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Vereinigte Staaten

Oft sind es nicht die großen wirtschaftlichen Probleme, die in der Politik die Gemüter erregen. Obwohl sich Mitt Romney und Barack Obama im Wahlkampf dieses Jahr vor allem die wirtschaftliche Entwicklung der USA vorgenommen hatten, gibt es viele Reizthemen, die für die Entwicklung einer Nation weniger wichtig sind, aber oft das Leben der Bürger ebenso stark betreffen. Wie also steht der Präsident der Vereinigten Staaten zu Marihuana, Homo-Ehe und Abtreibung?

Marihuana

Wie Obama in seiner eigenen Autobiografie geschrieben hat, rauchte er in seiner Jugend selbst Marihuana – und das mehr als gelegentlich. Als Politiker ist er jedoch gegen die Legalisierung der Droge. 17 Staaten erlauben medizinisches Marihuana, die Staaten Washington und Colorado seit kurzem auch den „recreational use“. Bundesgesetz verbietet Marihuana.  Das Verhältnis zwischen Staats- und Bundesgesetzen ist in den USA generell oft gespannt, und die Zahl der Razzien auf die Hersteller von medizinischem Marihuana ist während Obamas Präsidentschaft gestiegen. Obwohl er die Staatsgesetze respektiere, sei es nie seine Ansicht gewesen, dass der massenhafte Anbau der Droge geduldet werden solle, sagte Obama dazu. Das Rolling Stone Magazine fasst dieses juristische und politische Chaos zusammen – eine klare Linie lässt sich jedoch nicht erkennen.

Gleichgeschlechtliche Ehe

Mittlerweile können Homosexuelle in neun amerikanischen Bundesstaaten und dem District of Columbia heiraten. Ein Gesetz auf Bundesebene, der Defense of Marriage Act, definiert Ehe aber als die Verbindung eines Mannes mit einer Frau. Dieses Gesetz gibt Bundesstaaten die Möglichkeit, eine gleichgeschlechtliche Ehe, die in einem anderen Staat geschlossen wurde, nicht anzuerkennen. Als Senator hatte Barack Obama die Ehe ebenfalls im Sinne dieses Gesetzes definiert. Obwohl er für die Gleichbehandlung homosexueller Partnerschaften als Civil Unions einstand, basierte seine Vorstellung der Ehe auf der traditionellen, christlich geprägten Idee. Im Laufe seiner Präsidentschaft hat sich seine Einstellung allerdings geändert. 2011 hat er das Justizministerium angewiesen, den Defense of Marriage Act nicht mehr gerichtlich zu verteidigen.  Dass North Carolina dieses Jahr in einer Abstimmung das Verbot der Homo-Ehe bestätigte, nannte Obama enttäuschend. Im Mai unterstützte er schließlich öffentlich die Ehe – seine Einstellung nannte er immer in der Entwicklung begriffen.

Abtreibung

Viele Religionsgemeinschaften in den USA versuchen, das Thema Abtreibung zu besetzen. Der Abbruch der Schwangerschaft bleibt ein massives Streitthema in der amerikanischen Gesellschaft – die Fraktionen Pro Choice und Pro Life weichen keinen Schritt von ihren Positionen ab. 1973 entschied der Supreme Court im Präzedenzfall Roe v. Wade, dass Frauen generell ein Recht auf Abtreibung haben, wenn auch in gewissen Grenzen. Obama unterstützt dieses Recht. In einem Interview im Wahlkampf 2008 sagte er, dass er die Entscheidungsfreiheit der Frau unterstützt, Abtreibungen aber vermeiden will – Obama setzt auf Aufklärung und Verhütung. Gerade diese Einstellung wird aber oft angegriffen. Erst letztes Jahr etwa stimmten Bürger in Mississippi über ein Gesetz ab, das den Beginn des Lebens im Moment der Empfängnis definiert – und so selbst viele Verhütungsmittel verboten hätte. Das Gesetz scheiterte, aber während sich in den letzten Jahren weniger Menschen als Pro Choice bezeichneten, wächst die Zahl der Pro Life-Unterstützer. Obama ist jedoch keiner von ihnen.

Ungewöhnlich bleiben Obamas eigene Aussagen, dass sich seine Einstellungen zu manchen Themen ändern. Ob das authentische Gedankengänge sind oder nur politisches Taktieren, ist dabei offen. Schwierig genug ist es für ihn, seine liberalen Positionen mit seinen christlichen Werten zu vereinen, ohne unseriös zu wirken. Das ist besonders bei den Fragen der Homo-Ehe und der Abtreibung kritisch, die beide oft vor religiösem Hintergrund diskutiert werden. Darüber hinaus hat der Präsident der USA generell innenpolitisch eine schwächere Haltung, als es nach außen scheint. Dies zeigt sich an den oft konfligierenden Rechtssprechungen von einzelnen Bundesstaaten und der Bundesregierung.

Nicht nur die Nachrichtenmedien müssen sich veränderten Konsumgewohnheiten anpassen – auch die klassischen Plattenfirmen sehen sich mit völlig neuen Möglichkeiten konfrontiert, die das etablierte System auf den Kopf gestellt haben. Aber: Noch ist die Macht der Major Labels über ihre Künstler erdrückend. Die Verträge sollen Musiker im Erfolgsfall langfristig zu binden – und absichern, dass das Label einen großen Anteil am Umsatz haben wird. Doch nur die wenigsten Künstler werden überhaupt erfolgreich, das heißt, können die Vorauszahlungen, die das Label für Aufnahme und Produktion leistet, durch Verkäufe wieder einbringen. Der große Rest bleibt der Firma die Zahlungen schuldig. Die Rechte für die Lieder gehen an das Label. Und diejenigen Bands, die es aus der grauen Masse herausschaffen und deren verkauften Platten in die Millionen gehen, sehen sich plötzlich in einem Vertrag gefangen, der in keinem Verhältnis zum Erfolg der Musik steht. Neuverhandlungen scheitern oft; Bands verdienen weniger als einen Dollar an einem verkauften Album, das für den Endverbraucher schon einmal 20 Dollar kosten kann. Der Rest geht zu einem großen Teil an das Label.

