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Weil wir glauben, dass der Journalismus der Zukunft – nicht nur im Netz, aber vor allem da – näher an Sie, die Leser, heranrücken muss.“

So begründet die Süddeutsche Zeitung ein neues Format. Die SZ hatte ihre Leser aufgefordert, Themenvorschläge einzureichen, die die Zeitung für ein ausführliches Dossier recherchieren und aufbereiten sollte. Aus den meistgenannten Vorschlägen stellte sie dann drei zur Wahl. Gewonnen hat bei insgesamt gut 6.000 Stimmen das Thema „Steuergerechtigkeit“, mit etwa 40 Prozent.

Noch während der Recherche werden die Journalisten über ihre Arbeit bloggen, außerdem Hinweise per Mail, Twitter und Facebook annehmen und überhaupt sehr vernetzt sein. Schon im Juli soll das nächste Recherchethema an den Start gehen. Das Thema hat unter anderem auch das Interesse des Journalisten und Dozenten Jeff Jarvis geweckt – es scheint, als sei das die Innovation, die der Journalismus braucht.

Natürlich haben Leser schon immer einen Einfluss auf die Themen des Journalismus gehabt. Viele Geschichten haben mit einem wütenden Anruf in der Redaktion begonnen. Die Leserbriefsparte hat ein kleines, extrem moderiertes Forum zur Diskussion geboten, und auf neue Entwicklungen hingewiesen. Aber letztlich war die Themenfindung für Journalisten immer ein Ratespiel. Was will der Leser wissen, welche Informationen braucht er? Aber nicht jeder Journalist in seinem Elfenbeinturm und seiner Edelfeder in der Hand hat sich überhaupt für die Wünsche seines Publikums interessiert. Er hat großzügig die Teile seines Herrschaftswissens preisgegeben, die er für angemessen erachtet hat.

Wie so viele Dinge im Journalismus hat das Internet auch diese Einstellung schwierig gemacht. Die Barriere zwischen Redaktion und Leserschaft ist geschrumpft. Kein Journalist kann mehr behaupten, er wisse nicht, was seine Leser interessiert – zumindest die Leser, die Zeit und Muße haben, Mails zu schreiben oder online zu kommentieren.

Diese Kommunikation in geordnete Bahnen zu lenken, wie es die Süddeutsche Zeitung getan hat, ist da nur die logische Konsequenz. Die Methode hat zwei große Vorteile: Erstens bindet sie den Leser ans Medium. Er fühlt sich ernstgenommen und weiß, dass er einen Einfluss auf die Berichterstattung hat. Zweitens schafft sich die Zeitung einen informationellen Mehrwert und hebt sich von der Konkurrenz ab. In Zeiten der dpa-Bleiwüsten auf Nachrichtenwebsites kann das der entscheidende Vorteil sein, Klicks zu bekommen und eventuell die Bereitschaft zu erhöhen, ein E-Paper, eine Paywall oder ein Abonnement zu bezahlen. Das kann natürlich nicht jede kleine Lokalredaktion leisten, die sowieso unterbesetzt ist – zumindest nicht, ohne mehr Journalisten zu beschäftigen (das ist ein anderes Thema).

Input von außen ist für die Berichterstattung ohnehin essentiell – der Fall Edward Snowden belegt das. Aber eine offene Fragestellung, ein Schubs in eine bestimmte Richtung, das ist neu. Ich halte es für ein hervorragendes Modell.

Was tut ein Mann, dessen Lebenswerk gescheitert ist? Er geht trainieren. Richard Fuld, alleiniger Chef von Lehman Brothers seit 14 Jahren, schwitzt auf dem Stepper, kurz nach der Pleite im September 2008. Ein Mitarbeiter stemmt Hanteln, doch er will Fuld nicht so einfach davonkommen lassen – er schlägt ihn bewusstlos.

Der Chef der viertgrößten Investmentbank der Welt überstand den Schlag ins Gesicht. Lehmans Schlag ins Gesicht der Anleger aber erschütterte den Globus – mit ihm begann die größte Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren. In Europa schreitet die Abwicklung der Insolvenz weiter voran. Und damit wird endgültig klar: Die großen Gläubiger, die Käufer der insolventen Tochterunternehmen  und die Verantwortlichen haben den Sturz von Lehman überlebt – oder sogar davon profitiert.

Im April verkündete Tony Lomas, der Insolvenzverwalter der europäischen Lehman-Tochter mit Sitz in England, alle Gläubiger auszahlen zu können. „Wir rechnen mit einer spürbaren zweiten Auszahlungsrunde in naher Zukunft“, sagte Lomas von der US-amerikanischen Firma PwC. Privatanleger in Deutschland, die Zertifikate von Lehman gekauft hatten, erhalten nichts davon. Schuld an der Verwirrung ist die Aufspaltung der ehemals weltweit agierenden Bank. Richard Fuld konnte über 420 Milliarden Euro verfügen – und damit spekulieren. Die aggressive Unternehmenskultur, gepaart mit risikoreichen Geschäften, hatte zur größten Insolvenz in der Geschichte der USA geführt. Nach der Pleite wurde das Lehman-Imperium mit seinen 7.000 Tochterfirmen in Einzelteile zerschlagen.

Fuld selbst musste immense Verluste hinnehmen, was ihn aber nicht zum armen Mann machte. Von 2000 bis zur Pleite verdiente Fuld fast 400 Millionen Euro. Experten schätzten sein Vermögen auch danach noch auf 80 Millionen Euro. Geld, das er zusammenhalten wollte: Im November 2008 etwa verkaufte er eines seiner Zehn-Millionen-Euro-Anwesen für 100 Dollar – an seine Frau. „Lehman war ein Opfer des Marktes“, hatte Fuld gesagt.

Der Markt behandelte Teile seines zerschlagenen Unternehmens derweil nicht schlecht. Die Lehman-Investmentsparte Neuberger Berman etwa hatte den Absprung geschafft. Die Angestellten kauften die Firma im Mai 2009. Mittlerweile verwalten sie 160 Milliarden Euro an Investments. Das US-Geschäft boomt wieder –  das erfährt auch die britische Bank Barclays. Sie hatte das Zentralgeschäft von Lehman gekauft  und damit einen sofortigen Gewinn erzielt. „Wir sehen jetzt, wie sich unsere Investments auszahlen“, sagte Antony Jenkins, Chef von Barclays, im April. Im ersten Quartal 2013 stiegen die Kapitalerträge um 19 Prozent auf knapp 700 Millionen Euro – dank Lehman. Skip McGee, Lehmans ehemaliger Investmentchef, führt jetzt Barclays in Amerika. Einzig die ehemalige asiatische Sparte von Lehman darbt. Die japanische Firma Nomura hatte sie als Grundlage für eine weltweite Expansion gekauft. Doch die meisten Lehman-Manager verließen die Firma unzufrieden oder nahmen bessere Jobs an.

