Hochmosel-Übergang B50neu: Über die Köpfe
In der Moselschleife bei Ürzig soll 2017 eine riesige Brücke Eifel und Hunsrück verbinden. Das Projekt ist durchgeplant, abgesegnet und bereits im Bau – aber noch immer wollen es seine Gegner verhindern. Ihr Kampf ist wohl vergebens.

Hochmoselübergang bei Ürzig (Fotomontage). Quelle: Landesbetrieb Mobilität Trier.
Dies ist die überarbeitete Version eines Artikels, den ich zusammen mit Michael Güthlein für das Abschlussprojekt dieses Sommersemesters geschrieben hatte.
Hugh Johnson steht auf einem Bergkamm mit einem Mikrofon in der Hand. Hinter ihm erstrecken sich Hänge mit unzähligen Rebstöcken voller reifer Trauben entlang der Moselschleife bei Ürzig. Keine Wolke verdeckt die Sonne dieses Spätsommerabends. Der 70-jährige Johnson mit seiner jungenhaften Frisur und einem Bauch, der von viel Genuss zeugt, ist aufgebracht. „Auf der Welt gibt es keinen Wein, der mit Mosel-Riesling vergleichbar ist. Wissen Sie, was für ein Schatz dieses Erbe ist?“, fragt er auf Englisch. Die Zuhörer applaudieren enthusiastisch, aber es ist nur eine Handvoll, die zum Ürziger Würzgarten, einem der vielen Riesling-Weinberge der Gegend, gekommen ist. Dabei ist Hugh Johnson der erfolgreichste Weinkritiker der Welt: Seine Bücher erreichen eine Gesamtauflagevon 3,5 Millionen. Johnson war im September 2009 an die Mosel gekommen, um gegen den „großen Schatten der Nutzlosigkeit“ zu protestieren: den Hochmoselübergang, eine Brücke, die auf einer Länge von 1,7 Kilometern die Eifel- mit der Hunsrückseite der Mosel verbinden soll. Die Aktivistin Sarah Washington, die seit 2008 an der Mosel wohnt, hatte Johnson zum Protest aufgerufen. „Deutschland sollte seine Vorzüge feiern und Infrastruktur nur da bauen, wo sie gebraucht wird“, sagt sie.
Seit 50 Jahren bestehen Pläne für einen Ausbau der Bundesstraße 50 (B50neu), und fast genauso lange wehren sich Anwohner, Aktivisten und Kritiker aus der ganzen Welt dagegen. Die Befürchtung: Eine Brücke über die Mosel störe das empfindliche Mikroklima in den Spitzenlagen der Weinberge, verschandele die Landschaft und schrecke Touristen von einer Gegend ab, die von Besuchern und Wein lebt. Die Anstrengungen blieben aber vergebens: 2008 erhielt das Projekt die endgültige Baugenehmigung, seit April 2009 bohren Arbeiter für die Fundamente der Brückenpfeiler. Auch die letzten Klagen gegen das Projekt waren gescheitert. Die Gegner der Brücke sind müde, aber kämpfen trotzdem weiter – obwohl sie kaum noch Chancen auf Erfolg haben.
Die B50neu umfasst insgesamt 25 Kilometer Strecke. Sie soll die A60 bei Wittlich mit der A61 bei Rheinböllen und damit die Ballungsräume in Belgien und den Niederlanden mit dem Rhein-Main-Gebiet verbinden. Zentraler Teil ist die Brücke, die die Mosel zwischen Ürzig und Zeltingen-Rachtig überqueren soll. Die Behörden hatten eine Fertigstellung 2016 geplant und kommunizieren das auch noch so. Das sei allerdings nicht mehr realistisch, sagt Hans-Michael Bartnick, stellvertretender Leiter des Landesbetriebs Mobilität (LBM) in Trier. Der LBM kümmert sich um Straßen in der Region und leitet damit auch die Planung der B50neu. Mindestens bis 2017 werde der Bau dauern. „Sie können bei einem so großen Projekt nicht von einer Punktlandung ausgehen“, sagt Bartnick.