Wie Musikmanager Simon Napier-Bell es beschreibt: “[It] soon became clear that in the music business you didn’t get out of an unfair record contract to get into a fair one; you get out of an unfair contract to get into another unfair one, but with slightly better terms.” Dennoch: In den nächsten Jahren aber wird die Macht der Major Labels  zurückgehen. Die Firmen, die seit Jahrzehnten ein Oligopol auf dem Musikmarkt innehaben, werden an Einfluss verlieren.

Die Umstände der Popmusik in den letzten Jahrzehnten waren vor allem eins: begrenzt. Diese Plattenfirmen hatten ein begrenztes Budget, um Bands unter Vertrag zu nehmen und Aufnahmen, Tourneen und Merchandise zu finanzieren. Radiosender konnten nur eine begrenzte Zahl an Songs am Tag spielen, und die Zahl der Sender war begrenzt von den Frequenzen. Werbung für Musik war begrenzt von der Zahl der Plakatwände, dem Höchstmaß an Werbung in Fernseh- und Radiosendern und der maximalen Seitenzahl von Zeitschriften. Plattenläden hatten nur begrenzten Platz, um Platten auszustellen, und nur begrenzte Mittel, Platten anzukaufen. Der Verbraucher hatte nur begrenzte Möglichkeiten, Musik zu entdecken, je nachdem, wo er wohnt; das heißt, welche Sender er empfängt oder wie viele Läden es in seinem Umkreis gab.

Vom Radio ins Internet

Das alles hat sich mit dem Aufkommen des Internets geändert. Die Vormachtsstellung der Major Labels war, und ist heute noch, auch ihre Infrastruktur und ihre Macht über das System des Vertriebs und der Promotion von Musik. Download-Seiten wie iTunes oder Musicload werden aber immer beliebter und erfolgreicher. Streaming-Dienste wie Spotify, Grooveshark und Pandora machen es in der Zeit des mobilen Internets einfach, Zugriff auf nahezu unbegrenzt viel Musik zu bekommen. Der Gedanke, mit diesen neuen Formen des Vertriebs den Mittelmann, also die Plattenfirmen, auszuschalten, liegt da nahe. Denn wenn die Nutzer im Internet nach einer Aufmerksamkeitsökonomie handeln und den besten Bands die meiste Beachtung schenken, braucht es weniger klassische Werbung – also weniger Unterstützung der großen Plattenfirmen. Zusätzlich wird Musik günstiger, weil Kosten für Verpackung gespart werden können. Das macht legale Downloads für den Konsumenten attraktiv.

Im Internet können Bands ihre Musik selbstständig und effektiv bekannt machen, und haben so die Chance, sich dem Einfluss der Major Labels zu entziehen. Der wichtigste Faktor für die Bekanntheit einer Band war bisher das Airplay, also die Häufigkeit, mit der Songs im Radio gespielt wurden. Radiostationen waren abhängig von den Musikunternehmen, die Alben und Singles zur Verfügung gestellt haben; auf der anderen Seite war und ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Plattenfirma einen Sender bezahlt hat, um eine Single eines Künstler besonders oft zu spielen. Aber obwohl der durchschnittliche Radiokonsum am Tag nicht sinkt, sondern im Gegenteil sogar steigt, gilt Radio als Nebenbei-Medium, das heißt, es wird selten aufmerksam gehört. Um neue Bands zu entdecken, gibt es heute unzählige Möglichkeiten im Internet: Empfehlungen in Social Media oder Rezensionen in Blogs weisen auf Bands hin, die sich auf Last.FM, Soundcloud, Myspace, Youtube oder Bandcamp selbst promoten können. Um die Musik einer Band bekannt zu machen, bietet das Internet geradezu demokratische Möglichkeiten.

Dass vormals unbekannte Bands im Internet entdeckt und große Bekanntheit erlangt haben, ist dabei keine Utopie, sondern Fakt. Der wohl bekannteste Fall dafür ist der Kanadier Justin Bieber, dessen Youtube-Videos einem Musikmanager aufgefallen waren. Ein weiteres Beispiel ist die britische Gruppe Arctic Monkeys, die ohne Plattenvertrag erfolgreiche Konzerttourneen gespielt haben und selbstaufgenommene EPs verkaufen konnten. Beide haben dann den Sprung zum Plattenvertrag gemacht – ein Schritt, der vielleicht in Zukunft überflüssig sein wird.

Plattenfirmen umgehen

Der reine Selbstvertrieb der Musik muss kein Minusgeschäft sein: Bekannte Künstler wie Radiohead oder Prince veröffentlichten Alben gar nicht erst auf CD, sondern ausschließlich als Download – mit einem außergewöhnlichen Preissystem. Das Radiohead-Album In Rainbows wurde 2007 auf der Internetseite der Band für einen Preis angeboten, den der Kunde selbst wählen konnte; der Vertrag der Band bei ihrem Label war ausgelaufen. Der Kunde konnte sich auch entscheiden, nichts zu zahlen, und durfte das Album dennoch herunterladen. Man schätzt, dass die Band mit diesem Vertriebsweg erheblich mehr eingenommen hat, als wenn sie ihr Album auf traditionellem Wege angeboten hätten, und insgesamt mehr Menschen das Album gehört haben, weil der mögliche kostenlose Download attraktiv ist. Dabei basiert die Bekanntheit natürlich schon auf vergangenen Erfolgen – trotzdem zeigt das Beispiel, dass sich Musiker vom traditionellen Vertrieb lösen können.

