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Der Journalismus in den USA ist seit Jahren im Umbruch. Verlage und Unternehmen finden kaum eine Möglichkeit, sich von der Finanzkrise 2008 zu erholen und von den neuen Entwicklungen im Internet zu profitieren. Dennoch gibt es junge Studenten, deren Berufswunsch Journalist ist. Wie bereiten sie sich auf den Einstieg in eine wacklige Branche vor?

Mein Dank gilt Kelsey Semien und Joshua Bolden, beide Journalisten an der University of Memphis, und Prof. David Arant, Leiter des Department of Journalism an der U of M, für ihre Beiträge.

Weil wir glauben, dass der Journalismus der Zukunft – nicht nur im Netz, aber vor allem da – näher an Sie, die Leser, heranrücken muss.“

So begründet die Süddeutsche Zeitung ein neues Format. Die SZ hatte ihre Leser aufgefordert, Themenvorschläge einzureichen, die die Zeitung für ein ausführliches Dossier recherchieren und aufbereiten sollte. Aus den meistgenannten Vorschlägen stellte sie dann drei zur Wahl. Gewonnen hat bei insgesamt gut 6.000 Stimmen das Thema „Steuergerechtigkeit“, mit etwa 40 Prozent.

Noch während der Recherche werden die Journalisten über ihre Arbeit bloggen, außerdem Hinweise per Mail, Twitter und Facebook annehmen und überhaupt sehr vernetzt sein. Schon im Juli soll das nächste Recherchethema an den Start gehen. Das Thema hat unter anderem auch das Interesse des Journalisten und Dozenten Jeff Jarvis geweckt – es scheint, als sei das die Innovation, die der Journalismus braucht.

Natürlich haben Leser schon immer einen Einfluss auf die Themen des Journalismus gehabt. Viele Geschichten haben mit einem wütenden Anruf in der Redaktion begonnen. Die Leserbriefsparte hat ein kleines, extrem moderiertes Forum zur Diskussion geboten, und auf neue Entwicklungen hingewiesen. Aber letztlich war die Themenfindung für Journalisten immer ein Ratespiel. Was will der Leser wissen, welche Informationen braucht er? Aber nicht jeder Journalist in seinem Elfenbeinturm und seiner Edelfeder in der Hand hat sich überhaupt für die Wünsche seines Publikums interessiert. Er hat großzügig die Teile seines Herrschaftswissens preisgegeben, die er für angemessen erachtet hat.

Wie so viele Dinge im Journalismus hat das Internet auch diese Einstellung schwierig gemacht. Die Barriere zwischen Redaktion und Leserschaft ist geschrumpft. Kein Journalist kann mehr behaupten, er wisse nicht, was seine Leser interessiert – zumindest die Leser, die Zeit und Muße haben, Mails zu schreiben oder online zu kommentieren.

Diese Kommunikation in geordnete Bahnen zu lenken, wie es die Süddeutsche Zeitung getan hat, ist da nur die logische Konsequenz. Die Methode hat zwei große Vorteile: Erstens bindet sie den Leser ans Medium. Er fühlt sich ernstgenommen und weiß, dass er einen Einfluss auf die Berichterstattung hat. Zweitens schafft sich die Zeitung einen informationellen Mehrwert und hebt sich von der Konkurrenz ab. In Zeiten der dpa-Bleiwüsten auf Nachrichtenwebsites kann das der entscheidende Vorteil sein, Klicks zu bekommen und eventuell die Bereitschaft zu erhöhen, ein E-Paper, eine Paywall oder ein Abonnement zu bezahlen. Das kann natürlich nicht jede kleine Lokalredaktion leisten, die sowieso unterbesetzt ist – zumindest nicht, ohne mehr Journalisten zu beschäftigen (das ist ein anderes Thema).

Input von außen ist für die Berichterstattung ohnehin essentiell – der Fall Edward Snowden belegt das. Aber eine offene Fragestellung, ein Schubs in eine bestimmte Richtung, das ist neu. Ich halte es für ein hervorragendes Modell.