Gemessen am Planungsvorlauf ist ein Jahr Verzögerung tatsächlich eine kurze Zeit. Angestoßen hatte das Projekt in den 1960er-Jahren, mitten im Kalten Krieg, Heinrich Holkenbrink (CDU), rheinland-pfälzischer Wirtschafts- und Verkehrsminister in den Regierungen von Helmut Kohl und Bernhard Vogel. Als Verbindung der US-Militärbasen in Bitburg und Hahn untereinander und mit den Häfen der Nordsee sollte die Brücke für einen schnelleren Transport von Truppen, Waffen und Panzern im Kriegsfall sorgen. Die Planungen begannen aber erst Mitte der 1970er-Jahre. Schon 1978 gründeten Anwohner die „Bürgerinitiative Rachtig“ und warnten: „Noch ist das Moseltal schön und still, das man durch die Brücke zerstören will.“ Der Protest war vielleicht verfrüht. Denn es dauerte bis zum Jahr 2000, bis die Planfeststellung abgeschlossen war. Damals regte sich der Protest wieder. Nicht nur die Brücke über die Mosel kritisieren die Gegner, der Bau der Straße dorthin versiegle auch den Wasserzufluss für die Weinberge der „Rieslingmeile“. Die Straße folgt über fünf Kilometer dem Steilhang voller Spitzenweinberge.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte nach fertiger Planung gegen die einzelnen Streckenabschnitte geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gab 2003 auch einer der Klagen statt – der Abschnitt, zu dem auch die Moselbrücke gehört, führt durch ein Vogelschutzgebiet, in dem seltene Spechte leben. Auch in der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht siegten die Umweltschützer. Der LBM musste nachbessern – einen Abbruch des Projekts gab es indes nicht. 2007 klagte der BUND erneut gegen den überarbeiteten Plan, scheiterte aber. Das Projekt Hochmoselübergang erhielt im Juli 2008 das uneingeschränkte Baurecht. Die mittlerweile prognostizierten Kosten von 375 Millionen Euro übernimmt zu einem Großteil der Bund, das Land Rheinland-Pfalz beteiligt sich mit Fixkosten von 20 Millionen Euro.
Der Protest der Anwohner in der Region lag brach, bis 2008 die Mittel für die Brücke flossen. Erst Anfang des Jahres war die englische Installationskünstlerin Sarah Washington aus London nach Ürzig gezogen. Als sie dort vom geplanten Bau der Brücke hörte, suchte sie Mitstreiter, fand sie aber erst, als sich die örtliche Initiative wieder regte. Washington schloss sich „Eifel-Mosel-Hunsrück in Bewegung“ an – 2010 gab die Organisation den sperrigen Namen zugunsten von „Pro Mosel“ auf. Die Mitglieder begannen eine Kampagne, über die ab 2009 weltweit Medien, von der New York Times über den Spiegel zur BBC, berichteten. Die meisten Berichte zeugten von Unglaube, wie deutsche Amtsträger eine filigrane Kulturlandschaft mit einer unnötigen Brücke derart verschandeln könnten. Transparente, Buh-Rufe und Trillerpfeifen empfingen Ministerpräsident Kurt Beck, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und seinen rheinland-pfälzischen Kollegen Hendrik Hering (alle SPD) zum ersten Spatenstich 2009.
„Unser größter Erfolg war es, eine große Aufmerksamkeit in der internationalen Weinszene zu erzeugen“, sagt Sarah Washington. Sie war es auch, die Hugh Johnson für den Protest an der Moselschleife hatte gewinnen können. Neben ihm sprachen sich auch die Weinkritiker Stuart Pigott und Jancis Robinson gegen das Projekt aus, das die Wehlener Sonnenuhr, das Zeltinger Himmelreich, den Bernkasteler Doctor und viele weitere berühmte Lagen bedrohe. Das fand Anklang in den Medien. Auch Renate Künast und Joschka Fischer (beide Grüne) schlossen sich der internationalen Kritik an. Bei einem Treffen in einem chinesischen Restaurant in Berlin 2010 sicherten sich die Winzer, die Kritiker und die Politiker gegenseitig ihre Zuversicht zu. Es war der Höhepunkt der Proteste. Aber die Bagger waren schon im April 2009 angerollt. Die Arbeiten an Straße und Brücke hatten längst begonnen. Die Aktionen von Pro Mosel erlahmten wieder.
