Es ist schon einige Tage her, und im Prinzip ist zu Matthias Matusseks Haltung alles geklärt. Er hat sich ganz schön bemüht, zu provozieren. Sicherlich hat er das auch geschafft. Der kalkulierte Eklat ist aber ausgeblieben, vielleicht auch, weil seine Haltung zu Homosexuellen nichts besonders Neues für ihn ist. Aber sein Traktat „Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“ steckt auch noch voller logischer Fehler. Eine stringente Argumentation fehlt – und wenigstens das könnte man doch erwarten, wenn einer eine provokante Haltung belegen will.

Darauf entfuhr es meinem Freund: „Wahrscheinlich darf ich jetzt auch in Gegenwart eines Rollstuhlfahrers nicht mehr von meinem Wanderurlaub erzählen, weil das kränkend sein könnte.“ Nicht, dass er je so taktlos wäre, das zu tun. Aber, Sie verstehen, im Analogieschluss hatte er Homosexualität zu einem Handicap erklärt. Zu einer defizitären Form der Liebe.

[…]

Bei uns würde ihm zumindest die öffentliche Ächtung drohen, der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Demokraten.

In aller Panik und Paranoia vor der neuen „Ideologie des Regenbogens“ meinen einige Menschen, sie würden ob ihrer Heterosexualität verfolgt. Dabei nehmen Homosexuelle nur mittlerweile ihr Recht in Anspruch, öffentlich als solche aufzutreten – so wie es Heterosexuelle auch tun, in allen Ausprägung von Händchenhalten bis spontanem Sex. Das allein reicht anscheinend schon aus, Angst auszulösen. Also suchen die Eingeschüchterten nach Argumenten, warum ihre Lebensweise die „normale“ ist. Mit „defizitär“ etwa meint Matussek, dass homosexuelle Liebe keine Nachkommen produzieren kann und deshalb minderwertig ist:

Im naturrechtlichen Verständnis, das die Kirche von einer idealen Liebesbindung hat, ist die Polarität der Geschlechter vorausgesetzt, weil nur sie für den Schöpfungsauftrag sorgen kann, der in Mose 1,28 so klingt: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: „Gehet hin und mehret euch …“

Was die Kirche (damit meint Matussek die katholische) sagt, ist aber in einer liberalen Demokratie vollkommen nichtig. Was sie sagt, gilt nur für die, die ihr folgen – offiziell also noch etwa ein Drittel der Bevölkerung. Und die biologischen Kenntnisse der Bibel-Autoren kann man zumindest in Frage stellen, etwa was die Polarität der Geschlechter angeht.

Homophobie hat mittlerweile dem Antisemitismus als schlimmste ideologische Sünde den Rang streitig gemacht.

Wie man diesen Satz auch nimmt, unanständig ist er immer. Entweder unterstellt er der Bevölkerung, Antisemitismus nicht ernst zu nehmen, oder er nimmt ihn selbst nicht ernst.

Anlass der Maischberger-Sendung war die Petition von über 200.000 Eltern gegen das rotgrüne Programm einer Sexualerziehung, in der, als fächerübergreifender Grundton, die Vielgestaltigkeit und Gleichheit aller sexuellen Vorlieben gepredigt werden soll: Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität, alles völlig normaaaal. Alles wurscht.

Soweit bekannt. Aber Argumente gegen den Bildungsplan hat Matussek keine, außer dem Unterton des ganzen Kommentars: Früher haben wir es doch auch nicht so gemacht, warum jetzt damit anfangen?

Wir versichern uns ständig, wie normaaaal das alles doch ist, auch wenn wir es natürlich irgendwie spannend finden, ob Georg Clooney jetzt so oder andersrum ist oder beides. Wir hinken sozusagen unserer Normalform hinterher, ständig. Alles ist gleich, morst unser gesellschaftliches Über-Ich unserm widerborstigen Es nahezu pausenlos zu, aber offenbar ständig erfolglos. Wir möchten ins Gehirn rein, möchten unsere affektiven Einstellungen auf Vordermann bringen und scheitern doch immer wieder an diesem neuen elften Gebot: Dir soll alles, was rund um den Sex passiert, wurscht sein.

Das Argument übersetzt: Menschen interessieren sich für Sex, also kann Homosexualität nicht normaler Bestandteil des Alltags sein. Oder so.

Bei dieser Gelegenheit: Warum wird eigentlich der Sadomasochismus im Lehrplan der baden-württembergischen Kindererziehung übergangen?

Das ist im Prinzip das beliebte Slippery-Slope-Argument amerikanischer Konservativer: Wenn wir jetzt schon Homosexuelle anerkennen, müssen wir das dann auch mit Zoophilen tun? Nekrophilen? Andererseits bringt Matussek hier sexuelle Ausrichtungen mit sexuellen Praktiken durcheinander. Was das miteinander zu tun haben soll, erklärt er nicht.