Die Major Labels behandeln ihre Musiker schlecht im Glauben, unersetzlich zu sein. Diese Arroganz ist aber unangemessen und trägt zu ihrem negativen Image bei. So sind die Verträge, die mit Musikern geschlossen werden, veraltet – zum Vorteil der Labels. Schon beim Mediumsumbruch zwischen LP und CD wurden Verträge nicht angepasst. Kosten für das Jewel Case, die Standardhülle für CDs, wurden oft weiterhin zu hoch angegeben. Aktuell werden noch immer in Verträgen Kosten für Verpackung und ähnliche Posten für alle verkauften Einheiten berechnet – Kosten, die aber beim Vertrieb digitaler Dateien über das Internet schlicht nicht mehr anfallen. Angesichts der steigenden Verkaufszahlen von legalen Downloads und dem Rückgang an CD-Käufen wirkt das besonders bizarr. Viele Verträge, die teils auf zehn Jahre und mehr geschlossen wurden, sind letztlich ein Relikt der Vergangenheit und tragen zum Unmut der Musiker bei, die sich nicht aus ihnen befreien können.

Independent als Zukunft?

Als Alternative zum Selbstvertrieb scheinen klassische Independent Labels unrealistisch, obwohl diese kleineren und dem Namen nach unabhängigen Firmen oft vergleichsweise faire Verträge bieten und sich viele Künstler dort besser aufgehoben und beraten fühlen. Es gibt zwar eine Vielzahl kleiner und winziger Labels – aber seit den 90er-Jahren sind auch die großen Unternehmen auf sie aufmerksam geworden. So gehen seit dieser Zeit viele kleine Labels Kooperationen mit Majors ein, um Produktions- und Vertriebskosten zu senken; viele wurden auch schlicht aufgekauft (ein bekanntes Beispiel dafür ist Sub Pop, ein Label, das vor allem Grunge-Bands wie Nirvana unter Vertrag nahm und später von Warner übernommen wurde). Viele große Plattenfirmen gründeten Subunternehmen, also Pseudo-Independent Labels, die schneller auf Veränderungen in der Musikszene reagieren konnten und ihren Besitzern einen Anteil am kommerziellen Erfolg von Alternative-Musik versprach. Tatsächlich vollkommen unabhängige Kleinstlabels dagegen haben im klassischen Modell weder Ressourcen noch Infrastruktur, eine Band überregional zu fördern; im Internet gibt es die aber.

Die Musikindustrie will Stagnation, weil sich Stagnation für sie noch auszahlt; aber diese Realitätsverweigerung wird letztlich der Grund für den Untergang der Major Labels sein. Ein großer Punkt bleibt aber: Die hochwertige Produktion von Musik ist immer noch ein zeitaufwendiger und vor allem teurer Prozess. Musik aus Eigenproduktion im Heimstudio erreicht nur selten die Qualität professionell produzierter Popmusik. Aber auch hier wird sich die Industrie anpassen – ob mit Bankkrediten für Studioaufnahmen oder mehr unabhängigen Studios oder Producern.

Viele der Informationen über die Musikindustrie in diesem Artikel stammen aus dem Buch „Mix, Burn & R.I.P. Das Ende der Musikindustrie“ von Janko Röttgers, das hier unter CC-Lizenz abrufbar ist. Dieser Artikel ist die gekürzte und aktualisierte Version eines Essays, das ich 2011 als Prüfungsleistung an der Uni Mainz eingereicht habe.

Ein Schrecken geht um durch die deutschen Medien: die Insolvenz. In den letzten Monaten hat es die Nachrichtenagentur dapd, die überregionale Tageszeitung Frankfurter Rundschau und die Wirtschafts-Tageszeitung Financial Times Deutschland getroffen. Steigende Auflagen sind sowieso ein Vergangenheitstraum, aber die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz großer Medien in dieser Form ist neu. Verzweifelt versuchen Verlagshäuser, sich neue Einnahmequellen zu erschließen, um ihre Flagschiff-Zeitungen zu finanzieren – Partnervermittlung, DVD-Serien, Weindekanter.

Aber welche Möglichkeiten gibt es, sich als Zeitung von der Konkurrenz abzusetzen und im Zweifelsfall damit auch noch Geld zu verdienen? Was wohl allen klar ist: Die gedruckte Zeitung wird es nicht ewig geben. Ob in fünf, 15 oder 25 Jahren – wir werden unsere Nachrichten auf Bildschirmen lesen. Daher geht es nicht um die Frage, wie das Printprodukt Zeitung gerettet werden kann, sondern darum, wie journalistische Berichterstattung gerettet werden kann. Das Internet ist hier die zentrale Herausforderung für die Verlage.

Die drängende Frage ist dabei: Wie kann man im Internet Geld verdienen? Mit Online-Werbung alleine kann keine Zeitung ihren Betrieb finanzieren. Seit der Finanzkrise sind die Werbeeinnahmen massiv eingebrochen; darüber hinaus ist Online-Werbung immer noch weitaus billiger als Print-Werbung. Und der andere Teil der Zeitungseinnahmen, der Kaufpreis? Die Geschichte des Internets ist die von freien, kostenlosen Informationen. Die wenigsten sind bereit, plötzlich dafür zu bezahlen, was sie bei der Konkurrenz vielleicht umsonst bekommen.