Allein Richard Fulds Karriere ist vorbei. Er hatte 2009 beim Hedgefonds Matrix Advisors angeheuert, danach bei der Investmentbank Legend Securities. Beides sind unbekannte Namen. Seit Anfang 2012 ist Fuld untergetaucht. „Wegen seiner Rolle bei Lehman hat er keine Chance mehr auf eine Anstellung bei einer angesehenen Firma“, sagten Bekannte dem US-Sender Fox. Was Fuld bleibt, ist sein Geld.

So geht es auch den Gläubigern der Lehman-Reste unter Verwaltung von PwC, die wohl komplett ausgezahlt werden. Bisher hatte Tony Lomas zwölf Milliarden Euro ausgeschüttet. Daran verdient aber auch PwC: 2012 machte ihre 600-Millionen-Euro-Rechnung Schlagzeilen. Der Insolvenzverwalter der deutschen Lehman-Tochter, Michael Frege, kommt auf ähnliche Summen: 834 Millionen Euro soll seine Firma für die Abwicklung erhalten. „Das ist das Ergebnis eines unabhängigen Gutachtens“, sagte Hubertus Kolster von Freges Kanzlei. Für diese Summe hat Frege 15 Milliarden Euro an Insolvenzmasse gesichert – eine ungewöhnlich gute Quote von etwa 80 Prozent. Größte Gläubiger sind die Bundesbank und der Einlagensicherungsfonds, außerdem Hedgefonds und Banken. Die 50.000 deutschen Käufer von Zertifikaten erhalten nichts. Sie hatten mithilfe ihrer Hausbanken Zertifikate über eine niederländische Lehman-Tochter gekauft und damit über eine Milliarde Euro verloren. Das Ausfallrisiko lag bei ihnen.

„Fuld wird es weiter gut gehen“, hatte Henry Waxman vom Untersuchungskomitee des US-Kongresses 2008 gesagt.  Das gilt auch für die Überreste von Lehman, die Großgläubiger und nicht zuletzt die Insolvenzverwalter. Ein Hoffnungsschimmer bleibt allerdings für private Anleger in Deutschland. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs  im Mai erklärte bestimmte Klauseln in Rechtschutzversicherungen für unwirksam – nämlich solche, die den Wertpapierkauf regeln. Mit Verweis darauf hatten viele Gerichte Klagen von Lehman-Opfern abgewiesen.

In monatelanger Recherche haben Journalisten des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) einen riesigen Datensatz ausgewertet, der die legalen, halblegalen und illegalen Finanzströme aus der ganzen Welt hin zu Steuerparadiesen zeigt. Die Liste an Prominenten und Politikern, die ihr Geld über Mittelmänner und mithilfe von großen Banken am Fiskus vorbeischmuggeln, ist lang. Diese Liste beinhaltet allerdings nur die „Highlights“, die das ICIJ selbst ausgewählt und veröffentlicht hat. Unbekannte Whistleblower hatten ihm die 2,5 Millionen Datensätze, über 260 Gigabyte, zukommen lassen.

Die Reaktion: Die Regierungen von Deutschland, Südkorea, Griechenland, Kanada und den USA appellieren an die Journalisten, ihnen die Daten zu geben. Das wollen aber weder das ICIJ noch seine internationalen Partner wie die Süddeutsche Zeitung und der NDR tun.

Das ICIJ begründet das mit der strikten Unabhängigkeit von der Politik. Das Netzwerk weigert sich, „verlängert Arm“ der Justizbehörden zu sein – abgesehen von technischen, rechtlichen und journalistischen Problemen, die bei einer Veröffentlichung entstehen könnten. Heribert Prantl argumentiert ähnlich für die Süddeutsche: Die Basis der Pressefreiheit sei immer schon das Zeugnisverweigerungsrecht und der Informantenschutz gewesen. Die Journalisten gefährdeten ihre Informanten und ihre eigene Unabhängigkeit in der Berichterstattung, wenn sie der Politik die Daten übergeben würden. „Würden staatliche Ermittlungen auf noch nicht veröffentlichtem, aber weitergegebenem Material beruhen, das Journalisten den Behörden offeriert haben – dann könnte darüber nicht mehr unbefangen berichtet und kommentiert werden“, schreibt Prantl.

Das stößt in den Leserkommentaren auf Unverständnis. Die SZ enthalte dem Staat und den Staaten die Möglichkeit vor, die Daten selbst auszuwerten – und Verbrechen zu bestrafen. Tatsächlich erscheint das logisch: Wenn sich der Journalismus als Vertreter und Fürsprecher des Volkes sieht, warum dann nicht erst über die Missstände berichten und anschließend aktiv helfen, sie zu beseitigen? Aber abgesehen davon, dass das ICIJ monatelang gearbeitet hat, um die Daten auszuwerten und verständlich zu machen, haben die Medien keinerlei Verpflichtung dem Staat gegenüber.

Die Ressourcen der internationalen Staatengemeinschaft, gegen Steuerbetrug zu ermitteln, sind ungleich höher als die einer Journalistenvereinigung. Die Staaten müssen, individuell und in Zusammenarbeit, daran arbeiten, Steuerschlupflöcher zu schließen. Das sind sie auch ihren Bürgern schuldig, die unter den Mindereinnahmen des Staates leiden. Aufgabe des Journalismus ist es, darüber zu berichten und ein öffentliches Forum zu schaffen, um das Problem zu beleuchten. Darüber hinaus gibt es noch ein Problem: Wie Peter Hornung für den NDR schreibt, sind viele der Vorgänge nicht einmal illegal. Die Lösung ist also kein Vorgehen gegen Einzelpersonen, sondern gegen die Vorschriften, die den Steuerbetrug ermöglichen. Das ist nicht Aufgabe des Journalismus.

Konfession, sozioökonomischer Status und Größe des Wohnorts – schon 1969 hat Paul Lazarsfeld diese drei Faktoren als entscheidend für die Wahlentscheidung entdeckt. Vereinfach gesagt hieß das: Arme, katholische Städter wählen Demokraten, reiche, protestantische Landbewohner wählen Republikaner.

Die USA begünstigen wegen verschiedener Faktoren ein gewisses Schwarz-Weiß-Denken in der Politik. Im Zwei-Parteien-System ist jede Stimme für eine dritte Partei entweder weggeworfen oder, schlimmer, kommt dem politischen Gegner zugute. Außerdem zieht sich das Mehrheitswahlrecht durch alle politischen Ebenen. Die älteste noch bestehende Demokratie hat so einige Schwachstellen, die gewiefte Politiker ausnutzen können. Als besonders effektiv hat sich aber angesichts dieser links-rechts-alles-oder-nichts-Situation vor allem eins erwiesen: Die Veränderung der Wahlkreise, um einen Sieg für die eigene Partei zu garantieren. Anhand bestimmter Wählereigenschaften kann man seine Wahlentscheidung oft mit großer Sicherheit voraussagen – daher können die Parteien im Voraus planen, um möglichst viele Sitze zu erhalten.

