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Pessimistisch könnte ich sagen:

„Angst, Hass, Titten und der Wetterbericht“ – wenn es um Klickzahlen geht, müssen Onlinemedien häufig Feuilleton und Wirtschaft zurückstellen, um an ihre Page Impressions, Unique Users, Klicks, Links, Retweets und Likes zu kommen. Und wenn schon Politik, dann bitte schön auf Personen heruntergebrochen und voller Reizthemen.

Dass die Realität nicht derart grau ist, ist wohl klar. Trotzdem hat ein Ereignis letzte Woche gezeigt, wie die Umstände im modernen Journalismus zu einer Kettenreakion werden können. Wie Tabea Rößner ihre Handtasche am Frankfurter Flughafen verlor und wie deutsche Medien darauf reagierten, zeigt das Bildblog penibel auf.

An sich eine runde Geschichte: Privilegien für Politiker, Heuchelei von umweltbewussten Grünen, Nachteile für den kleinen Mann. Das garantiert Klicks. Das einzige Problem: Die Geschichte stimmte so nicht, denn der Flieger musste ohnehin warten.

„Keine Sonderbehandlung“, schreibt Tabea Rößner auf ihrer Homepage. „Wegen mir oder meiner Tasche hat sich der Flieger nicht um eine Sekunde verspätet, kein Passagier musste leiden. Das hat und wird die Lufthansa auch gerne jedem bestätigen, der nachfragt.“

Das hat aber offensichtlich kaum jemand getan, wie Bildblog berichtet. Der „Berliner Kurier“ soll den tatsächlichen Grund für die Verspätung zwar am Rande erwähnt haben – nachprüfen lässt sich das nicht, weil der Artikel mittlerweile offline ist. Solche Details gehen beim Abschreiben aber gerne verloren. Die doppelte Wirkung der Content-Syndication mit Schwestermedien und die Abschreibekultur im Online-Journalismus verfremdet die Geschichte weiter, bis am Ende eine Bundestagsabgeordnete fast im Kreuzfeuer der Medien untergeht, die die ganze Geschichte anfangs noch mit Humor nimmt:

Wenn die Dynamik von Nachrichtenagenturen, zusammengelegten Redaktionen, Onlinemedien und natürlich Zeitdruck Fehler produziert, sollten Journalisten ihren Lesern aber dringend ihre Arbeitsabläufe erklären können. Wer einmal am Tag Überschriften scannt und Artikel querliest, bekommt höchstwahrscheinlich kleine oder größere Fehler mit. Wie hoch ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die Korrektur des Fehlers mitbekommt – wenn es denn eine gibt? In diesem Fall: Wie ist das Verhältnis derer, die Rößner für privilegiert und hysterisch halten, zu denen, die die Aufklärung der Story mitbekommen haben?

Denn: Ein „Sorry! Seite nicht mehr verfügbar“ kann Falschmeldungen nicht sonderlich effektiv korrigieren – abgesehen davon, dass so auch jegliche Transparenz flöten geht. Und was das Vertrauen in Zeitungen angeht, stehen solche Studien eines Verbandes von PR-Agenturen solchen von Gallup gegenüber.

„Ich bin ja nicht für Atomenergie, aber diese Windräder gehören nicht in meinen Garten.“

„Wegen mir können die ja glauben, was sie wollen, aber diese Türme in der Stadt, neben der Kirche?“

Diese Argumente täuschen Toleranz nur vor. Tolerieren bedeutet nicht ignorieren, bedeutet nicht erzwungene Verdrängung. Dass manche Journalisten solche Schutzargumente aber noch vor sich hertragen, hat sich in den letzten Tagen an der Debatte um die sexuelle Orientierung eines ehemaligen Fußball-Nationalspielers gezeigt.

In einem Interview mit der Zeit hat Thomas Hitzlsperger über seine Homosexualität gesprochen. Damit war er der erste A-Listen-Spieler, der das getan hat. Die Reaktionen: Überwiegend positiv. Negative Reaktionen zu seiner öffentlichen Aussage fehlten – zumindest explizite.

Denn das Editorial des Fußball-Leitmediums Kicker war diese:

„Wichtig? Ist etwas passiert?“

Die Antwort: Ja, es ist etwas passiert. Der Profifußball war eine der letzten Bastionen der absoluten Heterosexualität, gleichauf wohl nur mit der katholischen Kirche. Dass die Vorstellung Quatsch war, wusste jeder selbst. Dass sich aber jemand in die Öffentlichkeit wagt, ist neu – und deshalb ist es wert, darüber zu berichten. Erst recht, wenn Fußball das wichtigste Thema eines Mediums ist. Denn worum es geht, ist nicht die sexuelle Orientierung eines einzelnen Spielers, sondern die symbolische Bedeutung ihrer Veröffentlichung. Hitzlsperger drängt auch seine Sexualität niemandem mehr auf als eine Schauspielerin, die im Interview von ihrem Freund spricht.