Geld für Zugang

Trotzdem versuchen es einige Zeitungen mit Bezahlmethoden. Die am weitesten verbeitete ist dabei die Paywall – kein oder nur beschränkter Zugang für Nicht-Zahler. The Times aus London lässt überhaupt kein kostenloses Lesen mehr zu (was sie praktisch ihre komplette Online-Leserschaft gekostet hat), die New York Times bietet nur zehn kostenlose Artikel im Monat an, der Gannett-Verlag hat Paywalls für alle seine 82 Zeitungen (außer USA Today) implementiert – scheinbar erfolgreich. Doch ist auch der Zeitungsmarkt in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eingebrochen.

In Deutschland sind es vor allem viele regionale Zeitungen, die Geld für Artikel sehen wollen. Große Tageszeitungen wie die Süddeutsche oder die Frankfurter Allgemeine bleiben dagegen vollkommen kostenlos – nur die taz führt eine halbgare Bezahlschranke ein, die sich aber nicht besonders von der alten flattr-Aufforderung unterscheidet. Dabei könnte das Konzept gerade bei Lokalzeitungen aufgehen. Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, sieht in lokalen Nachrichten ein großes Alleinstellungsmerkmal. Tatsächlich kann man die DPA-Artikel, mit denen die Mäntel der Lokalblätter gefüllt sind, auch auf Spiegel Online lesen, oder im Zweifel in der Tagesschau die entsprechenden Informationen bekommen. Aber das Derby in der Bezirksliga, die Kreisverwaltungssitzung oder riesigen Schlaglöcher in der Hauptstraße? Das bekommt man nur in der Lokalzeitung.

Dabei ist der Sprung ins Internet aber auch gefährlich. In einem Umfeld, das sich ständig verändert und innovativer wird, kann ein Online-Auftritt schnell altbacken und irrelevant wirken. Die gleichen Artikel, die sowieso in der Printausgabe stehen, einfach nur ins Online-Template einzufügen, ist vielleicht zu einfach. Das Netz bietet eine unübersichtliche Zahl an Darstellungsmöglichkeiten. Bilderserien, Videos, interaktive Grafiken, Podcasts, Blogs – all das gibt es im Print nicht, und kann daher einen Mehrwert für den Leser bedeuten. Die Krux ist: Es muss aber gut gemacht sein. Niemand will sich durch eine Klickstrecke mit 100 Bildern kämpfen, weil ihn eins davon interessiert. Die Mediendaten werden die Klicks freuen, den Leser aber frustrieren und mittelfristig abschrecken. Und das Video, das wie mit der Handykamera gefilmt aussieht, schadet dem Image der Zeitung regelrecht. Hier müssen Zeitungen also abwägen: Was will ich und was kann ich dem Leser bieten? Nicht zuletzt erfordert das auch, neue Mitarbeiter einzustellen – wenn man es richtig machen will.

Neue Konkurrenz

Im Internet muss sich Journalismus mit Qualität von anderen absetzen. Das frühere Alleinstellungsmerkmal – die Möglichkeit der Massenkommunikation – ist für die Verlage dahin. Jeder kann sich einen kostenlosen Blog besorgen und in Konkurrenz zu Zeitungen treten. Wenn der Technik-Redakteur nicht besser ist als der Blogger, ist jeder Grund dahin, für den Zeitungsauftritt zu zahlen. Die Geschwindigkeit der Informationen ist eine weitere Herausforderung. Keine Printzeitung kann mit Online-Redaktionen oder Agenturen mithalten – die Social Media nicht zu vergessen. In Zukunft werden sich Zeitungen neu entscheiden müssen, in welchem Rhythmus sie veröffentlichen wollen. Geht es darum, dem Leser möglichst schnell die neusten Nachrichten zu vermitteln, oder überlässt man das Feld anderen und will mit tiefen oder breiten Artikeln und ausführlichen Analysen Mehrwert bieten? Auch hier werden Zeitungen unterschiedliche Wege eingehen müssen.

Für die Werbeeinnahmen bleibt der Versuch essentiell, möglichst viele Leser auf die eigenen Seiten zu locken. Auch das bedeutet einen Mehraufwand. Einerseits funktioniert das natürlich über die Bindung der Leser, die die Zeitung vielleicht als Lesezeichen markiert haben – dazu muss aber in der Printausgabe auch ständig auf den Onlineauftritt verwiesen werden. Andererseits müssen Zeitungen ihre Arbeit aber auch über Social Media wie Facebook und Twitter bewerben, was wieder neue Kosten und zusätzliche Arbeitsstunden bedeutet. Besonders wichtig ist Search Engine Optimization – das Anbiedern an Google. Umso verwirrender erscheint der Vorwurf vieler Verlage, Google würde vom Inhalt der Online-Zeitungen profitieren. Letztlich ist es umgekehrt. Ohne Verweise von Google wären die Seiten verwaist.

Und nicht zuletzt: Das Internet wird mobil. Smartphones und Tablet PCs werden als Internetzugang immer beliebter. Auch hier dürfen Zeitungen nicht den Anschluss verlieren. Zentral ist hier die Darstellung der Inhalte, die auf den kleineren Bildschirm, den langsameren Prozessor, und die langsamere und eventuell teure Internetverbindung abgestimmt werden muss. Außerdem ist Werbung auf Mobilseiten noch neues Terrain – was funktioniert, was wird abgelehnt? Die Nutzerforschung hinkt hinterher.

Zukunftsmusik

Es ist eine Vielzahl an Herausforderungen, mit denen sich der Journalismus allgemein und die Zeitung speziell konfrontiert sieht. Internet und Wirtschaftskrise haben ein Geschäftsmodell, das hundert Jahre alt ist, sehr schnell auch genauso alt aussehen lassen. Bedenklich ist dabei die Bedrohung der Funktion, die die Presse in einer Demokratie erfüllen soll. Wenn alle Geschäftsmodelle scheitern, die die Verlage probieren, muss man vielleicht über öffentlich-rechtliche Zeitungen im Stil der Rundfunkanstalten nachdenken. Der Unmut gegenüber der Tagesschau-App, die angeblich in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen getreten ist, ist hier aber ein Symptom der Stimmung.