Die Bezeichnung Gerrymandering für diese Praxis stammt aus dem Jahr 1812, als an Demokratie in Deutschland noch nicht zu denken war. Der damalige Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, formte die Wahlkreise für die Staatssenatswahl so, dass seiner Partei ein Sieg garantiert war. Auf der Karte sahen einige der neuen Wahlkreise entfernt einem Salamander ähnlich – daher die Zusammensetzung Gerry-Mander. Die Praxis ist aber nicht nur sehr alt, sondern auch immer wiederkehrend. Denn Wahlkreise werden nach Bevölkerungsentwicklung geformt, die die Volkszählung regelmäßig alle zehn Jahre erfasst.

Theoretisch sind die regierenden Parteien an Regeln gebunden, wenn sie Wahlkreise neu zusammensetzen wollen. Obwohl der Supreme Court 1986 entschied, dass Gerrymandering zugunsten von Parteien nicht legal ist, hatte noch niemand vor Gericht Erfolg. Zuletzt scheiterte 2006 eine Klage in Texas. Nur der Voting Rights Act setzt noch klare Grenzen: Er verbietet Gerrymandering, um ethnische Minderheiten zu diskriminieren und ermöglicht, dagegen zu klagen. Das Resultat sind oft Minority-Majority-Districts – Wahlkreise, in denen eine ethnische Minderheit die Bevölkerungsmehrheit darstellt. Ob das gut oder schlecht ist, ist dabei umstritten. Einerseits garantieren diese Wahlkreise Abgeordnete aus Minderheiten, andererseits bleibt der Effekt der Wahlentscheidung dieser Minderheiten auf bestimmte Kreise beschränkt.

Der Effekt von Gerrymandering sind ungleiche Machtverhältnisse in unterschiedlichen Kammern. Während bei der Präsidentschaftswahl Barack Obama beispielsweise in Pennsylvania und Ohio vorne lag, gewannen bei der zeitgleichen Wahl für das Repräsentantenhaus Republikaner die mit Abstand meisten Sitze in diesen Staaten. Insgesamt erscheint das noch bizarrer: Demokraten erhielten landesweit 1,4 Millionen Stimmen mehr für Abgeordnete des Repräsentantenhauses, aber die Sitzverteilung lautet Republikaner 234, Demokraten 201. Dennoch: Gerrymandering ist ein Spiel, das beide Parteien spielen, auch Demokraten. Einige Staaten gehen aber dagegen vor. So gibt es mittlerweile unter anderem in Washington und Arizona unabhängige Institute, die für die Wahlkreislegung zuständig sind.

Die Taktik des Gerrymandering funktioniert fast nur in Staaten mit Mehrheitswahlrecht. Aber auch in Deutschland wurde Protest laut, als 2001 in Berlin Wahlkreise so zusammengelegt wurden, dass die PDS kaum noch Chancen auf Direktmandate hatte – was aber nur ein schwacher Hauch von der hochtechnischen Mathematik ist, die die Parteien in den USA zu ihren eigenen Gunsten betreiben.

 

Bundespräsident Joachim Gauck glaubt, in manchen Internet-Kommentaren „menschliche Abgründe“ erkennen zu können.

Das hat er sicherlich mit einigen Online-Redakteuren gemein, die die Foren ihrer Webseiten verwalten. Kein Online-Auftritt einer Zeitung kommt mehr ohne Kommentarfunktion aus. Und die wird rege genutzt: Auf der Website der kostenlosen Schweizer Pendlerzeitung „20 Minuten“ beispielsweise verfassten Nutzer allein 2012 1,4 Millionen Kommentare. Die meisten Nutzer schreiben aber nicht nur, sie lesen auch Kommentare, hat eine Umfrage unter ihnen ergeben.

Die wechselseitige Kommunikation ist der wesentliche Faktor, der das Internet vom klassischen Massenmedium trennt. Gerade journalistischen Medien eröffnet sich so eine Reihe von Vorteilen. So kann zum Beispiel die Bindung des Lesers an das Medium wachsen, wenn er sich ernstgenommen fühlt. Aber nicht zuletzt ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass User das Medium auf Fehler im Artikel hinweisen kann – ein Online-Kommentar oder eine E-Mail ist schnell verfasst, aber wer würde es auf sich nehmen, für einen kleinen Fehler einen Leserbrief zu schreiben oder sich durch die Redaktion zu telefonieren? Hier ist das Internet ein Gewinn für User und Medium, besonders angesichts der winzigen Korrekturquote von Zeitungen.

Auf der anderen Seite stellen offene Kommentare auch eine Gefahr dar. So ist das Medium  verantwortlich für Aussagen, auch von Nutzern, die strafrechtlich relevant sind. Deswegen bedeutet die Kommentarfunktion auch einen großen redaktionellen Aufwand. Keine Online-Zeitung schaltet Kommentare automatisch frei, alle prüfen die Beiträge vorher. Und das meist nur zu bestimmten Zeiten – denn welcher Online-Redakteur will schon um zwei Uhr nachts noch arbeiten? Dadurch geht ein Teil der unmittelbaren und wechselseitigen Kommunikation verloren, die das Internet verspricht.

Dazu kommt: Kommentar-Threads drohen schnell in verbale Schlachtfelder auszuarten. Trotz wohlgemeinter „Netiquette“-Vorschriften scheinen nur wenige User Zurückhaltung zu zeigen, wenn es um brisante Themen geht. Das sind vor allem Einwanderung, Ausländer, Islam. Hier schließen die Seiten ihre Kommentare meist schnell oder ermöglichen sie erst gar nicht , weil der Schwall an unerträglichen Äußerungen zu groß wird. Das Freischalten kann aber auch schnell zur eigenen Gratwanderung der Redakteure werden, wenn es um politische Themen geht. Was bringt es hier noch, Nutzer beitragen zu lassen? Denn schnell drehen sich die Attacken um: Das Löschen von beleidigenden Kommentaren wird zur „Zensur“, das Entfernen von themenfremden Beiträgen „Meinungsmonopol“.

Die extreme Lösung ist, Kommentare schlichtweg nicht mehr zu ermöglichen. Das hat Markus Beckedahl von netzpolitik.org öffentlich überlegt. Ihm schien das Moderieren letztlich fruchtlos – auch wenn er vermutet, dass es nur wenige User sind, die den Hauptteil des Spams ausmachen. Auch der ehemalige Chefredakteur der schwedischen Online-Zeitung Newsmill, Leo Lagercrantz, verzweifelte schier angesichts der Masse an Hetze. Aber ein simples Schließen der Kommentare der eigenen Webseite kann das Problem nur verlagern.