In einem Video erklärte Hitzlsperger seinen Schritt genauer. „Im Fußball gibt es keine bekannten Homosexuellen. Daher ist es schwer zu sagen, ob es wirklich schwulenfeindlich ist. Man muss warten auf die ersten, den ersten Fußballer, der sich bekennt zu seiner Homosexualität.“

So lange niemand im Fußball offen schwul war, haben schwulenfeindliche Sprüche zumindest niemanden im Umfeld direkt beleidigt. Aber wie in der Gesellschaft hat es die Homosexuellen auch in den Vereinen gegeben. Hitzlsperger sagte, bei „guten Witzen“ habe er auch mitgelacht und sich nicht beleidigt gefühlt. Ist aber jeder auf Dauer so stark?

Die „Rocky Horror Hitzlsperger Show“ hat Jasper von Altenbockum das Coming-Out in der FAZ genannt. Altenbockum interpretiert die komplette Diskussion um: Weil es Homosexuellen in Deutschland besser als anderswo gehe und die meisten Menschen normal mit ihnen umgingen, sei der implizite Vorwurf der Homophobie an die Deutschen – Diskriminierung. Ergo: „Es sollte nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: ‚Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.'“

Hitzlsperger hat aber niemandem Homophobie vorgeworfen. Dafür, dass Altenbock das Coming-Out als „harmlos“ erachtet, rutscht er erstaunlich schnell in dystopische Fantasien von schwulen Diktaturen und Unterjochung von Vater-Mutter-Kind ab. Denn die Grundannahme des Arguments ist schon falsch: Homosexuelle sind in Deutschland weder gleichberechtigt noch allgemein anerkannt. Altenbock will nicht zur Toleranz gezwungen werden, aber die Gleichbehandlung von gesellschaftlichen Gruppen ist ein größeres Gut als sein abschätziges Unwohlsein. „Die kleindeutsche Paranoia des Reaktionärs“ nennt das Georg Diez bei Spiegel Online.

Analog dazu schreibt Johannes Kram bei Vocer: „Wieso haben eigentlich Schwule so viele Jahre dafür gekämpft, anders sein zu dürfen, wenn sie jetzt ihr Anderssein so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zerren?“ Damit bringt er eloquent sein eigenes Missverstehen zum Ausdruck. Normal ist Schwulsein mittlerweile in manchen, vielleicht vielen Gesellschaftsgruppen, aber eben nicht im Fußball. Und ob das ganze nur ein Marketing-Schachzug war, kann niemand außer Hitzlsperger selbst bewerten.

Dabei ist dessen Aussage so klar wie einfach: „Ich möchte gern eine öffentliche Diskussion voranbringen – die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern.“

Das zumindest hat er geschafft.

„If they don’t demonstrate some social responsibility it would be very difficult for government to stand back and not to act.“

Das sagt der Regierungschef einer liberalen, westlichen Demokratie über die Presse in seinem Land. David Cameron, Premierminister des Vereinigten Königreichs, will nicht, dass der Guardian und andere Zeitungen weitere Informationen von Edward Snowden veröffentlichen. Wie immer begründet er das mit der Gefahr für Leib und Leben seiner Staatsbürger, mit der Abwehr von Terrorismus, und wie immer betonte er die demokratische Legitimierung der vollkommenen Ausspähung.

„Tätig geworden“ ist seine Regierung aber längst. Im August hielten die Behörden den Brasilianer David Miranda fest, den Lebenspartner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald. Neun Stunden wurde er am Flughafen Heathrow befragt und musste seinen Laptop, sein Telefon und Speichermedien hergeben. Die Behörden handelten auf Grundlage des Terrorism Act von 2000, der es den Behörden erlaubt, Menschen festzuhalten, wenn sie in Verbindung mit Terrorismus stehen sollen. Zeit Online schreibt zu dem Gesetz:

Das britische Anti-Terrorgesetz erlaubt es den Sicherheitsorganen, bei Grenzkontrollen Personen bis zu neun Stunden festzuhalten. Die Betroffenen hätten nicht automatisch das Recht auf einen Anwalt. Außerdem sei es eine strafbare Handlung, bei der Befragung die Aussage zu verweigern.