Und bei aller Innovation darf man auch etwas nicht vergessen: Die App der Frankfurter Rundschau war preisgekrönt, dapd hat dpa deutliche Marktanteile abjagen können und neue Sparten gegründet, und die FTD war für ihre Berichterstattung hoch angesehen. Auch bei Medien spielen zu viele Faktoren mit, die man allein mit journalistischer Qualität nicht immer aufwiegen kann.

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist vorbei. Jetzt rückt die Bundestagswahl 2013 näher – und zeigt unterschiedliche Einstellungen zu Geld in der Politik, etwa am Beispiel Peer Steinbrücks. Deutlich werden aber auch zwei vollkommen unterschiedliche Systeme, einen demokratischen Wahlkampf zu finanzieren. Wo der eine Staat es zum großen Teil dem Kandidaten überlässt, seine Kampagne zu stemmen, unterstützt der andere die Parteien mit Steuergeldern. Wie funktioniert die Finanzierung in den Vereinigten Staaten, wie in Deutschland?

USA: Spenden und Super PACs

Schon 2008 gaben Barack Obama und sein Kontrahent John McCain allein über eine Milliarde Dollar im Wahlkampf aus; auch 2012 kamen die Kandidaten dieser Summe nahe.

Das Geld für die Wahlkampffinanzierung kommt dabei von kleinen und größeren Spendern, dem Privatvermögen der Kandidaten und sogenannten Political Action Committees (PAC) – Organisationen, die Wahlkampf betreiben. Dafür gibt es aber Limits: Privatpersonen, Unternehmen oder Gewerkschaften können den Kandidaten, ihren Parteien oder ihren PACs nur eine bestimmte Summe zukommen lassen. PACs wiederum dürfen nur gewisse Summen direkt der Kampagne eines Kandidaten zukommen lassen, aber unabhängig Werbung betreiben. Außerdem exisitiert ein Programm zur staatlichen Förderung des Wahlkampfes, das die Kandidaten aber stark in ihren Ausgaben einschränkt. Diese Regelungen werden von einer unabhängigen Behörde auf nationaler Ebene, der Federal Election Commission, überwacht.

Mit zwei kontroversen richterlichen Entscheidungen 2010 mussten sich die Kandidaten allerdings nicht mehr nur auf sich selbst und ihre Partei verlassen, was Spenden angeht. Die „Super PACs“ können Spenden in unbegrenzter Höhe von Privatpersonen, Firmen und Gewerkschaften annehmen – unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht mit der Kampagne eines Kandidaten koordinieren. Solche Organisationen haben 250 Millionen Dollar im Wahlkampf für die Unterstützung einzelner Kandidaten ausgegeben. Ingesamt gibt es etwa 1100 Super PACs, von denen aber nur wenige auch im Präsidentschaftswahlkampf mitgewirkt haben.

Super PACs stehen in der Kritik. Die Bürger, die sich der Existenz dieser Organisationen und ihrer Möglichkeiten überhaupt bewusst sind, glauben in der großen Mehrheit, dass sie sich negativ auf den Wahlkampf auswirken. Auch die Presse äußert sich meist besorgt über den großen Einfluss, den reiche Privatleute so auf den demokratischen Prozess haben können.

Deutschland: Staat und Mitglieder

Mitgliedsbeiträge, Spenden und Staatsmittel bilden die Grundlage der Parteifinanzierung in Deutschland, die wiederum die Wahlkämpfe finanziert. Staatliche Förderung erhalten Parteien, die bei der letzten Europa- oder Bundestagswahl mehr als 0,5 Prozent oder bei der letzten Landtagswahl mehr als 1 Prozent der Stimmen erreicht haben. Diese Parteien erhalten Geld pro Wählerstimme, außerdem einen Aufschlag auf  „Zuwendungen“, also Spenden und Mitgliedsbeiträge.

Dabei gibt es eine Obergrenze, die bisher per Gesetz festgelegt war. Für 2012 betrug diese Grenze 151 Millionen Euro, ab 2013 wird der Betrag jährlich angespasst. Weil Parteien aber nicht hauptsächlich vom Staat finanziert werden dürfen, kann die Förderung pro Partei nicht deren Eigeneinnahmen übersteigen. Deswegen erhalten die Parteien nicht die vollen Mittel, die ihnen pro Wählerstimme zustehen würden, sondern gekürzte Beträge. Laut dem Rechenschaftsbericht der politischen Parteien nahm die CDU so im Jahr 2010 etwa 138 Millionen Euro ein, davon knapp 18 Millionen Euro an Spenden. Die SPD nahm 147 Millionen Euro ein, davon knapp 10 Millionen Euro an Spenden. Den Großteil machen jeweils die Mitgliederbeiträge aus.

Für den Bundestagswahlkampf 2009 gaben die Bundestagsparteien nur rund 60 Millionen Euro aus – ein winziger Betrag im Vergleich zu den Ausgaben der amerikanischen Kandidaten.

Warum?

Im Vergleich zu dem Spendenaufkommen und den Wahlkampfkosten in den USA fällt so leicht die Relevanz der staatlichen Förderung der Parteien in Deutschland auf. Auf den Wahlkampf bezogen, kommen aber noch mehr Faktoren ins Spiel. In den USA gibt es durch die größere Bevölkerung mehr Potenzial für Spenden, die Parteien brauchen aber auch mehr Personal für den Wahlkampf, was höhere Lohnkosten und Spesen bedeutet, Werbung in den nationalen Zeitungen und Fernsehsendern kostet weitaus mehr als in deutschen Medien, Plakatwerbung ist teuer, wenn man das ganze Land damit abdecken will, die Reisekosten, etwa der Kandidaten, sind in dem großen Land höher – und schon der parteiinterne Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat kostet viel Geld und muss mit Spenden oder privat finanziert werden.