SPD, CDU und FDP in Rheinland-Pfalz hatten den Hochmoselübergang immer befürwortet. Lediglich die Grünen und die Linken waren dagegen, doch beide Parteien waren nie im Landtag vertreten. Allein die Grünen zogen 2011 in das Parlament ein – und mussten sich in den Koalitionsverhandlungen dem Willen der SPD beugen. Die Arbeiten an der Brücke gingen ungestört weiter. Jetzt sind die Fundamente der ersten Pfeiler gegossen. Auf der Hunsrückseite schweißen Arbeiter die Teile der Trasse zu einer ständig wachsenden Zunge zusammen, die hydraulische Pressen bald über die Mosel schieben werden. Auf der Eifelseite zeigt eine Lücke im Wald, wo die Brücke schließlich ankommen wird.
Georg Laska ist seit 2010 der Vorsitzende von Pro Mosel. Er klingt resigniert, wenn er über die Brücke spricht. „Eine gewisse Ermüdung ist da“, sagt er. „Dass die Bautätigkeit mittlerweile sichtbar ist, drückt natürlich auch auf die Motivation.“ Laska spricht von einem weiteren Kreis von 200 Pro Mosel-Unterstützern, die kürzlich noch einmal Hilfe erhielten: Die Bundestagsfraktion der Linken erfragte Ende Mai mit einer Kleinen Anfrage den Stand des Projekts – und den Nutzen, würde es abgebrochen. Doch die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig. Denn das Projekt befinde sich mitten im Bau, viele Teile seien schon fertig, die Verträge mit den Baufirmen geschlossen. Verlorene Investitionen wären die einzige Folge eines Stopps, sagt die Bundesregierung. 78 Prozent der Kosten seien bereits vertraglich gebunden, bestätigt Hans-Michael Bartnick vom LBM.
Und die Politik glaubt die Menschen auf ihrer Seite. „Die Bevölkerung steht sehr geschlossen hinter dem Projekt“, hatte Hendrik Hering in einem ZDF-Interview 2009 gesagt. Georg Laska bezweifelt das. „Die Bürgerschaft war schon immer gespalten. Viele sehen in der Brücke eine Chance. Für die anderen ist das nur ein sinnloses Betonteil.“ Seine Mitstreiterin Sarah Washington betont vor allem die Menge an internationalen Brückengegnern. Als der Bernkasteler Winzer Ernst Loosen etwa 2010 von einer Reise nach Australien und Asien wiedergekommen war, hatte er gesagt: „Man ist keine zehn Minuten aus dem Flieger, schon wird man gefragt: ‚What’s going on with that fucking bridge?’“
Die internationale Aufmerksamkeit sorgte auch für neue Anstrengungen gegen die B50neu. Ernst Loosens preisgekrönte Rieslinge hatten die Amerikanerin Jessica Pierce angelockt. „Die Gegend und die Pläne dafür selbst zu sehen, hat mir die Augen geöffnet“, sagt die 31-Jährige Sommelière, die im italienischen Pollenzo an der Universität für Gastronomie studiert. Zur Vorbereitung auf ihre Masterarbeit hatte sie 2013 bei Loosen als Praktikantin angeheuert. „Die Brücke ist eine physische Verkörperung der Globalisierung“, erklärt sie, und auch sie wollte etwas tun – mit anderen Mitteln als Pro Mosel. Ihre Idee: Ein Film über die Veränderungen, die die Brücke mit sich bringt, um Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen für die Bewohner zu lenken. Pierce brauchte allerdings Kameras und Hilfe beim Schneiden. Deswegen sammelte sie auf einer Crowdfunding-Website Spenden. Sie wandte sich an Sarah Washington, die per E-Mail dazu aufrief, Pierce zu unterstützen. Für ihr Projekt wollte sie 30.000 Dollar – scheiterte jedoch. 64 Spender hatten ihr nur 4.950 Dollar versprochen, darunter auch Hugh Johnson. Er sagte: „Ich halte den Film für eine hervorragende Idee und unterstütze ihn. Ich finde, jeder sollte etwas spenden, auch wenn es nur ein Dollar ist.“ Trotzdem platzte das Projekt auf der Website. Pierce will den Film trotzdem machen. „Auf eine Art ist es ein Protest, und ich hoffe, er inspiriert andere“, sagt sie. In ihrer Heimat Oregon hatte sie Spenden für eine Kamera gesammelt, außerdem will sie sich auf Stipendien für den Film bewerben. Mindestens bis Dezember wird sie ohnehin an der Mosel bleiben, um bei der Weinernte im Herbst zu helfen. „Es wird länger dauern, als ich gehofft hatte, aber ich werde diesen Film machen“, sagt Pierce.