Sie propagiert die Familie, für die in unserer Gesellschaft sehr wenig getan wird.

Was hat die Anerkennung von Homosexualität mit der Förderung von Familien zu tun?

Was für ein Eiertanz um die einfache Tatsache, dass die schwule Liebe selbstverständlich eine defizitäre ist, weil sie ohne Kinder bleibt.

So wie zig andere Formen der Liebe, etwa wenn sich Menschen bewusst gegen Kinder entscheiden, oder wenn ein Partner zeugungsunfähig ist. Fortpflanzung als einzige Legitimation von Liebe?

So, und nun lasse ich mich gerne dafür steinigen, dass ich Spaemann und Aristotels zustimmend zitiere. Oder auch dafür, dass ich keine Lust habe, mich von den Gleichstellungsfunktionären plattmachen zu lassen […] Ich lasse mir meine Gedankenfreiheit nicht nehmen, das gehört zu meinem Stolz als Publizist.

Matusseks Selbststilisierung als Märtyrer ist lächerlich, wenn er doch nur ausspricht, was viele Leute glauben. Niemand nimmt ihm die Gedankenfreiheit, aber wenn er Dinge in der Öffentlichkeit äußert, muss er mit Antworten rechnen. Das ist keine Zensur, das ist keine Gedankenkontrolle, das ist Diskurs.

[…] Ich habe nach wie vor Reserven, wenn ich im Fernsehen zwei schwule Männer serviert bekomme, die perfekte Eltern sind und völlig normaaaal einen kleinen Jungen adoptiert haben, oder eine andere Kleine mit ihrer Liebe beschenken, die sie sich über Leihmütter in der Ukraine oder Indien organisiert haben.

Ich dachte, homosexuelle Liebe bleibt ohne Kinder? Oder zählt das nur, wenn auch beide Partner die biologischen Eltern sind? Ist Adoption also per se verwerflich? Wo ist das Argument gegen den „homosexuellen Lebensstil“? Mit Matusseks eigener Aussage stirbt sein Hauptargument gegen homosexuelle Liebe, auch wenn er das so nicht wollte – vielmehr wollte er die Bestrebung homosexueller Paare, Kinder zu haben, in die Lächerlichkeit ziehen.

Ich glaube nicht, dass die Ehe zwischen Männern oder Frauen gleichen Geschlechts derjenigen zwischen Mann und Frau gleichwertig ist. Punkt. Nicht, dass die Veranlagung Sünde wäre – ich glaube, der liebe Gott liebt alle seine Geschöpfe. Doch ich glaube auch an die Polarität der Schöpfung und daran, dass es für Kinder wichtig ist, diese Polarität zu erleben.

Dass Matussek nicht an die Gleichwertigkeit glaubt, ist seit dem ersten Absatz klar. Noch nicht aber, warum er das glaubt. Und aus seiner Glaubenssicht: Homosexualität ist also keine Sünde, Gott liebt auch Schwule und Lesben, aber trotzdem ist die Schöpfung eigentlich polarisiert – warum hat Gott diese Nicht-Sünde dann überhaupt erschaffen? Wenn Matussek konsequent wäre, müsste er entweder seinen Glauben anzweifeln. Oder er lügt, wenn er sagt, dass er Homosexualität nicht für Sünde hält. Denn dann impliziert er, dass Sexualität wählbar ist, sich also Menschen gegen Gottes Plan wehren. Ist das keine Sünde?

Warum Kinder Polarität erleben müssen, haben wir auch noch nicht erfahren.

Wahrscheinlich bin ich homophob wie mein Freund, und das ist auch gut so.

Matussek hält das wohl für eine mutige, provokante Aussage. Indem er Klaus Wowereits geflügeltes Wort aufgreift, will er wiederum seine gefühlte Außenseiterposition betonen. Jegliche Begründung für seine Haltung fehlt aber. Der ganze Kommentar ist ein einziges non-sequitur, eine Mischung aus Anekdoten, kindischem Trotz, Märtyrertum, Strohmannargumenten und Bibelverweisen. Gut so ist das nicht.

„The driving force behind this unparalleled era of growth is David Miscavige, ecclesiastical leader of the Scientology religion. […] He has led a renaissance for the religion itself, while driving worldwide programs to serve communities through Church-sponsored social and humanitarian initiatives.“

Das sind normalerweise keine Sätze, die man in einem progressiven, liberalen Magazin wie The Atlantic über die umstrittene Scientology-Organisation lesen würde. Und doch hyperventilierte im Januar 2013 ein solcher Artikel in freudiger Erregung über die Neueröffnungen von Scientology-Kirchen.