Denn Medien haben auch Auftritte in Netzwerken, die sie selbst nicht vollständig kontrollieren können – etwa Facebook und Twitter. Hier entladen sich auch meist die Shitstorms, etwa im Winter 2012 gegen die ARD. Unter einem Facebook-Beitrag über Plüschtiere kommentierten zunächst 800 User und beschwerten sich über die Reform des Rundfunkbeitrags. Die Online-Redaktion der ARD postete daraufhin einen erklärenden Beitrag – unter dem sich bis heute knapp 9.000 Kommentare gesammelt haben. Das bedeutet einen enormen und zusätzlichen Redaktionsaufwand. Shitstorms nutzen die überwältigende Zahl der Teilnehmer, um eine Online-Redaktion zu überfordern. Konstruktive Diskussionen entstehen so aber nur selten. Ignorieren können die Redaktionen die Aufregung aber auch nicht – das würde sie noch negativer dastehen lassen.

Der Shitstorm gegen die ARD bildet sicherlich eine Ausnahmesituation, was Userkommentare angeht. Bei der ARD als öffentlich-rechtlicher Einrichtung sehen sich viele Nutzer involvierter als bei eine Zeitung, die sie nicht lesen, aber auch nicht bezahlen müssen. Die Redaktionen haben aber immer noch keinen Masterplan gefunden, wie sie mit Kommentaren umgehen. Dabei ist das Internet mittlerweile nicht mehr jung – wird aber immer wichtiger. Eine offensichtliche Lösung wäre also, mehr Redakteure einzustellen, die sich ganz um die Community eines Mediums kümmern. Ohne die Möglichkeit der Userbeiträge wäre das Internet nämlich nur ein weiteres indirektes Massenmedium – und die Redaktionen müssten auch auf die vielen Vorteile der wechselseitigen Kommunikation verzichten.

Einen Fehler darf man allerdings nicht machen: Kein Thread von User-Kommentaren kann als repräsentativ für die Bevölkerung gesehen werden. Dieses Argument, das auch gerne von den Usern selbst genannt wird, ist abwegig. Zu viele Faktoren spielen eine Rolle bei der Frage, ob und wie ein User kommentiert. Konzertiere Kommentarfluten, die gezielt einen bestimmten Eindruck hinterlassen wollen, trüben die Vorstellung von „Volkes Stimme“ weiter. Allerdings haben Kommentare einen erheblichen Einfluss auf den Leser: Eine Studie der Universität von Wisconsin fand heraus, dass der Tonfall der Nutzerkommentare die Einstellung des Lesers zum Thema beeinflusst. Aus allen Perspektiven sollten Redaktionen mit ihren Nutzerbeiträgen also vor allem eins tun: sie ernst nehmen.

Am 1. März hat der Bundestag beschlossen, das Leistungsschutzrecht für Presseverlage einzuführen. Es soll verhindern, dass Dritte auf Content zugreifen, den Verlage online stellen. Abgezielt hat das Gesetz vor allem auf eine Firma: Google. Mit ihrem Service Google News aggregiert die Seite Nachrichtenmeldungen und präsentiert sie zentral auf ihrer Seite. Dazu zeigt Google News Vorschaubilder und Textausschnitte, auch Snippets genannt.

So weit, so bekannt.

Überraschend war die Änderung des Gesetzestextes kurz vor der Abstimmung. Suchmaschinen sollen „einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte“ jetzt doch auch ohne Vergütung benutzen dürfen. Für viele Kritiker schien damit das ganze Gesetz hinfällig zu werden. Was schützt das Gesetz dann noch? Allerdings sorgt diese Änderung auch für rechtliche Unsicherheit – was sind „kleinste“ Textausschnitte? Drei Worte, vier Worte, zwei Sätze? So produziert das Leistungsschutzrecht eine weitere rechtliche Grauzone im Internet, das davon wirklich bereits genug hat.

Argumente gegen das Leistungsschutzrecht gibt es viele, und sie sind hinlänglich bekannt. Wenn Verlage nicht wollten, dass ihre Inhalte weiterverwertet werden, sollten sie sie nicht kostenlos ins Internet stellen. Das Leistungsschutzrecht gilt genauso für kurze Meldungen, die alle Online-Ausgaben sowieso von Nachrichtenagenturen beziehen, die aber dann unter ihr Verwertungsrecht fallen. Wenn Google eine Website nicht indizieren soll, können das die Betreiber technisch simpel einrichten. Blogger, die einen Artikel anteasern, um ihn zu kommentieren, könnten jetzt abgestraft werden. Und ökonomisch am wenigsten verständlich: Auch wenn Google mit Anzeigen Geld verdient, könnten die Verlage gar nicht auf die Verlinkungen verzichten – große Anteile des wertvollen Traffics kommen von Suchmaschinen. Drei Jahre alte Zahlen aus Amerika sprechen von bis zu 50 Prozent. Dass sich jemand mit Überschriften oder Halbsätzen begnügt, also auf Google bleibt und nicht den Link klickt, scheint nicht realistisch.

Die Diskussion um ein Leistungsschutzrecht zeigt aber ein anderes Dilemma: Die Zwiespältigkeit der Presse als Demokratieträger und Teil der Privatwirtschaft. Wie kann eine Zeitung neutral bleiben bei einem Thema, das für sie wirtschaftlich bedeutsam sein kann? Google als einfaches Unternehmen darf eine offene Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht führen, weil die Firma keine demokratietheoretische Verantwortung der Bevölkerung gegenüber hat. Aber die Zeitungen müssen möglichst ausgewogen und objektiv berichten – was unter Umständen zu eigenen Nachteilen führen könnte. Auch die innere Pressefreiheit als Puffer zwischen Journalismus und Betriebswirtschaft wirkt vielleicht schlechter in Zeiten, in denen Presseunternehmen reihenweise insolvent werden. So könnte beim einzelnen Journalisten auch noch ein privates Interesse dazukommen – die Sorge um seinen Arbeitsplatz.

Das Leistungsschutzrecht wird nicht über Glück und Verderben der deutschen Presse entscheiden, und ein offenes Misstrauen gegenüber Verlagen scheint nicht angebracht. Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt die Debatte aber als Beispiel für einen Interessenskonflikt schon. Denn natürlich haben die meisten Zeitungen für das Leistungsschutzrecht argumentiert. Die Lösung wäre eine öffentlich-rechtliche Presse – aber wer würde so etwas vorschlagen?

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – aber Gold hat der Papst genug. Deswegen redet er auch, selbst wenn er es lassen sollte. Seine Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag am 1. Januar tut jedenfalls wenig, um Frieden zu stiften. In ihr warnt er vor Gleichstellung der Homo-Ehe mit der zwischen Mann und Frau – mit der Begründung, das sei eine „Beleidigung der Wahrheit des Menschen, eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit und des Friedens“.

Aber wo sieht Ratzinger den Unterschied einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau und der Ehe zwischen einem Mann und einem Mann? Bei sinkenden Geburtsraten kann die Begründung nicht mehr lauten, die Förderung der „traditionellen“ Ehe würde dem Schrumpfen der Bevölkerung entgegenwirken. Nein, diese „radikal anderen Formen der Verbindung“ sei unnatürlich, sagt der Papst. Damit leugnet er gesellschaftliche Realitäten, die nicht in das jahrtausendealte Weltbild der katholischen Kirche passen. Dass es Homosexualität gibt, ist Fakt. Sie ist tatsächlich „eingeschrieben in die menschliche Natur“, anders als die engstirnige Auslegung von Ehe, die der Papst vertritt.