Hinter der Parteien- und Wahlkampffinanzierung in den beiden Ländern stehen gänzlich unterschiedliche Philosophien. Welcher Weg der richtige ist, bleibt Ansichtssache. Dass es in beiden Systemen Probleme und Fehler gibt, zeigen etwa Spendenaffären auf der einen und plutokratische Züge auf der anderen Seite.

Die USA haben ein Zwei-Parteien-System. Seit 1853 war jeder Präsident entweder Mitglied der Demokratischen oder der Republikanischen Partei. Das bedeutet allerdings nicht, dass es keine anderen Parteien oder Politiker gibt. Auch zur Wahl 2012 tritt eine ganze Reihe von Kandidaten an – freilich ohne den Hauch einer Chance. Anfang der Woche debattierten allerdings vier von ihnen als Gegenveranstaltungen zu den hochbeachteten Debatten zwischen Barack Obama und Mitt Romney. Larry King, ehemals von CNN, moderierte das Gespräch.

Parteien jenseits des etablierten Spektrums haben es schwer. Obwohl die Parteien dieser vier Kandidaten in vielen Staaten zur Wahl zugelassen sind, werden ihre Ergebnisse kaum einen deutlichen Einfluss auf die Wahl haben. Bei einem derart knappen Rennen wie dem zwischen Mitt Romney und Barack Obama (der eine liegt bei registrierten Wählern vorn, der andere bei wahrscheinlichen) können aber auch Bruchteile von Prozenten entscheidend sein. Zwei der Parteien, nämlich die Green Party und die Justice Party, könnten den Demokraten Stimmen abjagen, eine, die Constitution Party, den Republikanern – und die Libertarian Party könnte in beiden Lagern wildern. Die Präsidentenwahl 2000 hat gezeigt, wie wichtig noch die letzte Stimme ist – in Florida war die Differenz zwischen Wählerstimmen für George W. Bush und Al Gore gerade einmal dreistellig, egal ob mit oder ohne Nachzählung.

Wer sind nun die Politiker, die sich selbst ohne jede Hoffnung auf Erfolg zur Wahl des US-Präsidenten stellen?

Die Grüne: Jill Stein

Eine der Politiker hatte bereits versucht, sich bei der zweiten Obama-Romney-Debatte eine Stimme zu verschaffen – und wurde festgenommen. Jill Stein ist die Kandidatin der Green Party. Die 62-jährige Ärztin trat bereits 2002 bei der Gouverneurswahl in Massachusetts gegen Mitt Romney an, wo sie 3 Prozent der Stimmen erhielt. Stein kritisiert den Einfluss von Unternehmen auf die nationale Politik und nennt die Green Party als unabhängiges Gegenbild zu den großen Parteien. Ihr Programm soll die Arbeitslosigkeit senken, Studiengebühren abschaffen, Steuersenkungen vermeiden, das Militär verkleinern und den Klimawandel ansprechen. Ihre Partei sympathisiert außerdem mit der Occupy-Bewegung – es sind die jungen Wähler, auf die Stein setzt. Bei der Präsidentenwahl 2000 konnte die Green Party mit Ralph Nader fast 2,9 Millionen Stimmen gewinnen – ein Erfolg, der Al Gore die Präsidentschaft gekostet haben könnte.

Der Menschenrechtler: Rocky Anderson

Auch Rocky Anderson ist dem politisch linken Lager zuzurechnen. Der 61-jährige war zwei Amtszeiten lang Bürgermeister von Salt Lake City, Utah, damals noch als Mitglied der Demokraten. Dieses Jahr tritt er für die (von ihm gegründete) Justice Party zur Präsidentenwahl an. Anderson gilt als vehementer Verfechter von Bürger- und Menschenrechten; zu diesem Zweck gründete er die Organisation High Road For Human Rights. Als Kandidat tritt er unter anderem gegen Korruption, die aktuellen amerikanischen Kriege und die aggressive Kriminalisierung von Rauschgift und für Maßnahmen gegen den Klimawandel, „faire“ Steuern und die Abschaffung des Personenstatus von Unternehmen ein.

Der Konservative: Virgil Goode

Doch es gibt nicht nur linksliberale Alternativen: Für die Constitution Party tritt der 66-jährige Virgil Goode an, ein ehemaliger Abgeordneter des Repräsentantenhauses. Nach seiner verlorenen Wahl 2008 trat der ehemalige Republikaner der Partei bei; jetzt sorgen sich einige Republikaner, er könne Mitt Romney dringend nötige Stimmen abjagen. Die Constitution Party beruft sich in ihrem Programm auf die Gründungsdokumente der Vereinigten Staaten. Die Partei interpretiert sie in sieben konservativen Prinzipien, die sich etwa in Individualismus, einer schwachen föderalen Regierung, Ablehnung von Abtreibung, Homoehe und Mitgliedschaft der Vereinigten Staaten in internationalen Organisationen, selbst der UNO, ausdrücken.

Der Freiheitliche: Gary Johnson

Für die Libertarian Party, die sich selbst als die drittgrößte Partei der USA bezeichnet, tritt der 59-jährige Gary Johnson an. Als Republikaner war Johnson von 1995 bis 2003 Gouverneur von New Mexico. Nach dem Motto „Minimum Government, Maximum Freedom“ will die libertäre Partei die Regierung, Marktregulierung und Eingriffe der Politik in das Leben der Bürger möglichst klein halten. Dazu gehört auch die Neutralität der USA in internationalen Beziehungen. Streitthemen wie Abtreibung, Homoehe, Prostitution und Marihuana will die Partei den Einzelnen überlassen – das heißt, erlauben. Gary Johnson rechnet sogar mit 6 Prozent der Wählerstimmen am Wahltag.