Das liegt daran, dass Scientology für den Artikel bezahlt hatte. Als „Sponsor Content“ ausgewiesen, erscheint bei The Atlantic Werbung, die sich in das Erscheinungsbild der Seite einfügen soll – Native Advertising. Innerhalb des zögerlichen Werbewachstums im Internet wird Native Advertising wichtiger: 2013 stieg der Umsatz in den USA um knapp 40 Prozent auf 1,56 Milliarden Dollar; im Jahr zuvor hatte es bereits einen Anstieg um rund 56 Prozent gegeben. Das steht im Vergleich zu klassischer Bannerwerbung mit einem Umsatz von über acht Milliarden Dollar. Native Advertising können gesponserte Tweets oder Facebook-Posts sein, aber eben auch ganze Artikel, die eine Botschaft eines Werbekunden transportieren sollen. Deren Vorteile zeigt Solve Media in einer übersichtlichen Infografik.

Seit ihrem Relaunch diesen Januar zeigt auch das Flaggschiff des US-amerikanischen Journalismus, die New York Times, die eingebettete Werbung (Bild via Business Insider):

Auch deutsche Onlineredaktionen denken über Native Ads nach – oder haben sie schon. In einer Umfrage des „Journalist“ zeigten sich allerdings ganz verschiedene Meinungen dazu. Von „machen wir schon“ bis „kommt uns nicht unter“ ist alles dabei.

Denn Abschreckung gibt es genug. Für The Atlantic war der Ausflug in neue Werbeformen zunächst ein Desaster: Schnell häufte sich die Kritik an der Scientology-Anzeige, gerade zwölf Stunden später löschte die Seite den Artikel. Im Statement dazu zeigte sich das Magazin zerknirscht:

We screwed up. It shouldn’t have taken a wave of constructive criticism — but it has — to alert us that we’ve made a mistake, possibly several mistakes.[…] We remain committed to and enthusiastic about innovation in digital advertising, but acknowledge—sheepishly—that that we got ahead of ourselves. We are sorry, and we’re working very hard to put things right.

Das wichtigste Problem seien die unklaren Prinzipien gewesen, nach denen Native Advertising bei The Atlantic eingebunden wird. Und tatsächlich lohnt es sich, die eingebettete Werbung zu hinterfragen.

Denn es stellt sich eine offensichtliche Frage: Warum sind Werbekunden bereit, für solchen Content viel Geld auszugeben? Neutrale Antworten gibt es genug. Im Vergleich zu sturen Pop-Ups, blinkenden Bannern und versehentlichen Klicks auf ausufernde Werbungsrahmen sind werbliche Artikel angenehm unaufdringlich. Dazu kommt: Immerhin besteht die Chance, dass die Werbung den Leser sogar interessiert. In diesem Idealfall ist dem Nutzer dann egal, ob er Inhalte von der Redaktion oder vom Werbekunden liest.

Aber Leser sind selten aufmerksam. Selbst eine ziemlich klar gekennzeichnete Anzeige wie die in der New York Times oben kann schnell wie ganz normaler redaktioneller Content erscheinen – gerade wenn der Leser sowieso den Tunnelblick draufhat, um die altbekannte Werbung zu vermeiden. Der Verdacht keimt, dass Werbekunden genau darauf setzen. So könnten sie mit ihren Botschaften von der Glaubwürdigkeit des Mediums profitieren, in dem sie werben. Journalist und Blogger Andrew Sullivan glaubt nicht, dass der Unterschied zwischen Anzeige und Inhalt überhaupt auffallen würde. “Your average reader isn’t interested in that. They don’t realize they are being fed corporate propaganda.”

Ein wichtiger Unterschied ist auch, ob der Content vom werbenden Unternehmen gestellt wird, oder ob Redakteure des Mediums ihn schreiben. Selbst wenn es nur um „gesponserte“ Artikel geht (also wie etwa eine Serie, die von Google präsentiert wird) schreiben in dem Fall Journalisten Artikel, die sie nach der eigenen Entscheidung als Redakteure so nicht geschrieben hätten. Die Unabhängigkeit ist aber noch in anderen Punkten gefährdet: Die Scientology-Werbung in The Atlantic hatte Kommentare erlaubt – die aber möglicherweise vom Marketing-Team des Magazins so moderiert wurden, dass negative Kommentare in der Versenkung verschwanden. Bei einer Privilegierung von Werbekunden fühlen sich Nutzer vor den Kopf gestoßen – erst recht, wenn die Kommentarfunktion ansonsten die gleiche ist wie auf dem Rest der Seite.