Überhaupt ist das Argument der Widernatürlichkeit nichtig. Bei über 1500 Tierarten haben Forscher homosexuelles Verhalten nachgewiesen. Der Mensch ist nur ein weiteres Wesen, das dieses Verhalten zeigt. Die katholische Kirche versucht hier also nur, mit pseudowissenschaftlichen Argumenten zu überzeugen. Das allein ist schon ein Zugeständnis an eine Gesellschaft, die eine Position der spirituellen Autorität nicht mehr fraglos hinnimmt. Allerdings haben Intellektuelle des 19. Jahrhunderts auch versucht, Rassismus wissenschaftlich zu untermauern – was nach modernen Erkenntnissen unhaltbar ist.

Dass die Ehe in einer Gesellschaft eine zentrale Rolle einnimmt, lässt sich nicht leugnen. Aber auch das ist nicht die Art der Ehe, von der Ratzinger spricht. Denn wo er die Eheschließung vor einem Priester seiner Kirche und die Verbindung zur Glaubensgemeinschaft meint, ist die gesellschaftliche Relevanz eine andere: Sie wird bestimmt vom Staat, der Verheirateten besondere Vorteile und Privilegien garantiert – aber auch nur, wenn der Staat, das heißt ein Standesbeamter, die Ehe schließt. Ein kirchliches Ritual ist dazu nicht nötig, viele Ehepartner sparen es sich. Bei 34 Prozent Konfessionslosen in Deutschland ist das auch nicht verwunderlich. Die Ehe, von der der Papst spricht, ist so oder so ein Auslaufmodell – ob Homosexuelle heiraten können, tangiert sie gar nicht.

Dass der Einsatz der katholischen Kirche gegen die gesellschaftliche Anerkennung von Homosexuellen „überkonfessionell“ sein soll, ist dann nur ein verzweifelter Versuch, die eigenen Vorurteile zu rechtfertigen. Der Papst will hier die bequemen Schuhe des Märtyrertums anziehen: Er behauptet, seine Kirche sei ein einsamer Vorstreiter für menschlichen Frieden, ohne dass das etwas mit den eigenen Überzeugungen zu tun hätte.

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kirche das öffentliche Leben und die Sozialgemeinschaft diktiert hat. Ratzingers Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag hat nur oberflächlich etwas mit Frieden zu tun. Allein aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit sind die Aussagen des Papstes aber interessant. Denn heute muss sich die Kirche bemühen, ihre Relevanz zu erhalten. Sie wird es nicht schaffen, indem sie sich gegen die Liberalisierung der Gesellschaft stellt. Nach repräsentativen Umfragen sind vier von fünf Deutschen für die Gleichstellung der Homo-Ehe. Bei 25 Millionen Katholiken in Deutschland muss es dort zwangsweise eine Schnittmenge geben. Wenn also selbst die eigenen Schäfchen widersprechen, ist das das deutlichste Zeichen, dass sich die Kirche ändern muss – oder untergehen wird. Diskriminierung hat der Mann auf dem goldenen Thron wohl nie hinnehmen müssen.

Nicht nur die Nachrichtenmedien müssen sich veränderten Konsumgewohnheiten anpassen – auch die klassischen Plattenfirmen sehen sich mit völlig neuen Möglichkeiten konfrontiert, die das etablierte System auf den Kopf gestellt haben. Aber: Noch ist die Macht der Major Labels über ihre Künstler erdrückend. Die Verträge sollen Musiker im Erfolgsfall langfristig zu binden – und absichern, dass das Label einen großen Anteil am Umsatz haben wird. Doch nur die wenigsten Künstler werden überhaupt erfolgreich, das heißt, können die Vorauszahlungen, die das Label für Aufnahme und Produktion leistet, durch Verkäufe wieder einbringen. Der große Rest bleibt der Firma die Zahlungen schuldig. Die Rechte für die Lieder gehen an das Label. Und diejenigen Bands, die es aus der grauen Masse herausschaffen und deren verkauften Platten in die Millionen gehen, sehen sich plötzlich in einem Vertrag gefangen, der in keinem Verhältnis zum Erfolg der Musik steht. Neuverhandlungen scheitern oft; Bands verdienen weniger als einen Dollar an einem verkauften Album, das für den Endverbraucher schon einmal 20 Dollar kosten kann. Der Rest geht zu einem großen Teil an das Label.

Wie Musikmanager Simon Napier-Bell es beschreibt: “[It] soon became clear that in the music business you didn’t get out of an unfair record contract to get into a fair one; you get out of an unfair contract to get into another unfair one, but with slightly better terms.” Dennoch: In den nächsten Jahren aber wird die Macht der Major Labels  zurückgehen. Die Firmen, die seit Jahrzehnten ein Oligopol auf dem Musikmarkt innehaben, werden an Einfluss verlieren.

Die Umstände der Popmusik in den letzten Jahrzehnten waren vor allem eins: begrenzt. Diese Plattenfirmen hatten ein begrenztes Budget, um Bands unter Vertrag zu nehmen und Aufnahmen, Tourneen und Merchandise zu finanzieren. Radiosender konnten nur eine begrenzte Zahl an Songs am Tag spielen, und die Zahl der Sender war begrenzt von den Frequenzen. Werbung für Musik war begrenzt von der Zahl der Plakatwände, dem Höchstmaß an Werbung in Fernseh- und Radiosendern und der maximalen Seitenzahl von Zeitschriften. Plattenläden hatten nur begrenzten Platz, um Platten auszustellen, und nur begrenzte Mittel, Platten anzukaufen. Der Verbraucher hatte nur begrenzte Möglichkeiten, Musik zu entdecken, je nachdem, wo er wohnt; das heißt, welche Sender er empfängt oder wie viele Läden es in seinem Umkreis gab.

Vom Radio ins Internet

Das alles hat sich mit dem Aufkommen des Internets geändert. Die Vormachtsstellung der Major Labels war, und ist heute noch, auch ihre Infrastruktur und ihre Macht über das System des Vertriebs und der Promotion von Musik. Download-Seiten wie iTunes oder Musicload werden aber immer beliebter und erfolgreicher. Streaming-Dienste wie Spotify, Grooveshark und Pandora machen es in der Zeit des mobilen Internets einfach, Zugriff auf nahezu unbegrenzt viel Musik zu bekommen. Der Gedanke, mit diesen neuen Formen des Vertriebs den Mittelmann, also die Plattenfirmen, auszuschalten, liegt da nahe. Denn wenn die Nutzer im Internet nach einer Aufmerksamkeitsökonomie handeln und den besten Bands die meiste Beachtung schenken, braucht es weniger klassische Werbung – also weniger Unterstützung der großen Plattenfirmen. Zusätzlich wird Musik günstiger, weil Kosten für Verpackung gespart werden können. Das macht legale Downloads für den Konsumenten attraktiv.