Das tritt jeden Rechtsstaat mit Füßen. Bizarr: Mirandas Behandlung war nur möglich, weil er persönlich von Rio de Janeiro nach London fliegen musste, um dem Guardian die Dateien von Glenn Greenwald zu überreichen – denn wenn er sie elektronisch übermittelt hätte, hätten sie leicht abgefangen werden können. Das zeigt, wie die Angst vor Überwachung eine Gesellschaft einschüchtert und „kleinlichen Racheakten“ (Amnesty International) ausliefert.

„We have a free press, it’s very important the press feels it is not pre-censored from what it writes and all the rest of it“, sagte Cameron Anfang der Woche weiter. Doch auch wenn es keine institutionelle Präventivzensur gibt, zeigt allein Mirandas Beispiel, wie sehr totale Überwachung die Presse einschränkt. Aber Cameron scheint sich nicht einmal zu schämen, solche Sätze von sich zu geben: „The approach we have taken is to try to talk to the press and explain how damaging some of these things can be and that is why the Guardian did actually destroy some of the information and disks that they have.“

Damit bezieht er sich auf die Vernichtung von Speichermedien des Guardian. Nein, es waren nicht die Behörden, die sie zerstört haben, aber die Techniker des GCHQ waren dabei und hatten Rückendeckung von der juristischen Drohung der Regierung, die eine weitere Berichterstattung vielleicht verhindert hätte – weswegen der Guardian lieber weiter berichten wollte. Von einer freundlichen, rationalen Überzeugung unter Partnern kann also kaum die Rede sein. Dass die Episode auch zeigt, wie verbissen manche Behörden die Existenz digitaler Kopien übersehen wollen, ist dabei nur eine Randnotiz.

Am Freitag wurde nun bekannt, dass die Behörden David Miranda tatsächlich Beteiligung am Terrorismus vorgeworfen hatten, auch wenn keine Anklage erhoben wurde. Glenn Greenwald zeigt sich auf Twitter angewidert:

An zwei Stellen kommt aber im Moment noch Bewegung in die Sache. Boris Johnson, Bürgermeister von London und Parteifreund von David Cameron, verteidigte die Veröffentlichung der Snowden-Informationen, und nach dem Besuch von Hans-Christian Ströbele in Moskau ist nun die deutsche Regierung unter Zugzwang – denn Snowden wäre bereit zur Aussage in Deutschland, wenn er Asyl oder Bleiberecht erhalten würde.

Der Wahlkampf ist vorbei, die Wahl ist vorbei, und jetzt geht es noch um diese Kleinigkeit mit der künftigen Regierung. Aber die Zeit vor einer Wahl ist für Journalisten die hektischste – jede kleine Information, jeder Kommentar, jeder Satz, jede Speisekarte schafft es in nationale Medien. „Viele haben einfach nur auf den nächsten Halbsatz gewartet, der skandalisierbar ist, um dann hinterher mitzuteilen, dass das nächste Fettnäpfchen getroffen wurde“, kommentiert „Zeit“-Parlamentskorrespondent Peter Dausend die Arbeit des Journalismus vor der Wahl im Saarländischen Rundfunk. Das beliebteste Ziel sei SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gewesen, der wohl durch ein Meer aus Fett gewatet ist – von teurem Wein zu Mittelfingern war alles dabei.

Dabei vermeiden die meisten Nachrichtenmedien heute, einzelne Parteien zu empfehlen, geschweige denn Nähe zu Parteien zu zeigen (auch wenn sich natürlich generelle Neigungen zeigen). Allein die Financial Times Deutschland hatte in den vergangen Jahren explizite Wahlempfehlungen ausgesprochen. Das war in Deutschland nicht immer so: In der Weimarer Republik standen alle großen politischen Zeitungen einer oder mehreren Parteien nahe und zeigten das im Wahlkampf auch deutlich. Nur Boulevardzeitungen, die Anfang des 20. Jahrhunderts an Popularität gewonnen hatten, hielten sich zurück – aus Angst, Leser zu verprellen und die Auflage zu gefährden. Deutlich wird das im Reichspräsidentschaftswahlkampf 1925, als sozialdemokratische, liberale und rechte Zeitungen massive Werbung für ihre Kandidaten machten. Dausends Kritik würde hier voll zutreffen: Jede Äußerung des gegnerischen Kandidaten war ein Zeichen für dessen politische Unfähigkeit und Vorbote des Untergangs Deutschlands.