Was können diese Kandidaten am 6. November anrichten? Die wahrscheinliche Antwort lautet: nichts. Dass es in absehbarer Zukunft eine dritte Kraft in der amerikanischen Politik geben wird, ist nur schwer vorstellbar. Dennoch lohnt sich ein Blick auf Alternativen, wenn man sich um Themen kümmert, die Obama und Romney zum eigenen Nutzen und im anscheinenden Einvernehmen unter den Tisch fallen lassen.

Die Debatte der Kandidaten für die US-Vizepräsidentschaft war eine andere Angelegenheit als die erste Debatte zwischen Barack Obama und Mitt Romney. Wo diese höflich, aber teils müde und verklausuliert wirken, hielten sich Joe Biden und Paul Ryan kaum zurück – und das nicht nur mit verbalen Attacken. Besonders Biden zeigte immer wieder, was er von Ryans Äußerungen hielt: Er lachte auf, zog Grimassen und grinste spöttisch. 51 Millionen Zuschauer sahen zu – es war eine der meistgesehenen Vizepräsidenten-Debatten überhaupt. Doch diese Aufmerksamkeit bekommen US-Vizepräsidenten nur selten. Das Amt ist verschrien als Abstellgleis für blasse bis kauzige Politiker.

Die verfassungsmäßigen Pflichten des POTUS-Stellvertreters sind schnell umrissen: Der Vizepräsident wird gleichzeitig mit, aber prinzipiell unabhängig von dem Präsidenten gewählt. Er ist der Vorsitzende des Senats, darf aber nur bei einem Patt-Ergebnis selbst abstimmen. Und vielleicht am wichtigsten: Im Falle des Todes, des Rücktritts oder der Absetzung des Präsidenten übernimmt er dessen Amt. Das ist im Prinzip auch schon alles, was die Verfassung der Vereinigten Staaten vorschreibt. Die tatsächlichen Aufgaben und Pflichten seiner täglichen Arbeit werden ihm von Präsident und Kongress zugetragen. Der erste Vizepräsident, John Adams, kommentierte seine Aufgabe lakonisch: „Mein Land hat mir in seiner Weisheit das unwichtigste Amt entworfen, das sich jemals ein Mensch ersinnt oder seine Fantasie erdacht hat.“ Immerhin sollte er noch der erste Mann im Staat werden.

Kuriose zweite Männer

Die Geschichte des Amtes ist auch eine der verschrobenen Politiker: Männer, die nicht mal in Washington wohnen wollten, die exzentrische Hobbys hatten und die mit ihrer Kriegskunst prahlten. 1841 trat zum ersten Mal ein, was die Gründerväter hervorgesehen hatten: Ein Vizepräsident musste den verstorbenen Präsidenten ersetzen. John Tyler trat allerdings nicht einmal mehr zur nächsten Wahl an. Das hat sich aber mit der Zeit geändert: Fünf Vizepräsidenten wurden später in das höhere Amt gewählt; elf mussten ihren Vorgesetzten ersetzen. Im 20. Jahrhundert allein wurden fünf Vizepräsidenten noch Präsident. Diese Zahlen sind nicht unerheblich angesichts der Tatsache, dass es erst 44 Präsidenten gegeben hat.

Wer sind nun die Männer, die nur ein paar Flure und ein plötzlicher Herzinfarkt von übergroßer Macht trennen?

Der Altgediente

Joseph Biden wurde 1972 bereits mit 29 Jahren in den Senat gewählt, wo er den Staat Delaware 36 Jahre lang vertrat. Damit war er einer der jüngsten gewählten Senatoren, hatte eine der längsten Amtszeiten und war zum Zeitpunkt seines Rücktritts einer der dienstältesten Abgeordneten. 2008 trat er, wie 1988, zunächst parteiintern selbst für die Nominierung als Kandidat an. Nach seinem Rückzug wählte Barack Obama ihn als Running Mate. Biden gilt als überzeugter Demokrat, mit gesellschaftlich liberalen Überzeugungen und einem großen Umweltbewusstsein. Außerdem spricht man ihm ein laxes Mundwerk zu: Im Zuge des Wahlkampfes 2012 etwa sagte er in einem Interview, er unterstütze die Eheschließung für Homosexuelle – Barack Obama hatte als Präsident zu diesem Thema geschwiegen. In der Vergangenheit hatte er verschiedene Positionen geäußert, etwa gegen die Ehe, wenn auch für „Civil Unions“. Biden brachte Obama so in Zugzwang. Schließlich bestätigte er doch seine Unterstützung für das Recht von Homosexuellen, zu heiraten.

Der Aufstrebende

Paul Ryan, 42, ist Kongress-Abgeordneter aus Wisconsin. Als fiskalkonservativer Hardliner ist er Vorsitzender des House Budget Committee, das für das Staatsbudget verantwortlich ist. Während Mitt Romney von der konservativen Basis der Republikaner und der Tea Party nur widerwillig als Kandidat akzeptiert wurde, ist Ryans Nominierung mit Freude aufgenommen worden. Als authentisch konservativer Politiker soll er ein Gegengewicht zu Romneys schwankenden Überzeugungen darstellen. Denn nicht nur ist er für niedrige Steuern und eine schwache Regierung, auch gesellschaftspolitisch stimmt Ryan voll mit der Tea Party überein, etwa als Gegner von Homo-Ehe, Abtreibungen und verpflichtender Krankenversicherung.