Im Internet können Bands ihre Musik selbstständig und effektiv bekannt machen, und haben so die Chance, sich dem Einfluss der Major Labels zu entziehen. Der wichtigste Faktor für die Bekanntheit einer Band war bisher das Airplay, also die Häufigkeit, mit der Songs im Radio gespielt wurden. Radiostationen waren abhängig von den Musikunternehmen, die Alben und Singles zur Verfügung gestellt haben; auf der anderen Seite war und ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Plattenfirma einen Sender bezahlt hat, um eine Single eines Künstler besonders oft zu spielen. Aber obwohl der durchschnittliche Radiokonsum am Tag nicht sinkt, sondern im Gegenteil sogar steigt, gilt Radio als Nebenbei-Medium, das heißt, es wird selten aufmerksam gehört. Um neue Bands zu entdecken, gibt es heute unzählige Möglichkeiten im Internet: Empfehlungen in Social Media oder Rezensionen in Blogs weisen auf Bands hin, die sich auf Last.FM, Soundcloud, Myspace, Youtube oder Bandcamp selbst promoten können. Um die Musik einer Band bekannt zu machen, bietet das Internet geradezu demokratische Möglichkeiten.

Dass vormals unbekannte Bands im Internet entdeckt und große Bekanntheit erlangt haben, ist dabei keine Utopie, sondern Fakt. Der wohl bekannteste Fall dafür ist der Kanadier Justin Bieber, dessen Youtube-Videos einem Musikmanager aufgefallen waren. Ein weiteres Beispiel ist die britische Gruppe Arctic Monkeys, die ohne Plattenvertrag erfolgreiche Konzerttourneen gespielt haben und selbstaufgenommene EPs verkaufen konnten. Beide haben dann den Sprung zum Plattenvertrag gemacht – ein Schritt, der vielleicht in Zukunft überflüssig sein wird.

Plattenfirmen umgehen

Der reine Selbstvertrieb der Musik muss kein Minusgeschäft sein: Bekannte Künstler wie Radiohead oder Prince veröffentlichten Alben gar nicht erst auf CD, sondern ausschließlich als Download – mit einem außergewöhnlichen Preissystem. Das Radiohead-Album In Rainbows wurde 2007 auf der Internetseite der Band für einen Preis angeboten, den der Kunde selbst wählen konnte; der Vertrag der Band bei ihrem Label war ausgelaufen. Der Kunde konnte sich auch entscheiden, nichts zu zahlen, und durfte das Album dennoch herunterladen. Man schätzt, dass die Band mit diesem Vertriebsweg erheblich mehr eingenommen hat, als wenn sie ihr Album auf traditionellem Wege angeboten hätten, und insgesamt mehr Menschen das Album gehört haben, weil der mögliche kostenlose Download attraktiv ist. Dabei basiert die Bekanntheit natürlich schon auf vergangenen Erfolgen – trotzdem zeigt das Beispiel, dass sich Musiker vom traditionellen Vertrieb lösen können.

Die Major Labels behandeln ihre Musiker schlecht im Glauben, unersetzlich zu sein. Diese Arroganz ist aber unangemessen und trägt zu ihrem negativen Image bei. So sind die Verträge, die mit Musikern geschlossen werden, veraltet – zum Vorteil der Labels. Schon beim Mediumsumbruch zwischen LP und CD wurden Verträge nicht angepasst. Kosten für das Jewel Case, die Standardhülle für CDs, wurden oft weiterhin zu hoch angegeben. Aktuell werden noch immer in Verträgen Kosten für Verpackung und ähnliche Posten für alle verkauften Einheiten berechnet – Kosten, die aber beim Vertrieb digitaler Dateien über das Internet schlicht nicht mehr anfallen. Angesichts der steigenden Verkaufszahlen von legalen Downloads und dem Rückgang an CD-Käufen wirkt das besonders bizarr. Viele Verträge, die teils auf zehn Jahre und mehr geschlossen wurden, sind letztlich ein Relikt der Vergangenheit und tragen zum Unmut der Musiker bei, die sich nicht aus ihnen befreien können.

Independent als Zukunft?

Als Alternative zum Selbstvertrieb scheinen klassische Independent Labels unrealistisch, obwohl diese kleineren und dem Namen nach unabhängigen Firmen oft vergleichsweise faire Verträge bieten und sich viele Künstler dort besser aufgehoben und beraten fühlen. Es gibt zwar eine Vielzahl kleiner und winziger Labels – aber seit den 90er-Jahren sind auch die großen Unternehmen auf sie aufmerksam geworden. So gehen seit dieser Zeit viele kleine Labels Kooperationen mit Majors ein, um Produktions- und Vertriebskosten zu senken; viele wurden auch schlicht aufgekauft (ein bekanntes Beispiel dafür ist Sub Pop, ein Label, das vor allem Grunge-Bands wie Nirvana unter Vertrag nahm und später von Warner übernommen wurde). Viele große Plattenfirmen gründeten Subunternehmen, also Pseudo-Independent Labels, die schneller auf Veränderungen in der Musikszene reagieren konnten und ihren Besitzern einen Anteil am kommerziellen Erfolg von Alternative-Musik versprach. Tatsächlich vollkommen unabhängige Kleinstlabels dagegen haben im klassischen Modell weder Ressourcen noch Infrastruktur, eine Band überregional zu fördern; im Internet gibt es die aber.

Die Musikindustrie will Stagnation, weil sich Stagnation für sie noch auszahlt; aber diese Realitätsverweigerung wird letztlich der Grund für den Untergang der Major Labels sein. Ein großer Punkt bleibt aber: Die hochwertige Produktion von Musik ist immer noch ein zeitaufwendiger und vor allem teurer Prozess. Musik aus Eigenproduktion im Heimstudio erreicht nur selten die Qualität professionell produzierter Popmusik. Aber auch hier wird sich die Industrie anpassen – ob mit Bankkrediten für Studioaufnahmen oder mehr unabhängigen Studios oder Producern.

Viele der Informationen über die Musikindustrie in diesem Artikel stammen aus dem Buch „Mix, Burn & R.I.P. Das Ende der Musikindustrie“ von Janko Röttgers, das hier unter CC-Lizenz abrufbar ist. Dieser Artikel ist die gekürzte und aktualisierte Version eines Essays, das ich 2011 als Prüfungsleistung an der Uni Mainz eingereicht habe.

Ein Schrecken geht um durch die deutschen Medien: die Insolvenz. In den letzten Monaten hat es die Nachrichtenagentur dapd, die überregionale Tageszeitung Frankfurter Rundschau und die Wirtschafts-Tageszeitung Financial Times Deutschland getroffen. Steigende Auflagen sind sowieso ein Vergangenheitstraum, aber die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz großer Medien in dieser Form ist neu. Verzweifelt versuchen Verlagshäuser, sich neue Einnahmequellen zu erschließen, um ihre Flagschiff-Zeitungen zu finanzieren – Partnervermittlung, DVD-Serien, Weindekanter.