Eine eindeutige politische Haltung widersprach nicht der Auffassung vom journalistischen Beruf. In der jungen deutschen Demokratie, die erstmals Meinungsfreiheit garantierte, galt das Kommentieren und Einordnen als hohes Gut. Das stand schon damals im Kontrast zur angelsächsischen Journalismus-Tradition, die peinlich auf größtmögliche Balance achtete. Daher beeinflusste der Faktor Objektivität in der Weimarer Republik nicht die journalistische Qualität einer Zeitung.

Am Beispiel der Frankfurter Zeitung (FZ) wird deutlich, wie sehr sich politische Berichterstattung gewandelt hat. Die FZ gilt als eine der qualitativ besten Zeitungen der Weimarer Zeit – und spielte doch im Wahlkampf das Sprachrohr einer Partei. Zu einer Zeit, in der Radio und Kino noch junge, unpolitische Medien waren, bildeten die Zeitungen noch die wichtigste Quelle für politische Informationen. Der Frankfurter Bankier Leopold Sonnemann gründete die FZ 1856 und vertrat fortan ein liberales, demokratisches Ideal. Nach 1918 hatte das Blatt enge personelle und ideelle Verflechtungen mit der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Mit zahlreichen eigenen Korrespondenten an Parlamenten und im Ausland und umfangreichen Feuilleton- und Wirtschaftsteilen war sie das Blatt für die gebildete Mittelklasse. Aus heutiger Sicht ist aber ihre Berichterstattung im Wahlkampf zu großen Teilen reine Polemik.

Explizit ruft sie zur Wahl des DDP-Kandidaten auf: „[Der] zur Einigung im zweiten Wahlgang geeignetste, auch als Persönlichkeit hervorragende Kandidat ist nach unserer festen Überzeugung der badische Staatspräsident Willy Hellpach.“ Völlig verklärt erscheint dazu ein prosaischer Feuilleton-Artikel, der Hellpachs Persönlichkeit und Charakter preist. Der Kandidat des rechten Lagers, Karl Jarres (Deutschnationale Volkspartei), sei dagegen „ein tüchtiger Kommunalbeamter und trotz des verhängnisvollen Fehlgreifens in seiner Rheinlandpolitik ein braver und patriotischer Mann“, spottet die FZ. Diese Linie zieht sich durch die komplette Berichterstattung.

Nach dem erfolglosen ersten Wahlgang stellte sich die FZ hinter den Zentrums-Kandidaten Wilhelm Marx, der gegen Paul von Hindenburg antrat. Angesichts der Kandidatur des ehemaligen Generalfeldmarschalls, der für die demokratische Bevölkerung das Gesicht des deutschen Imperialismus und Militarismus ist, schaltet die FZ einen Gang hoch. Der Greis Hindenburg sei jemand, „von dem aber weder öffentliches Reden überhaupt, noch sachliche Auskunft über politische Probleme verlangt werden darf“. Sein Programm habe Kriegsschieberei gefordert. Ratlos fragt die FZ: „Liegt nicht zwischen Hindenburg und seiner Gegenwartsaufgabe eine Welt?“

Der publizistische Wahlkampf war hitzig. Linke und rechte Blätter warfen sich gegenseitig Demagogie, Lügen und Propaganda vor. Kaum eine Ausgabe der FZ kommt ohne Zitate anderer, oft ausländischer, Zeitungen aus. Den Kommentaren rechter Zeitungen widerspricht sie, die von ausländischen nutzt sie zur eigenen Argumentation. Vor allem im zweiten Wahlgang sind es immer wieder englische, französische oder US-amerikanische Zeitungen, die Sorge um die Zukunft Deutschlands unter Hindenburg ausdrücken. Gegenteilige Meinungen ausländischer Zeitungen und Politiker nennt das Blatt von vornherein deutschlandfeindlich.

Besonders deutlich wird der tendenziöse Journalismus bei kleinen Artikeln, die nichts mit dem Wahlkampf oder der Wahl zu tun haben, dem Leser aber dennoch eine klare Botschaft zukommen lassen. Beim angeblich monarchistischen Hindenburg war das die Erwähnung eines Treueschwurs an Wilhelm II. 1922  oder die Spekulation über einen Besuch des Thronerben. Aus der Besprechung eines Sachbuches von Hellpach dagegen folgert die FZ seine Eignung für das Amt. So nutzt sie auch wahlkampf- und teilweise allgemein politikfremde Themen, um den Wahlkampf zu beeinflussen.