Der Nutzen und die Moral von Native Advertising steht und fällt mit der Erkennbarkeit als Anzeige. Seriöse Medien wollen die Anzeigen so deutlich wie möglich als solche kennzeichnen, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren. Für Werbekunden bringt es aber viel, wenn ihre Anzeigen sich so sehr wie möglich dem redaktionellen Content angleichen.

Advertorials in gedruckten Zeitungen und Zeitschriften gibt es schon lange, und letztlich ist Native Advertising nur der Versuch, diese Werbeform ins Digitale zu übertragen. Dass aber nicht jeder Aspekt von Journalismus eins zu eins von Papier zu Pixeln zu übertragen ist, erfahren Verlage seit mittlerweile 20 Jahren.

The Onion kommentierte die Scientology-Geschichte übrigens beißend:

Für eine Berufsgruppe ist die Rente mit 67 gar kein Thema: Profi-Fußballer. Es gibt aber auch Spieler, die machen einfach immer weiter (auch wenn sie nie in der Bundesliga gespielt haben). Die Alten Herren von Mainz 05 hält es teils seit über 60 Jahren auf dem Fußballplatz.
Dieser Beitrag war der Teil einer Sendung des Journalistischen Seminars der Uni Mainz zum Oberthema Demografischer Wandel – die ganze Sendung ist hier.

Wenn jeder Klick bares Geld bedeutet, muss nicht nur der ideelle Inhalt einer Website gut sein – Überschriften, Aufmachung, Layout, Bilder, all das muss passen, um Leser zu ziehen und sie zum Sharen zu bewegen. Seiten wie Buzzfeed, Gawker und Cracked haben das zu ihrem Prinzip erhoben. Mit reißerischen, provokanten oder lockenden Überschriften, die den Leser direkt ansprechen, prominenten Social-Media-Buttons und gut gebrochenen Texthäppchen haben sie ihren Content optimiert (um es werblich zu sagen).

Auffällig ist aber eine Artikelform, die diese Seiten beherrscht: die Liste. 5 Reasons You Shouldn’t Get Mad About Macklemore Winning So Many Grammys, The 5 Most Elaborately Hidden Easter Eggs in Video Games, und viele Beispiele mehr zeigen, wie es geht.

Und das kann nicht nur mit Entertainment, Gossip und süßen Katzenvideos funktionieren, sondern ist auch gut für den Journalismus im Netz – und sonstwo. Warum?

1. Listen erfordern eine klare Struktur im Text

Zu viele Artikel über komplexe Themen überfordern mit Szenenwechseln, verschränkten Argumenten und überflüssigem Füllmaterial. Nicht jeder möchte den literarischen Erguss lesen, der eine Story bunter machen oder „anfeaturen“ soll. Ein Artikel, der fünf Gründe oder vier Folgen oder acht Nebeneffekte aufzeigen will, setzt sich damit automatisch eine klare, transparente Struktur.

2. Listen fördern pointierte Formulierungen

Wenn jeder Punkt einer Liste ein eigenes klares Unterthema ist, fällt Nebensächliches sofort auf – und im besten Fall heraus. Um auf den Punkt zu kommen, braucht der Punkt klare Worte und stringente Argumente. Ein Verstecken hinter Substantivkonstruktionen, Passivformulierungen oder anderen Wortungetümen wird dann schwierig – der Absatz muss seine Überschrift rechtfertigen.

3. Listen ziehen Leser an

Es hat einen Grund, dass die Giganten der Shareabilty und Klickzahlen gewisse Artikelstrukturen bevorzugen – User klicken eher darauf. Das kann der Journalismus auch nutzen: Nicht, indem er triviale oder irrelevante Storys aufbauscht und in ein Schema presst, sondern indem er sperrige Themen anziehend macht . Das könnte gerade den Artikeln zugute kommen könnte, die sonst kaum geklickt werden – deren Inhalt aber trotzdem wichtig ist. Denn:

4. Listen machen Inhalte verständlicher

Dass man in deutschen Redaktionen keine Reformpädagogik umsetzt, ist nicht schlimm. Aber gerade abstrakte Meldungen aus Politik und Wirtschaft können in Listen hervorragend heruntergebrochen werden (auch wenn sich manche wohl scheuen würden, solchen Lokaljournalismusjargon in den Mund zu nehmen). Und wenn die Relevanz für den Leser klar wird, kommt der Leser auch wieder – um mehr über seine Belange zu erfahren und ein paar Page Impressions zu hinterlassen.