Aber welche Möglichkeiten gibt es, sich als Zeitung von der Konkurrenz abzusetzen und im Zweifelsfall damit auch noch Geld zu verdienen? Was wohl allen klar ist: Die gedruckte Zeitung wird es nicht ewig geben. Ob in fünf, 15 oder 25 Jahren – wir werden unsere Nachrichten auf Bildschirmen lesen. Daher geht es nicht um die Frage, wie das Printprodukt Zeitung gerettet werden kann, sondern darum, wie journalistische Berichterstattung gerettet werden kann. Das Internet ist hier die zentrale Herausforderung für die Verlage.

Die drängende Frage ist dabei: Wie kann man im Internet Geld verdienen? Mit Online-Werbung alleine kann keine Zeitung ihren Betrieb finanzieren. Seit der Finanzkrise sind die Werbeeinnahmen massiv eingebrochen; darüber hinaus ist Online-Werbung immer noch weitaus billiger als Print-Werbung. Und der andere Teil der Zeitungseinnahmen, der Kaufpreis? Die Geschichte des Internets ist die von freien, kostenlosen Informationen. Die wenigsten sind bereit, plötzlich dafür zu bezahlen, was sie bei der Konkurrenz vielleicht umsonst bekommen.

Geld für Zugang

Trotzdem versuchen es einige Zeitungen mit Bezahlmethoden. Die am weitesten verbeitete ist dabei die Paywall – kein oder nur beschränkter Zugang für Nicht-Zahler. The Times aus London lässt überhaupt kein kostenloses Lesen mehr zu (was sie praktisch ihre komplette Online-Leserschaft gekostet hat), die New York Times bietet nur zehn kostenlose Artikel im Monat an, der Gannett-Verlag hat Paywalls für alle seine 82 Zeitungen (außer USA Today) implementiert – scheinbar erfolgreich. Doch ist auch der Zeitungsmarkt in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eingebrochen.

In Deutschland sind es vor allem viele regionale Zeitungen, die Geld für Artikel sehen wollen. Große Tageszeitungen wie die Süddeutsche oder die Frankfurter Allgemeine bleiben dagegen vollkommen kostenlos – nur die taz führt eine halbgare Bezahlschranke ein, die sich aber nicht besonders von der alten flattr-Aufforderung unterscheidet. Dabei könnte das Konzept gerade bei Lokalzeitungen aufgehen. Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Gruppe, sieht in lokalen Nachrichten ein großes Alleinstellungsmerkmal. Tatsächlich kann man die DPA-Artikel, mit denen die Mäntel der Lokalblätter gefüllt sind, auch auf Spiegel Online lesen, oder im Zweifel in der Tagesschau die entsprechenden Informationen bekommen. Aber das Derby in der Bezirksliga, die Kreisverwaltungssitzung oder riesigen Schlaglöcher in der Hauptstraße? Das bekommt man nur in der Lokalzeitung.

Dabei ist der Sprung ins Internet aber auch gefährlich. In einem Umfeld, das sich ständig verändert und innovativer wird, kann ein Online-Auftritt schnell altbacken und irrelevant wirken. Die gleichen Artikel, die sowieso in der Printausgabe stehen, einfach nur ins Online-Template einzufügen, ist vielleicht zu einfach. Das Netz bietet eine unübersichtliche Zahl an Darstellungsmöglichkeiten. Bilderserien, Videos, interaktive Grafiken, Podcasts, Blogs – all das gibt es im Print nicht, und kann daher einen Mehrwert für den Leser bedeuten. Die Krux ist: Es muss aber gut gemacht sein. Niemand will sich durch eine Klickstrecke mit 100 Bildern kämpfen, weil ihn eins davon interessiert. Die Mediendaten werden die Klicks freuen, den Leser aber frustrieren und mittelfristig abschrecken. Und das Video, das wie mit der Handykamera gefilmt aussieht, schadet dem Image der Zeitung regelrecht. Hier müssen Zeitungen also abwägen: Was will ich und was kann ich dem Leser bieten? Nicht zuletzt erfordert das auch, neue Mitarbeiter einzustellen – wenn man es richtig machen will.

Neue Konkurrenz

Im Internet muss sich Journalismus mit Qualität von anderen absetzen. Das frühere Alleinstellungsmerkmal – die Möglichkeit der Massenkommunikation – ist für die Verlage dahin. Jeder kann sich einen kostenlosen Blog besorgen und in Konkurrenz zu Zeitungen treten. Wenn der Technik-Redakteur nicht besser ist als der Blogger, ist jeder Grund dahin, für den Zeitungsauftritt zu zahlen. Die Geschwindigkeit der Informationen ist eine weitere Herausforderung. Keine Printzeitung kann mit Online-Redaktionen oder Agenturen mithalten – die Social Media nicht zu vergessen. In Zukunft werden sich Zeitungen neu entscheiden müssen, in welchem Rhythmus sie veröffentlichen wollen. Geht es darum, dem Leser möglichst schnell die neusten Nachrichten zu vermitteln, oder überlässt man das Feld anderen und will mit tiefen oder breiten Artikeln und ausführlichen Analysen Mehrwert bieten? Auch hier werden Zeitungen unterschiedliche Wege eingehen müssen.

Für die Werbeeinnahmen bleibt der Versuch essentiell, möglichst viele Leser auf die eigenen Seiten zu locken. Auch das bedeutet einen Mehraufwand. Einerseits funktioniert das natürlich über die Bindung der Leser, die die Zeitung vielleicht als Lesezeichen markiert haben – dazu muss aber in der Printausgabe auch ständig auf den Onlineauftritt verwiesen werden. Andererseits müssen Zeitungen ihre Arbeit aber auch über Social Media wie Facebook und Twitter bewerben, was wieder neue Kosten und zusätzliche Arbeitsstunden bedeutet. Besonders wichtig ist Search Engine Optimization – das Anbiedern an Google. Umso verwirrender erscheint der Vorwurf vieler Verlage, Google würde vom Inhalt der Online-Zeitungen profitieren. Letztlich ist es umgekehrt. Ohne Verweise von Google wären die Seiten verwaist.

Und nicht zuletzt: Das Internet wird mobil. Smartphones und Tablet PCs werden als Internetzugang immer beliebter. Auch hier dürfen Zeitungen nicht den Anschluss verlieren. Zentral ist hier die Darstellung der Inhalte, die auf den kleineren Bildschirm, den langsameren Prozessor, und die langsamere und eventuell teure Internetverbindung abgestimmt werden muss. Außerdem ist Werbung auf Mobilseiten noch neues Terrain – was funktioniert, was wird abgelehnt? Die Nutzerforschung hinkt hinterher.

