Aufmerksamkeit: Die flüchtige Währung des Internets
Pessimistisch könnte ich sagen:
„Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“ – wenn es um Klickzahlen geht, müssen Onlinemedien häufig Feuilleton und Wirtschaft zurückstellen, um an ihre Page Impressions, Unique Users, Klicks, Links, Retweets und Likes zu kommen. Und wenn schon Politik, dann bitte schön auf Personen heruntergebrochen und voller Reizthemen.
Dass die Realität nicht derart grau ist, ist wohl klar. Trotzdem hat ein Ereignis letzte Woche gezeigt, wie die Umstände im modernen Journalismus zu einer Kettenreakion werden können. Wie Tabea Rößner ihre Handtasche am Frankfurter Flughafen verlor und wie deutsche Medien darauf reagierten, zeigt das Bildblog penibel auf.
An sich eine runde Geschichte: Privilegien für Politiker, Heuchelei von umweltbewussten Grünen, Nachteile für den kleinen Mann. Das garantiert Klicks. Das einzige Problem: Die Geschichte stimmte so nicht, denn der Flieger musste ohnehin warten.
„Keine Sonderbehandlung“, schreibt Tabea Rößner auf ihrer Homepage. „Wegen mir oder meiner Tasche hat sich der Flieger nicht um eine Sekunde verspätet, kein Passagier musste leiden. Das hat und wird die Lufthansa auch gerne jedem bestätigen, der nachfragt.“
Das hat aber offensichtlich kaum jemand getan, wie Bildblog berichtet. Der „Berliner Kurier“ soll den tatsächlichen Grund für die Verspätung zwar am Rande erwähnt haben – nachprüfen lässt sich das nicht, weil der Artikel mittlerweile offline ist. Solche Details gehen beim Abschreiben aber gerne verloren. Die doppelte Wirkung der Content-Syndication mit Schwestermedien und die Abschreibekultur im Online-Journalismus verfremdet die Geschichte weiter, bis am Ende eine Bundestagsabgeordnete fast im Kreuzfeuer der Medien untergeht, die die ganze Geschichte anfangs noch mit Humor nimmt:
Irgendwann verliere ich noch meinen Kopf irgendwo…
— Tabea Rößner (@TabeaRoessner) 13. Januar 2014
Wenn die Dynamik von Nachrichtenagenturen, zusammengelegten Redaktionen, Onlinemedien und natürlich Zeitdruck Fehler produziert, sollten Journalisten ihren Lesern aber dringend ihre Arbeitsabläufe erklären können. Wer einmal am Tag Überschriften scannt und Artikel querliest, bekommt höchstwahrscheinlich kleine oder größere Fehler mit. Wie hoch ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die Korrektur des Fehlers mitbekommt – wenn es denn eine gibt? In diesem Fall: Wie ist das Verhältnis derer, die Rößner für privilegiert und hysterisch halten, zu denen, die die Aufklärung der Story mitbekommen haben?
Denn: Ein „Sorry! Seite nicht mehr verfügbar“ kann Falschmeldungen nicht sonderlich effektiv korrigieren – abgesehen davon, dass so auch jegliche Transparenz flöten geht. Und was das Vertrauen in Zeitungen angeht, stehen solche Studien eines Verbandes von PR-Agenturen solchen von Gallup gegenüber.