„Unpaid internships may make the fortress [of journalism] accessible, sometimes, sure. But they only make it accessible to some people, the kind of people who are already over-represented inside. Those who can afford to work for free“, sagte 2011 Bethany Horne, damals Journalismus-Studentin in Halifax in Kanada. Sie spricht damit ein Problem an, das im Journalismus Ungleichheiten schafft.

Praktika sind der Weg in den Journalismus. Nur, indem man schreibt, dreht oder spricht, kann man das Handwerkszeug eines Journalisten lernen und Kontakte knüpfen – kein Studium kann die Praxis ersetzen. Das Problem: Bezahlte Praktika sind rar bis nicht-existent. Gerade die Situation in den USA scheint teils bizarr: Die allermeisten Praktika sind unbezahlt. Der Chicago Tribune etwa stellte 2009 die Bezahlung für Praktikanten ein. Einige wenige Medien wie die L.A. Times bezahlen ihre Praktikanten. Aber weil Studium und Berufserfahrungen in den USA viel enger verflochten und an die Universität gebunden sind, verlangen manche Zeitungen, etwa der Philadelphia Inquirer, dass die Universitäten die Bezahlung der Praktikanten übernehmen sollen. Dafür bieten sie reservierte Plätze für Studenten der Unis an.

Dabei sind die Regeln für unbezahlte Praktika in den USA eigentlich streng: Sie müssen dem Praktikanten für sein Feld nutzen, müssen unterrichtsähnlich sein – und dürfen dem Arbeitgeber nicht von unmittelbarem, etwa finanziellem, Nutzen sein. Ausnahmen gibt es für bestimmte, meist kleine Zeitungen und Websites. Prinzipiell gilt: Wer mit der Arbeit eines Praktikanten Profit machen will, muss wenigstens den Mindestlohn zahlen. Aber die Kultur der unbezahlten Praktika ist besonders im Journalismus weit verbreitet. Und das ist ungerecht. Denn Studenten aus ökonomisch schlechtergestellten Familien können es sich nicht leisten, sechs, acht oder zwölf Wochen ohne Lohn zu arbeiten, und noch dazu in einer Stadt wie New York City oder Washington, D.C., zu wohnen, in der die Mieten empfindlich hoch sind.

Das trifft vor allem die ethnischen Minderheiten in den Vereinigten Staaten, die sozio-ökonomisch generell immer noch schlechter gestellt sind. Laut Umfragen unter Medien sinkt der Anteil von ethnischen Minderheiten in Redaktionen seit 2006, dem höchsten Stand seit Beginn der Umfragen 1978. 2012 lag der Anteil bei zwölf Prozent – bei einem Bevölkerungsanteil von 28 Prozent laut dem US-Zensus 2010. Das macht den Journalismus schlechter, sagen viele Journalisten. Wenn der durchschnittliche Journalist ein weißer Mann aus der Mittelschicht ist, fehlte die Perspektive aller anderen Amerikaner. „This is a loss to the art of journalism and its ability to tell the whole American story“, schreibt etwa David Dennis für den Guardian.

Dennoch scheint das Bewusstsein für diese Zustände geschärft. In den letzten Jahren tauchten immer wieder Geschichten über Praktikanten auf, die ihre „Arbeitgeber“ verklagen. Diana Wang etwa musste 2011 für das Magazin Harper’s Bazaar 55 Stunden in der Woche teils hart körperlich arbeiten und sich um acht andere Praktikanten kümmern – ohne einen Cent Bezahlung. Ebenfalls 2011 klagten zwei Praktikanten gegen die Macher des Films „Black Swan“, 2012 klagte eine Praktikantin gegen die Talkshow Charlie Rose. Angesichts der andauernden Krise des Journalismus deutet aber nichts auf eine tatsächliche Besserung hin. Wenn Verlage gestandene  Redakteure entlassen oder Publikationen ganz einstampfen, wie könnte ein Praktikant da Bezahlung verlangen? Ein Trost bleibt Journalismus-Studenten in den USA: Im Vergleich zu ihrer Altersgruppe sind sie weniger oft arbeitslos und verdienen besser.