5. Listen laden zum Überfliegen ein

Und das ist gar nicht schlimm, denn User lesen Artikel ohnehin nicht bis zum Ende. Aber vielleicht ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie überhaupt auf einen Artikel klicken, wenn klar ist, dass sie den Inhalt auch in Kurzform bekommen können. Das können sie bei einer Meldung natürlich auch, wenn sie nach zwei Absätzen aussteigen. Aber um bei den komplexeren Themen zu bleiben: Vielleicht interessiert sie ja nur ein Aspekt der Geschichte, oder sie wollen vorher wissen, ob sie die Zeit zum Komplettlesen investieren wollen. Und in den Listenpunkten steckt die Zusammenfassung ja schon.

Natürlich sind Listen kein Allheilmittel, aber sie können zumindest Anstöße geben, den eigenen Stil zu überdenken. Weder die knappe Meldung noch die ausführliche Reportage können sie ersetzen, und nicht jedes Thema lässt sich so einfach aufbrechen. Aber zumindest bei der Strukturierung eines Artikels kann es ja nicht schaden, sich das Ganze auch in Listenform vorzustellen. Auch können Listen schwierige Themenkomplexe als Teil der Berichterstattung unterstützen. Vorausgesetzt ist dabei natürlich die normale journalistische Recherche – auf Listen mit oberflächlichen Allgemeinplätzen über ein Thema fallen Leser nicht lange herein.

Weg von Park- und Fensterbank und hin zum Sportplatz, in die Fahrschule und den Vorlesungssaal.
„Alt geworden, jung geblieben – wie sich eine Generation neu erfindet“ am 28. Januar 2014 auf Radio Rheinwelle. Eine Sendung des Journalistischen Seminars der Uni Mainz.

Die Bilder habe ich mit der Kamera meines untere Mittelklasse-Smartphones aufgenommen.

http://www.youtube.com/watch?v=G8ZDvIIoupc

Pessimistisch könnte ich sagen:

„Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“ – wenn es um Klickzahlen geht, müssen Onlinemedien häufig Feuilleton und Wirtschaft zurückstellen, um an ihre Page Impressions, Unique Users, Klicks, Links, Retweets und Likes zu kommen. Und wenn schon Politik, dann bitte schön auf Personen heruntergebrochen und voller Reizthemen.

Dass die Realität nicht derart grau ist, ist wohl klar. Trotzdem hat ein Ereignis letzte Woche gezeigt, wie die Umstände im modernen Journalismus zu einer Kettenreakion werden können. Wie Tabea Rößner ihre Handtasche am Frankfurter Flughafen verlor und wie deutsche Medien darauf reagierten, zeigt das Bildblog penibel auf.

An sich eine runde Geschichte: Privilegien für Politiker, Heuchelei von umweltbewussten Grünen, Nachteile für den kleinen Mann. Das garantiert Klicks. Das einzige Problem: Die Geschichte stimmte so nicht, denn der Flieger musste ohnehin warten.

„Keine Sonderbehandlung“, schreibt Tabea Rößner auf ihrer Homepage. „Wegen mir oder meiner Tasche hat sich der Flieger nicht um eine Sekunde verspätet, kein Passagier musste leiden. Das hat und wird die Lufthansa auch gerne jedem bestätigen, der nachfragt.“

Das hat aber offensichtlich kaum jemand getan, wie Bildblog berichtet. Der „Berliner Kurier“ soll den tatsächlichen Grund für die Verspätung zwar am Rande erwähnt haben – nachprüfen lässt sich das nicht, weil der Artikel mittlerweile offline ist. Solche Details gehen beim Abschreiben aber gerne verloren. Die doppelte Wirkung der Content-Syndication mit Schwestermedien und die Abschreibekultur im Online-Journalismus verfremdet die Geschichte weiter, bis am Ende eine Bundestagsabgeordnete fast im Kreuzfeuer der Medien untergeht, die die ganze Geschichte anfangs noch mit Humor nimmt:

Wenn die Dynamik von Nachrichtenagenturen, zusammengelegten Redaktionen, Onlinemedien und natürlich Zeitdruck Fehler produziert, sollten Journalisten ihren Lesern aber dringend ihre Arbeitsabläufe erklären können. Wer einmal am Tag Überschriften scannt und Artikel querliest, bekommt höchstwahrscheinlich kleine oder größere Fehler mit. Wie hoch ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die Korrektur des Fehlers mitbekommt – wenn es denn eine gibt? In diesem Fall: Wie ist das Verhältnis derer, die Rößner für privilegiert und hysterisch halten, zu denen, die die Aufklärung der Story mitbekommen haben?

Denn: Ein „Sorry! Seite nicht mehr verfügbar“ kann Falschmeldungen nicht sonderlich effektiv korrigieren – abgesehen davon, dass so auch jegliche Transparenz flöten geht. Und was das Vertrauen in Zeitungen angeht, stehen solche Studien eines Verbandes von PR-Agenturen solchen von Gallup gegenüber.