Zukunftsmusik

Es ist eine Vielzahl an Herausforderungen, mit denen sich der Journalismus allgemein und die Zeitung speziell konfrontiert sieht. Internet und Wirtschaftskrise haben ein Geschäftsmodell, das hundert Jahre alt ist, sehr schnell auch genauso alt aussehen lassen. Bedenklich ist dabei die Bedrohung der Funktion, die die Presse in einer Demokratie erfüllen soll. Wenn alle Geschäftsmodelle scheitern, die die Verlage probieren, muss man vielleicht über öffentlich-rechtliche Zeitungen im Stil der Rundfunkanstalten nachdenken. Der Unmut gegenüber der Tagesschau-App, die angeblich in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen getreten ist, ist hier aber ein Symptom der Stimmung.

Und bei aller Innovation darf man auch etwas nicht vergessen: Die App der Frankfurter Rundschau war preisgekrönt, dapd hat dpa deutliche Marktanteile abjagen können und neue Sparten gegründet, und die FTD war für ihre Berichterstattung hoch angesehen. Auch bei Medien spielen zu viele Faktoren mit, die man allein mit journalistischer Qualität nicht immer aufwiegen kann.

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA ist vorbei. Jetzt rückt die Bundestagswahl 2013 näher – und zeigt unterschiedliche Einstellungen zu Geld in der Politik, etwa am Beispiel Peer Steinbrücks. Deutlich werden aber auch zwei vollkommen unterschiedliche Systeme, einen demokratischen Wahlkampf zu finanzieren. Wo der eine Staat es zum großen Teil dem Kandidaten überlässt, seine Kampagne zu stemmen, unterstützt der andere die Parteien mit Steuergeldern. Wie funktioniert die Finanzierung in den Vereinigten Staaten, wie in Deutschland?

USA: Spenden und Super PACs

Schon 2008 gaben Barack Obama und sein Kontrahent John McCain allein über eine Milliarde Dollar im Wahlkampf aus; auch 2012 kamen die Kandidaten dieser Summe nahe.

Das Geld für die Wahlkampffinanzierung kommt dabei von kleinen und größeren Spendern, dem Privatvermögen der Kandidaten und sogenannten Political Action Committees (PAC) – Organisationen, die Wahlkampf betreiben. Dafür gibt es aber Limits: Privatpersonen, Unternehmen oder Gewerkschaften können den Kandidaten, ihren Parteien oder ihren PACs nur eine bestimmte Summe zukommen lassen. PACs wiederum dürfen nur gewisse Summen direkt der Kampagne eines Kandidaten zukommen lassen, aber unabhängig Werbung betreiben. Außerdem exisitiert ein Programm zur staatlichen Förderung des Wahlkampfes, das die Kandidaten aber stark in ihren Ausgaben einschränkt. Diese Regelungen werden von einer unabhängigen Behörde auf nationaler Ebene, der Federal Election Commission, überwacht.

Mit zwei kontroversen richterlichen Entscheidungen 2010 mussten sich die Kandidaten allerdings nicht mehr nur auf sich selbst und ihre Partei verlassen, was Spenden angeht. Die „Super PACs“ können Spenden in unbegrenzter Höhe von Privatpersonen, Firmen und Gewerkschaften annehmen – unter der Voraussetzung, dass sie sich nicht mit der Kampagne eines Kandidaten koordinieren. Solche Organisationen haben 250 Millionen Dollar im Wahlkampf für die Unterstützung einzelner Kandidaten ausgegeben. Ingesamt gibt es etwa 1100 Super PACs, von denen aber nur wenige auch im Präsidentschaftswahlkampf mitgewirkt haben.

Super PACs stehen in der Kritik. Die Bürger, die sich der Existenz dieser Organisationen und ihrer Möglichkeiten überhaupt bewusst sind, glauben in der großen Mehrheit, dass sie sich negativ auf den Wahlkampf auswirken. Auch die Presse äußert sich meist besorgt über den großen Einfluss, den reiche Privatleute so auf den demokratischen Prozess haben können.

Deutschland: Staat und Mitglieder

Mitgliedsbeiträge, Spenden und Staatsmittel bilden die Grundlage der Parteifinanzierung in Deutschland, die wiederum die Wahlkämpfe finanziert. Staatliche Förderung erhalten Parteien, die bei der letzten Europa- oder Bundestagswahl mehr als 0,5 Prozent oder bei der letzten Landtagswahl mehr als 1 Prozent der Stimmen erreicht haben. Diese Parteien erhalten Geld pro Wählerstimme, außerdem einen Aufschlag auf  „Zuwendungen“, also Spenden und Mitgliedsbeiträge.

Dabei gibt es eine Obergrenze, die bisher per Gesetz festgelegt war. Für 2012 betrug diese Grenze 151 Millionen Euro, ab 2013 wird der Betrag jährlich angespasst. Weil Parteien aber nicht hauptsächlich vom Staat finanziert werden dürfen, kann die Förderung pro Partei nicht deren Eigeneinnahmen übersteigen. Deswegen erhalten die Parteien nicht die vollen Mittel, die ihnen pro Wählerstimme zustehen würden, sondern gekürzte Beträge. Laut dem Rechenschaftsbericht der politischen Parteien nahm die CDU so im Jahr 2010 etwa 138 Millionen Euro ein, davon knapp 18 Millionen Euro an Spenden. Die SPD nahm 147 Millionen Euro ein, davon knapp 10 Millionen Euro an Spenden. Den Großteil machen jeweils die Mitgliederbeiträge aus.

Für den Bundestagswahlkampf 2009 gaben die Bundestagsparteien nur rund 60 Millionen Euro aus – ein winziger Betrag im Vergleich zu den Ausgaben der amerikanischen Kandidaten.

Warum?

Im Vergleich zu dem Spendenaufkommen und den Wahlkampfkosten in den USA fällt so leicht die Relevanz der staatlichen Förderung der Parteien in Deutschland auf. Auf den Wahlkampf bezogen, kommen aber noch mehr Faktoren ins Spiel. In den USA gibt es durch die größere Bevölkerung mehr Potenzial für Spenden, die Parteien brauchen aber auch mehr Personal für den Wahlkampf, was höhere Lohnkosten und Spesen bedeutet, Werbung in den nationalen Zeitungen und Fernsehsendern kostet weitaus mehr als in deutschen Medien, Plakatwerbung ist teuer, wenn man das ganze Land damit abdecken will, die Reisekosten, etwa der Kandidaten, sind in dem großen Land höher – und schon der parteiinterne Wahlkampf um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat kostet viel Geld und muss mit Spenden oder privat finanziert werden.

Hinter der Parteien- und Wahlkampffinanzierung in den beiden Ländern stehen gänzlich unterschiedliche Philosophien. Welcher Weg der richtige ist, bleibt Ansichtssache. Dass es in beiden Systemen Probleme und Fehler gibt, zeigen etwa Spendenaffären auf der einen und plutokratische Züge auf der anderen Seite.