Mitglied von Pro Mosel ist Jessica Pierce nicht, auch wenn sie deren Sache unterstützt und respektiert, wie sie sagt. Für Hans-Michael Bartnick sind die Proteste und Klagen gegen die B50neu aber lediglich Stolpersteine in der Planung. „Das Projekt ist auf allen Ebenen, politisch, rechtlich und ökonomisch, abgesegnet“, sagt er. Der Widerstand komme nur von einer kleinen Gruppe. Auch die vom Bau unmittelbar Betroffenen seien ausreichend miteinbezogen worden, sagt Bartnick – etwa bei einem Erörterungstermin im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens im Januar 2000. „Da hatten wir in Bernkastel-Kues eine Riesenhalle gemietet, die war gähnend leer“, sagt Bartnick. „Dass die Leute innerlich gegen den Bau wären, haben wir nicht erlebt.“ Sarah Washington sieht das anders. Alle der über 2.000 Einwände von Bürgern seien kurzerhand abgewiesen worden. „Die ganze Sache war reine Formalität“, sagt sie.
Doch Pro Mosel ist jetzt matt. Die Chance ist gering, den Bau der Brücke und der Straße noch verhindern zu können, und das wissen die Mitglieder. Trotzdem bereiten sie einen weiteren Stolperstein vor. Vor dem Verwaltungsgericht Trier wollen sie gegen das Land Rheinland-Pfalz klagen, um Einblick in Akten der Baufirmen zu erhalten. Es gebe vielleicht Probleme mit der Statik, sagt Georg Laska, der Bau habe sich verzögert, es drohe eine „Kostenexplosion“. Die Firmen hatten die Einsicht zunächst abgelehnt und sich auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse berufen. Doch Fragen nach etwaigen Problemen mit der Statik der Brücke hatte die Bundesregierung bereits im Juni abgewiegelt. „Es gibt kein neues Problem mit der Statik. Die Gegner der Brücke suchen nur Gründe, kontinuierlich zu stören“, sagt auch Bartnick. Georg Laska dagegen sieht in der Klage die größte verbliebene Chance von Pro Mosel. „Viele Großprojekte wurden erst nach Jahrzehnten gestoppt. Wir werden also nicht aufgeben.“ Das Gericht hat der Klage noch nicht stattgegeben. Laska weiß nicht, wann es zu einem Prozess kommen könnte.
Die Berichte in Zeitungen auf der ganzen Welt, der Besuch von Hugh Johnson, die Unterstützung von Spitzenpolitikern– es scheint, als sei all der Protest umsonst gewesen. Zu spät hatten die Brückengegner die Kraft gefunden, sich weiter zu wehren. Die Behörden haben Tatsachen geschaffen, die den Gegnern wortwörtlich über den Kopf wachsen. Was bleibt, ist Hoffnung. „Wir werden weiter nach Möglichkeiten suchen, zu zeigen, wie verrückt es ist, die Weinkulturlandschaft der Mittelmosel in Gefahr zu bringen“, sagt Sarah Washington. Vielleicht gebe es ja auch einen Sinneswandel nach der nächsten Wahl. „Es ist unwahrscheinlich, aber es sind schon seltsamere Dinge passiert.“ Konkrete Aktionen haben die beiden gerade nicht geplant.