„Ich bin ja nicht für Atomenergie, aber diese Windräder gehören nicht in meinen Garten.“

„Wegen mir können die ja glauben, was sie wollen, aber diese Türme in der Stadt, neben der Kirche?“

Diese Argumente täuschen Toleranz nur vor. Tolerieren bedeutet nicht ignorieren, bedeutet nicht erzwungene Verdrängung. Dass manche Journalisten solche Schutzargumente aber noch vor sich hertragen, hat sich in den letzten Tagen an der Debatte um die sexuelle Orientierung eines ehemaligen Fußball-Nationalspielers gezeigt.

In einem Interview mit der Zeit hat Thomas Hitzlsperger über seine Homosexualität gesprochen. Damit war er der erste A-Listen-Spieler, der das getan hat. Die Reaktionen: Überwiegend positiv. Negative Reaktionen zu seiner öffentlichen Aussage fehlten – zumindest explizite.

Denn das Editorial des Fußball-Leitmediums Kicker war diese:

„Wichtig? Ist etwas passiert?“

Die Antwort: Ja, es ist etwas passiert. Der Profifußball war eine der letzten Bastionen der absoluten Heterosexualität, gleichauf wohl nur mit der katholischen Kirche. Dass die Vorstellung Quatsch war, wusste jeder selbst. Dass sich aber jemand in die Öffentlichkeit wagt, ist neu – und deshalb ist es wert, darüber zu berichten. Erst recht, wenn Fußball das wichtigste Thema eines Mediums ist. Denn worum es geht, ist nicht die sexuelle Orientierung eines einzelnen Spielers, sondern die symbolische Bedeutung ihrer Veröffentlichung. Hitzlsperger drängt auch seine Sexualität niemandem mehr auf als eine Schauspielerin, die im Interview von ihrem Freund spricht.

In einem Video erklärte Hitzlsperger seinen Schritt genauer. „Im Fußball gibt es keine bekannten Homosexuellen. Daher ist es schwer zu sagen, ob es wirklich schwulenfeindlich ist. Man muss warten auf die ersten, den ersten Fußballer, der sich bekennt zu seiner Homosexualität.“

So lange niemand im Fußball offen schwul war, haben schwulenfeindliche Sprüche zumindest niemanden im Umfeld direkt beleidigt. Aber wie in der Gesellschaft hat es die Homosexuellen auch in den Vereinen gegeben. Hitzlsperger sagte, bei „guten Witzen“ habe er auch mitgelacht und sich nicht beleidigt gefühlt. Ist aber jeder auf Dauer so stark?

Die „Rocky Horror Hitzlsperger Show“ hat Jasper von Altenbockum das Coming-Out in der FAZ genannt. Altenbockum interpretiert die komplette Diskussion um: Weil es Homosexuellen in Deutschland besser als anderswo gehe und die meisten Menschen normal mit ihnen umgingen, sei der implizite Vorwurf der Homophobie an die Deutschen – Diskriminierung. Ergo: „Es sollte nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: ‚Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.'“

Hitzlsperger hat aber niemandem Homophobie vorgeworfen. Dafür, dass Altenbock das Coming-Out als „harmlos“ erachtet, rutscht er erstaunlich schnell in dystopische Fantasien von schwulen Diktaturen und Unterjochung von Vater-Mutter-Kind ab. Denn die Grundannahme des Arguments ist schon falsch: Homosexuelle sind in Deutschland weder gleichberechtigt noch allgemein anerkannt. Altenbock will nicht zur Toleranz gezwungen werden, aber die Gleichbehandlung von gesellschaftlichen Gruppen ist ein größeres Gut als sein abschätziges Unwohlsein. „Die kleindeutsche Paranoia des Reaktionärs“ nennt das Georg Diez bei Spiegel Online.

Analog dazu schreibt Johannes Kram bei Vocer: „Wieso haben eigentlich Schwule so viele Jahre dafür gekämpft, anders sein zu dürfen, wenn sie jetzt ihr Anderssein so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zerren?“ Damit bringt er eloquent sein eigenes Missverstehen zum Ausdruck. Normal ist Schwulsein mittlerweile in manchen, vielleicht vielen Gesellschaftsgruppen, aber eben nicht im Fußball. Und ob das ganze nur ein Marketing-Schachzug war, kann niemand außer Hitzlsperger selbst bewerten.

Dabei ist dessen Aussage so klar wie einfach: „Ich möchte gern eine öffentliche Diskussion voranbringen – die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern.“

Das zumindest hat er geschafft.

