetz keinen umfassenden Schutz bedeuten. Der Effekt hinge vom Fall ab: In zivilrechtlichen Verfahren müsste der Kläger beweisen, warum sein Anliegen, also etwa die Herausgabe der Informationen, schwerer wiegt als die Pressefreiheit, bei strafrechtlichen Verfahren läge die Beweislast aber schon beim Journalisten. In Fällen der „nationalen Sicherheit“ schließlich wären Journalisten kaum noch geschützt – wenn der Kläger beweisen kann, dass mit den Informationen etwa ein Terroranschlag verhindert werden könnte, kann der Richter nicht verhindern, dass die Herausgabe der Informationen angeordnet wird. Der Kongress und der Präsident müssen dem Gesetz noch zustimmen, bevor es erlassen wird.

Das deutsche Zeugnisverweigerungsrecht ist stark, aber auch hier gibt es Fälle, die für manche in rechtlichen Grauzonen liegen – gerade wenn es um die Möglichkeiten des Internets geht. Sind Medien für Äußerungen ihrer Nutzer oder Leer verantwortlich? Müssen die Medien Informationen über ihre Nutzer preisgeben, oder sind sie als Quellen geschützt? Dieses Jahr gab es mehrere Fälle, über die sich Kritiker empören: Ein Redakteur eines Bewertungsportals für Kliniken soll in Beugehaft gekommen sein, weil er Nutzerdaten nicht herausgab. In einem ähnlichen Fall hatte die Polizei bereits einen Durchsuchungsbefehl für die Redaktion der Augsburger Allgemeinen vorliegen, um wiederum an Nutzerdaten ihres Forums zu kommen (die Zeitung hatte die Daten herausgegeben, um eine Durchsuchung zu verhindern).

Es ist gut, dass Gesetzgeber die Presse schützen wollen. Da es aber kein Standesrecht, keine generelle Definition, kein Register für Journalisten gibt, müssen sie sorgfältig abwägen, für wen neue Regelungen gelten. Wer gerade jetzt in Zeiten des Umbruchs immer noch das Bild des Reporters mit Hut und Notizblock vor Augen hat, ignoriert die Realität. Nicht-professionelle Journalisten, citizen journalists, vielleicht auch Whistleblower erfüllen alle wenigstens teilweise die Aufgaben, die die Presse hat – und sollen so auch dementsprechend geschützt und anerkannt werden. Medien in der Demokratie sind kein Selbstzweck, sondern sollen an ihrem Nutzen und ihrem Beitrag zur Gesellschaft gemessen werden.

Journalisten haben es nicht immer einfach. Besonders nicht, wenn sie über rachsüchtige Musiker schreiben.

1991 veröffentlichten Guns N‘ Roses ihre zwei Doppelalben Use Your Illusion 1 und 2. Auf Nummer zwei findet sich der Track „Get In The Ring“, der zunächst wie die typische G N‘ R-Nummer wirkt: harter, schneller Blues mit Axl Rose‘ krächzendem Gesang über alles, was ihn so anpisst. Der Unterschied zu sonst: Rose nennt Namen. In dem Song beleidigt er namentlich mehrere Musikjournalisten, die ihm wohl irgendetwas angetan haben mussten – und das auf einem Album, das die Recording Industry Association of America siebenfach mit Platin ausgezeichnet hat. Das bedeutet mehr als 14 Millionen verkaufte Scheiben. Die Kritik fiel nicht sehr konstruktiv aus:

And that goes for all you punks in the press
That want to start shit by printin‘ lies instead of the things we said
That means you
Andy Secher at „Hit Parader“
„Circus Magazine“
Mick Wall at „Kerrang“
Bob Guccione, Jr., at „Spin“
What, you pissed off ‚cause your dad gets more pussy than you?
Fuck you
Suck my fuckin‘ dick

You be rippin‘ off the fuckin‘ kids
While they be payin‘ their hard-earned money to read about the bands
They want to know about
Printin‘ lies, startin‘ controversy
You wanna antagonize me?
Antagonize me, motherfucker
Get in the ring, motherfucker
And I’ll kick your bitchy little ass

Punk

Guns N‘ Roses waren innerhalb weniger Jahre seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums Appetite For Destruction 1987 zur wohl größten Rockband des Planetens aufgestiegen. Aber Frontmann Axl Rose war bekannt für seine unzuverlässige, cholerische Art – gerade auch gegenüber Medien. „If there was a bad review, [manager] Doug Goldstein and I would be in the hotel stealing all the newspapers, because if Axl read it, who knows if he would get on the plane to the next city“, sagte Josh Richmann, ein Freund von Rose.

Was also haben die Journalisten im Text von „Get In The Ring“ besonders abscheuliches verbrochen, dass Axl Rose sie derart öffentlich anfeindet?

Andy Secher schrieb 2005 in „Hit Parader“: „He’s ’serenaded‘ us in song on Get Into The Ring (sic!), and taken his share of potshots (fairly or unfairly) at us – and we’ve returned the fire in kind!“ 1992 schien sich Rose aber immerhin so weit beruhigt zu haben, dass er dem „Hit Parader“ noch ein Interview gab.

Mick Wall scheint das Thema zu nerven – auch 20 Jahre nach der Veröffentlichung von Use Your Illusion. „I get emails from people who weren’t even born when the song was recorded, who say that they want to beat me up. I knew immediately that I would spend the rest of my life talking about that song“, sagte er im Interview mit dem schwedischen Aftonbladet (hier in der englischen Übersetzung, auf die ich mich verlassen habe). Doch der Angriff auf Platte hatte Wall verletzt. Die Beziehung zur Band sei zwischen 1987 und 1990 nicht nur professionell, sondern auch freundschaftlich gewesen. „I was the first person outside America to write consistently and seriously about them“, sagte er Wired. Der Grund für die Beleidigungen: Rose warf ihm vor, ein Interview mit ihm teils erfunden, teils falsch zitiert zu haben – ein Interview, das Wall aufgenommen hatte, wie er sagt.

Bob Guccione, Jr., war der Gründer des Musikmagazins „Spin“, das noch 2011 eine Auflage von fast einer halben Million hatte, bevor es 2012 eingestellt wurde. Rose verweist im Text auf dessen Vater, weil Bob Guccione, Sr., das Erotikheft „Penthouse“ gegründet hatte. Junior antwortete sogar auf den Angriff und bat Rose einen Kampf an – worauf Rose wiederum zurückgezogen hätte. „He’s a pathetic person“, sagte Guccione.  Sein Magazin „Spin“ hatte 1991 zum Beispiel das über die Band zu sagen: „This band has sucked shit more often than not since it curtailed live appearances after the fiasco at the October 1989 Rolling Stones shows at the LA Memorial Coliseum“, wo Rose mit rassistischen und homophobischen Beleidigungen um sich geschleudert haben soll.

Mick Wall jedenfalls glaubt, dass keiner seiner Kollegen nachtragend ist. „When the song came out I told his people that I would show up at any time if he wanted to talk. The others named in the song have done similar things.“