Native Advertising: Alte Idee, neue Umsetzung

„The driving force behind this unparalleled era of growth is David Miscavige, ecclesiastical leader of the Scientology religion. […] He has led a renaissance for the religion itself, while driving worldwide programs to serve communities through Church-sponsored social and humanitarian initiatives.“

Das sind normalerweise keine Sätze, die man in einem progressiven, liberalen Magazin wie The Atlantic über die umstrittene Scientology-Organisation lesen würde. Und doch hyperventilierte im Januar 2013 ein solcher Artikel in freudiger Erregung über die Neueröffnungen von Scientology-Kirchen.

Das liegt daran, dass Scientology für den Artikel bezahlt hatte. Als „Sponsor Content“ ausgewiesen, erscheint bei The Atlantic Werbung, die sich in das Erscheinungsbild der Seite einfügen soll – Native Advertising. Innerhalb des zögerlichen Werbewachstums im Internet wird Native Advertising wichtiger: 2013 stieg der Umsatz in den USA um knapp 40 Prozent auf 1,56 Milliarden Dollar; im Jahr zuvor hatte es bereits einen Anstieg um rund 56 Prozent gegeben. Das steht im Vergleich zu klassischer Bannerwerbung mit einem Umsatz von über acht Milliarden Dollar. Native Advertising können gesponserte Tweets oder Facebook-Posts sein, aber eben auch ganze Artikel, die eine Botschaft eines Werbekunden transportieren sollen. Deren Vorteile zeigt Solve Media in einer übersichtlichen Infografik.

Seit ihrem Relaunch diesen Januar zeigt auch das Flaggschiff des US-amerikanischen Journalismus, die New York Times, die eingebettete Werbung (Bild via Business Insider):

Auch deutsche Onlineredaktionen denken über Native Ads nach – oder haben sie schon. In einer Umfrage des „Journalist“ zeigten sich allerdings ganz verschiedene Meinungen dazu. Von „machen wir schon“ bis „kommt uns nicht unter“ ist alles dabei.

Denn Abschreckung gibt es genug. Für The Atlantic war der Ausflug in neue Werbeformen zunächst ein Desaster: Schnell häufte sich die Kritik an der Scientology-Anzeige, gerade zwölf Stunden später löschte die Seite den Artikel. Im Statement dazu zeigte sich das Magazin zerknirscht:

We screwed up. It shouldn’t have taken a wave of constructive criticism — but it has — to alert us that we’ve made a mistake, possibly several mistakes.[…] We remain committed to and enthusiastic about innovation in digital advertising, but acknowledge—sheepishly—that that we got ahead of ourselves. We are sorry, and we’re working very hard to put things right.

Das wichtigste Problem seien die unklaren Prinzipien gewesen, nach denen Native Advertising bei The Atlantic eingebunden wird. Und tatsächlich lohnt es sich, die eingebettete Werbung zu hinterfragen.

Denn es stellt sich eine offensichtliche Frage: Warum sind Werbekunden bereit, für solchen Content viel Geld auszugeben? Neutrale Antworten gibt es genug. Im Vergleich zu sturen Pop-Ups, blinkenden Bannern und versehentlichen Klicks auf ausufernde Werbungsrahmen sind werbliche Artikel angenehm unaufdringlich. Dazu kommt: Immerhin besteht die Chance, dass die Werbung den Leser sogar interessiert. In diesem Idealfall ist dem Nutzer dann egal, ob er Inhalte von der Redaktion oder vom Werbekunden liest.

Aber Leser sind selten aufmerksam. Selbst eine ziemlich klar gekennzeichnete Anzeige wie die in der New York Times oben kann schnell wie ganz normaler redaktioneller Content erscheinen – gerade wenn der Leser sowieso den Tunnelblick draufhat, um die altbekannte Werbung zu vermeiden. Der Verdacht keimt, dass Werbekunden genau darauf setzen. So könnten sie mit ihren Botschaften von der Glaubwürdigkeit des Mediums profitieren, in dem sie werben. Journalist und Blogger Andrew Sullivan glaubt nicht, dass der Unterschied zwischen Anzeige und Inhalt überhaupt auffallen würde. “Your average reader isn’t interested in that. They don’t realize they are being fed corporate propaganda.”

Ein wichtiger Unterschied ist auch, ob der Content vom werbenden Unternehmen gestellt wird, oder ob Redakteure des Mediums ihn schreiben. Selbst wenn es nur um „gesponserte“ Artikel geht (also wie etwa eine Serie, die von Google präsentiert wird) schreiben in dem Fall Journalisten Artikel, die sie nach der eigenen Entscheidung als Redakteure so nicht geschrieben hätten. Die Unabhängigkeit ist aber noch in anderen Punkten gefährdet: Die Scientology-Werbung in The Atlantic hatte Kommentare erlaubt – die aber möglicherweise vom Marketing-Team des Magazins so moderiert wurden, dass negative Kommentare in der Versenkung verschwanden. Bei einer Privilegierung von Werbekunden fühlen sich Nutzer vor den Kopf gestoßen – erst recht, wenn die Kommentarfunktion ansonsten die gleiche ist wie auf dem Rest der Seite.

Der Nutzen und die Moral von Native Advertising steht und fällt mit der Erkennbarkeit als Anzeige. Seriöse Medien wollen die Anzeigen so deutlich wie möglich als solche kennzeichnen, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Für Werbekunden bringt es aber viel, wenn ihre Anzeigen sich so sehr wie möglich dem redaktionellen Content angleichen.

Advertorials in gedruckten Zeitungen und Zeitschriften gibt es schon lange, und letztlich ist Native Advertising nur der Versuch, diese Werbeform ins Digitale zu übertragen. Dass aber nicht jeder Aspekt von Journalismus eins zu eins von Papier zu Pixeln zu übertragen ist, erfahren Verlage seit mittlerweile 20 Jahren.

The Onion kommentierte die Scientology-Geschichte übrigens beißend:

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