„If they don’t demonstrate some social responsibility it would be very difficult for government to stand back and not to act.“

Das sagt der Regierungschef einer liberalen, westlichen Demokratie über die Presse in seinem Land. David Cameron, Premierminister des Vereinigten Königreichs, will nicht, dass der Guardian und andere Zeitungen weitere Informationen von Edward Snowden veröffentlichen. Wie immer begründet er das mit der Gefahr für Leib und Leben seiner Staatsbürger, mit der Abwehr von Terrorismus, und wie immer betonte er die demokratische Legitimierung der vollkommenen Ausspähung.

„Tätig geworden“ ist seine Regierung aber längst. Im August hielten die Behörden den Brasilianer David Miranda fest, den Lebenspartner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald. Neun Stunden wurde er am Flughafen Heathrow befragt und musste seinen Laptop, sein Telefon und Speichermedien hergeben. Die Behörden handelten auf Grundlage des Terrorism Act von 2000, der es den Behörden erlaubt, Menschen festzuhalten, wenn sie in Verbindung mit Terrorismus stehen sollen. Zeit Online schreibt zu dem Gesetz:

Das britische Anti-Terrorgesetz erlaubt es den Sicherheitsorganen, bei Grenzkontrollen Personen bis zu neun Stunden festzuhalten. Die Betroffenen hätten nicht automatisch das Recht auf einen Anwalt. Außerdem sei es eine strafbare Handlung, bei der Befragung die Aussage zu verweigern.

Das tritt jeden Rechtsstaat mit Füßen. Bizarr: Mirandas Behandlung war nur möglich, weil er persönlich von Rio de Janeiro nach London fliegen musste, um dem Guardian die Dateien von Glenn Greenwald zu überreichen – denn wenn er sie elektronisch übermittelt hätte, hätten sie leicht abgefangen werden können. Das zeigt, wie die Angst vor Überwachung eine Gesellschaft einschüchtert und „kleinlichen Racheakten“ (Amnesty International) ausliefert.

„We have a free press, it’s very important the press feels it is not pre-censored from what it writes and all the rest of it“, sagte Cameron Anfang der Woche weiter. Doch auch wenn es keine institutionelle Präventivzensur gibt, zeigt allein Mirandas Beispiel, wie sehr totale Überwachung die Presse einschränkt. Aber Cameron scheint sich nicht einmal zu schämen, solche Sätze von sich zu geben: „The approach we have taken is to try to talk to the press and explain how damaging some of these things can be and that is why the Guardian did actually destroy some of the information and disks that they have.“

Damit bezieht er sich auf die Vernichtung von Speichermedien des Guardian. Nein, es waren nicht die Behörden, die sie zerstört haben, aber die Techniker des GCHQ waren dabei und hatten Rückendeckung von der juristischen Drohung der Regierung, die eine weitere Berichterstattung vielleicht verhindert hätte – weswegen der Guardian lieber weiter berichten wollte. Von einer freundlichen, rationalen Überzeugung unter Partnern kann also kaum die Rede sein. Dass die Episode auch zeigt, wie verbissen manche Behörden die Existenz digitaler Kopien übersehen wollen, ist dabei nur eine Randnotiz.

Am Freitag wurde nun bekannt, dass die Behörden David Miranda tatsächlich Beteiligung am Terrorismus vorgeworfen hatten, auch wenn keine Anklage erhoben wurde. Glenn Greenwald zeigt sich auf Twitter angewidert:

An zwei Stellen kommt aber im Moment noch Bewegung in die Sache. Boris Johnson, Bürgermeister von London und Parteifreund von David Cameron, verteidigte die Veröffentlichung der Snowden-Informationen, und nach dem Besuch von Hans-Christian Ströbele in Moskau ist nun die deutsche Regierung unter Zugzwang – denn Snowden wäre bereit zur Aussage in Deutschland, wenn er Asyl oder Bleiberecht erhalten würde.

Während deutsche Medien noch überlegen, wie sie Leser auf ihren Online-Auftritten halten und einbinden können, gibt es in den USA dafür schon seit 2009 ein Vorbild – mit einem bitteren Nachgeschmack.

Unter den drei großen Nachrichtensendern ist Fox News das konservative Gegengewicht zwischen dem liberalen MSNBC und CNN in der Mitte. Während der Sender journalistisch selbst schon umstritten ist, ist seine Sparte Fox Nation ein noch besseres Beispiel für die Schere zwischen Anspruch und Realität.