Diese beiden Männer suchen nun das zweithöchste Amt im amerikanischen Staate. Ob als Sprungbrett in höhere Sphären oder als Dienst am Volk, wird sich zeigen. Aber immerhin: Ansehen und Arbeitsumfeld der Vizepräsidenten haben sich seit der Einführung der Verfassung mehr als nur verbessert. Mit einem hohen Gehalt, einem großen Mitarbeiterstab, der „Air Force Two“ und sogar einem eigenen offiziellen Lied („Hail, Columbia„) müssen sich Politiker der Vizepräsidentschaft nicht mehr schämen. Und vier der letzten zwölf Vizepräsidenten haben es sogar bis in das höhere Amt geschafft, zwei scheiterten nur knapp.

In einem Monat wählen die Vereinigten Staaten ihren Präsidenten, den wohl mächtigsten Mann der Welt – aber schon der Wahlkampf macht in anderen Ländern Schlagzeilen.

Vergangene Woche debattierten Barack Obama und Mitt Romney zum ersten Mal, es folgen zwei Debatten am 16. und 22. Oktober sowie eine zwischen den Anwärtern auf das Vizepräsidentenamt am 11. Oktober. Das direkte Aufeinandertreffen der Kontrahenten wirkt dabei große Anziehungskraft aus: 67 Millionen Amerikaner sahen zu. Danach waren sich die Journalisten und Experten einig: Mitt Romney hat gewonnen. Er debattierte eloquent, charmant und aggressiv, während Barack Obama defensiv, fahrig und ausweichend wirkte. Romney habe es geschafft, sich wieder an den amtierenden Präsidenten heranzukämpfen. Allein: Wie viel kann eine TV-Debatte über die politische Eignung eines Kandidaten sagen, und wie sehr können Wähler ihre Entscheidung daran festmachen?

Matt Taibbi vom amerikanischen Rolling Stone Magazine nannte die Debatte den „hochwichtigen Bullshit-Contest„. Bullshit deshalb, weil die Kandidaten sagen können, was sie wollen – und das muss nicht immer die Wahrheit sein. Auf der Website factcheck.org findet sich eine lange Liste von Lügen, Halbwahrheiten und Unklarheiten, die die beiden Politiker in ihrer Debatte von sich gegeben haben. Fact Checking ist im amerikanischen Journalismus auf dem Vormarsch.1

Der Einfluss der Debatten

Wie aber kann ein Kandidat in einer Debatte auf solche Lügen reagieren? Was kann er tun, wenn der Gegner schlichtweg lügt? Obamas Unvermögen, Romney der Lüge oder der Verfälschung zu bezichtigen, ist für viele Kommentatoren der Grund, warum er die Debatte verlieren musste – Al Gores Erklärung, es sei die Höhenluft gewesen, einmal dahingestellt.

Das Problem einer solchen Debatte ist ihre Einschlagskraft. Wenn beinahe ein Viertel der amerikanischen Wähler die Debatte verfolgt, Romney und Obama bei wahrscheinlichen Wählern nur zwei Prozentpunkte auseinanderliegen – was können die vier Prozent der Unentschiedenen dann mit ihrer Stimme bewirken, und wie wichtig sind die Debatten für ihre Stimme?

Die Objektivität des angelsächsischen Journalismus hat eine lange Tradition. „Comment is free, facts are sacred“ – das hatte bisweilen bizarre Konsequenzen, wie etwa die Art, wie der ehemalige US-Senator Joseph McCarthy mit den Nachrichtenagenturen spielte. Er verleumdete seine politischen Gegner, weil er wusste, dass die Nachrichtenagenturen die Anschuldigungen eines Senators weitergeben würden. Dabei kannte er den Zeitdruck der Journalisten; er plante seine Statements so, dass keine Zeit mehr blieb, um seine Behauptungen zu überprüfen. Bis die Erwiderungen folgten, waren seine Aussagen längst im Gedächtnis der Leser.2

Fakten überprüfen – live?

Es gibt zwar aktuell die Bestrebung von Journalisten, Fact Checking auch in die tatsächlich neutralen Berichte einzubinden – das hätte aber keinen Einfluss auf eine präsidentielle Debatte, denn keine Zeitung wird von 67 Millionen Amerikanern gelesen. Welche Möglichkeit gibt es also, Debatten zwischen Politikern auf eine rationale Basis zu stellen? Real-Time Fact Checking klingt allzu verlockend. Die großen Fact-Checking-Portale tun das auf Twitter, aber wiederum ist hier die Reichweite tendenziell gering. Warum also nicht ein Team von Journalisten und Experten während der Debatte die Aussagen der Kandidaten überprüfen lassen und ihre Ergebnisse in Pausen verkünden?

Abgesehen davon, dass die Kandidaten daran wenig Interesse haben werden, würde es auch den aalglatten und hochformalisierten Ablauf der Debatten stören. Die politischen Parteien werden sich darüber hinaus gegenseitig vorwerfen, die Fact Checker seien voreingenommen, ihre Quellen falsch, ihre bloße Anwesenheit ziehe die Glaubwürdigkeit der Kandidaten in den Dreck.

Die Wurzeln der Debatten liegen in den höflichen, formalen und stundenlangen Lincoln-Douglas-Debatten. Fact-Checking gehörte heute wie damals nicht dazu. Aber wer eine entfesseltes Streitgespräch sehen will, bei dem Polemik ganz unverblümt die Grundlage ist, ist beim „Rumble 2012“ zwischen FOX-News-Kommentator Bill O’Reilly und „The Daily Show“-Moderator Jon Stewart richtig.

1 Factcheck.org wird herausgegeben vom Annenberg Public Policy
Center der University of Pennsylvania. Andere wichtige Analysen kommen vom Projekt
„Politifact“ der Tampa Bay Times und „Fact Checker“, einem Blog der Washington Post.

2 Siehe hierzu Roger Streitmatter, „Mightier Than The Sword“