Wahlkreise machen Wahlgewinner

Konfession, sozioökonomischer Status und Größe des Wohnorts – schon 1969 hat Paul Lazarsfeld diese drei Faktoren als entscheidend für die Wahlentscheidung entdeckt. Vereinfach gesagt hieß das: Arme, katholische Städter wählen Demokraten, reiche, protestantische Landbewohner wählen Republikaner.

Die USA begünstigen wegen verschiedener Faktoren ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken in der Politik. Im Zwei-Parteien-System ist jede Stimme für eine dritte Partei entweder weggeworfen oder, schlimmer, kommt dem politischen Gegner zugute. Außerdem zieht sich das Mehrheitswahlrecht durch alle politischen Ebenen. Die älteste noch bestehende Demokratie hat so einige Schwachstellen, die gewiefte Politiker ausnutzen können. Als besonders effektiv hat sich aber angesichts dieser links-rechts-alles-oder-nichts-Situation vor allem eins erwiesen: Die Veränderung der Wahlkreise, um einen Sieg für die eigene Partei zu garantieren. Anhand bestimmter Wählereigenschaften kann man seine Wahlentscheidung oft mit großer Sicherheit voraussagen – daher können die Parteien im Voraus planen, um möglichst viele Sitze zu erhalten.

Die Bezeichnung Gerrymandering für diese Praxis stammt aus dem Jahr 1812, als an Demokratie in Deutschland noch nicht zu denken war. Der damalige Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, formte die Wahlkreise für die Staatssenatswahl so, dass seiner Partei ein Sieg garantiert war. Auf der Karte sahen einige der neuen Wahlkreise entfernt einem Salamander ähnlich – daher die Zusammensetzung Gerry-Mander. Die Praxis ist aber nicht nur sehr alt, sondern auch immer wiederkehrend. Denn Wahlkreise werden nach Bevölkerungsentwicklung geformt, die die Volkszählung regelmäßig alle zehn Jahre erfasst.

Theoretisch sind die regierenden Parteien an Regeln gebunden, wenn sie Wahlkreise neu zusammensetzen wollen. Obwohl der Supreme Court 1986 entschied, dass Gerrymandering zugunsten von Parteien nicht legal ist, hatte noch niemand vor Gericht Erfolg. Zuletzt scheiterte 2006 eine Klage in Texas. Nur der Voting Rights Act setzt noch klare Grenzen: Er verbietet Gerrymandering, um ethnische Minderheiten zu diskriminieren und ermöglicht, dagegen zu klagen. Das Resultat sind oft Minority-Majority-Districts – Wahlkreise, in denen eine ethnische Minderheit die Bevölkerungsmehrheit darstellt. Ob das gut oder schlecht ist, ist dabei umstritten. Einerseits garantieren diese Wahlkreise Abgeordnete aus Minderheiten, andererseits bleibt der Effekt der Wahlentscheidung dieser Minderheiten auf bestimmte Kreise beschränkt.

Der Effekt von Gerrymandering sind ungleiche Machtverhältnisse in unterschiedlichen Kammern. Während bei der Präsidentschaftswahl Barack Obama beispielsweise in Pennsylvania und Ohio vorne lag, gewannen bei der zeitgleichen Wahl für das Repräsentantenhaus Republikaner die mit Abstand meisten Sitze in diesen Staaten. Insgesamt erscheint das noch bizarrer: Demokraten erhielten landesweit 1,4 Millionen Stimmen mehr für Abgeordnete des Repräsentantenhauses, aber die Sitzverteilung lautet Republikaner 234, Demokraten 201. Dennoch: Gerrymandering ist ein Spiel, das beide Parteien spielen, auch Demokraten. Einige Staaten gehen aber dagegen vor. So gibt es mittlerweile unter anderem in Washington und Arizona unabhängige Institute, die für die Wahlkreislegung zuständig sind.

Die Taktik des Gerrymandering funktioniert fast nur in Staaten mit Mehrheitswahlrecht. Aber auch in Deutschland wurde Protest laut, als 2001 in Berlin Wahlkreise so zusammengelegt wurden, dass die PDS kaum noch Chancen auf Direktmandate hatte – was aber nur ein schwacher Hauch von der hochtechnischen Mathematik ist, die die Parteien in den USA zu ihren eigenen Gunsten betreiben.

 

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