Die Website verlinkt zu Artikeln und Videos zu aktuellen, meist politischen Themen, häufig geschrieben von Fox News-Lieblingen wie Bill O’Reilly. Der Tenor der Seite bedient dabei die Ängste der weißen, konservativen, christlichen Republikaner-Wählerschaft – im Moment beherrscht ObamaCare die Startseite. Als Beispiel von den Anfangstagen der Seite: die Überschrift „Why Aren’t White Males Being Considered for Supreme Court?“ vor einem Bild der neun Richter (von denen sieben weiße Männer sind). Die Überschriften und Teaser für die Links sind marktschreierisch und stellten teils den Inhalt der Links missverständlich dar.

Fox Nation ist damit im Prinzip ein konservativer Link-Blog. „We’re calling it a mix between the Huffington Post and Drudge“, sagte ein Sender-Chef zum Start der Website. Was er meinte: Von der Huffington Post will die Seite die Kommentar-Kultur übernehmen, vom Drudge Report den strikt konservativen Einschlag und die Links auf andere Medien. 

Von Kultur kann aber keine Rede sein, wenn es um die Kommentare geht. Das hochtrabende „Mission Statement“ behauptet:

The Fox Nation is committed to the core principles of tolerance, open debate, civil discourse, and fair and balanced coverage of the news. It is for those opposed to intolerance, excessive government control of our lives, and attempts to monopolize opinion or suppress freedom of thought, expression, and worship.

Tatsächlich sind die meisten Kommentare eine Mischung aus Satzfragmenten, Off-Topic-Textblöcken, persönlichen Angriffen auf andere Nutzer und Beleidigungen von Politikern – meist Barack Obama. Der Einschlag ist, wohl wie gewünscht, deutlich konservativ, liberale Einwürfe werden meist niedergeschrieben. Die Huffington Post hatte kurz nach dem Start der Seite diese Kommentare zusammengetragen:

I can’t believe people still don’t get what animals muslims are. They will not stop until they’ve killed us all and ended our way of life. I will never forget what they did to us on 9/11. It’s either us or them people!!!

If Mr Obama wants a democratic presidency, why doesn’t he let „The People“ vote for whether or not „WE“ want Muslims in this country at all! He is making a mockery of the office of „President“. What a disgrace.

YOU SAY OBAMA I SAY OSAMA YOU SAY BIN LIDEN I SAY BIN BIDEN YOU SAY TERRORIST I DSAY PRESIDENT!!!!!!!! WOW , IS THERE ANYTHING HE CANT DO BESIDE RUIN ONE HECK OF A LIFE.

Can anyone say Manchurian Candidate?

kill all ragheads

Osama Muslin HUSSIEN Terrarist!!!!!!!!!!!!

Aber schon Fox Nation selbst zögert nicht, zu beleidigen: Ungläubig fragt etwa eine Überschrift: „Rachel Madd-Cow Gets a Grammy Nomination?“ Rachel Maddow ist eine Moderatorin des Konkurrenzsenders MSNBC. Die politische Agenda der Seite wird auch in ihrer Berichterstattung deutlich. Vor der Präsidentschaftswahl im Herbst 20012 berichtete Fox Nation ausschließlich von den (wenigen) Umfragen, die Republikaner-Kandidat Mitt Romney vor Obama sahen. Und schon nachdem Obama seine Geburtsurkunde online gestellt hatte, ließ Fox Nation das Thema nicht los.

„America’s Talking. All Opinions Welcome“ funktioniert, wie auch das Sendermotto „Fair and Balanced“ nur unter einer Voraussetzung: Der Idee, dass liberale und linke Medien den Mainstream beherrschen, und eine offen konservative Haltung nur ein Gleichgewicht herstellt. Binnen-Fairness findet bei Fox News aber nicht statt.

Mit angsteinflößenden, provokanten Überschriften und Nachrichtenhäppchen können es Medien sicherlich schaffen, ein Publikum zu bedienen, zu unterhalten und zu involvieren. Allein mit Journalismus hat das nicht mehr viel zu tun, vor allem, wenn der politische Einschlag derart deutlich wird und für einen neutralen Beobachter komplett mit dem Anspruch kollidiert. Ein Vorbild für deutsche Medien wird Fox Nation aber wahrscheinlich nicht werden – zu gemäßigt sind Zeitungen und vor allem Sender in ihren politischen Neigungen, erst recht im Vergleich zum emotional aufgeladenen US-amerikanischen Pundit Journalism.

Unter den Artikeln von Fox Nation haben sich aber wohl auch Trotz-Kommentatoren zusammengefunden: Zum Artikel „Dr Carson Explains Why ObamaCare is ‚Worst Thing Since Slavery‘“ kommentiert Nutzer xYodax:

this headline should read

 „token black conservative plays race card to a disgusting level, surpasses liberals“

Auch mit der unterbewussten Aufforderung zur Konfrontation kann eine Website wohl Klickzahlen zusammenklauben.