Trotzdem möchte die FZ nicht unumschränkt als Wahlkampfmittel wahrgenommen werden. So spricht sie von ihrer „Publizistenpflicht“, die Vorgänge im bei den gegnerischen Parteien zu enthüllen. Dennoch druckt sie den Wahlaufruf des republikanischen Blocks ab, der die Leser direkt auffordert, die Zeitung an Verwandte auf dem Land weiterzuschicken, um monarchistische Meinungen zu bekämpfen. Die Verantwortlichen sahen die Zeitung offensichtlich als legitimes Wahlkampfmittel: Der DDP-Politiker Hermann Dietrich nannte die Berichterstattung parteinaher Zeitungen die beste Wahlreklame; Anton Erkelenz schrieb Briefe an das Berliner Tageblatt und die FZ, in denen er seine Erwartung aussprach, dass die Blätter wieder „das Bestmögliche für die von uns vertretenen Gedanken“ leiste.

Keine so offen  tendenziöse Zeitung würde heute als Qualitätsblatt gelten. Aber der Wechsel von der Monarchie in die Demokratie hat den Meinungsjournalismus aufblühen lassen. Wie eine Staatsführung Massenmedien missbrauchen kann, hat sich dann ein Jahrzehnt später gezeigt – und für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Form des Journalismus hervorgerufen, die Bericht und Kommentar strikt trennen soll. Ob die politischen Zeitungen in der Weimarer Republik überhaupt einen Einfluss auf die Wähler hatten, ist nicht klar. Vieles spricht dafür, dass ein Großteil der Wähler nicht die intellektuell anspruchsvollen Blätter gelesen hat, um sich über die Wahl zu informieren, sondern vorgeblich unpolitische Generalanzeiger, lokale Blätter oder Boulevardzeitungen. Die Sonderstellung der Frankfurter Zeitung als Speerspitze des liberalen Journalismus und ihre vergleichsweise große Verbreitung im Ausland sprechen zumindest für eine größere Wirkung im Vergleich zu anderen Blättern.

Dieser Beitrag basiert auf meiner Bachelorarbeit am Institut für Publizistik der Uni Mainz im August 2012. Die Arbeit erreichte die Note 1,3. Wer interessiert ist, kann sich die Arbeit hier ansehen.

In einem höhnischen Artikel hat Wolfgang Bok für das Magazin „Cicero“ die Bundestagswahl kommentiert – und auf den Journalismus im Land bezogen. In „Die grüne Journaille hat versagt“ argumentiert er, der eindeutig konservative Wahlausgang habe dem eindeutig linken Journalismus einen Schlag ins Gesicht verpasst. Aber Boks Argumentation ist überaus wacklig und inkonsistent.

„Zusammen versammeln sich gerade mal ein Drittel der Wähler hinter der vermeintlichen politischen Avantgarde“, schreibt er, und das stimmt – wenn man Die Linke nicht zum linken Lager zählt. Wenn man, worauf Bok erpicht ist, Konservative und Linke gegenüberstellt, kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis: Die Union hat 311 Sitze errungen, SPD, Grüne und Linke zusammen 319. Dass CDU und CSU mit Abstand die meisten Wahlkreise gewonnen haben, lässt sich auch mit der Zersplitterung im linken Lager begründen. Während die Union die Konservativen dominiert, haben Wähler links der Mitte die Wahl zwischen mindestens drei größeren Parteien – und diese Wahlmöglichkeit nutzen sie auch, so dass die Stimmen für die SPD allein nur selten zum Direktmandat reichen. Selbst, wenn man die Stimmen für FDP und AfD zum konservativen Lager zählt (dann die für die Piraten aber auch zum linken), ist es nicht so mächtig, wie es Bok glaubt – ganz abgesehen davon, dass Stimmen für Parteien nicht mit repräsentativen Umfragen zu politischen Einstellungen zu verwechseln sind.

Aber für Bok ist die politische Welt ohnehin simpel. Nur in „Hartz-IV-Hochburgen“ wählen die Menschen die Linke, in Universitätsstädten die Grünen. Dort reicht es aber nicht einmal für Direktmandate: Cem Özdemir gewinnt nicht in seinem Wahlkreis – obwohl sein Gegner ein CDU-Politiker ist, der nicht nur „blass“, sondern sogar ein „bekennender Homosexueller“ sei.

Das wenig schmeichelhafte Wahlergebnis der Grünen stellt Bok jetzt dem Journalismus vor, der politisch überwiegend grün eingestellt sei. Vermutlich bezieht sich Bok dabei auf Siegfried Weischenbergs Studie „Journalismus in Deutschland“  aus dem Jahr 2005. Demnach ordnen sich alle Journalisten in allen westlichen Demokratien tendenziell links ein. Das muss ein Ende haben, fordert Bok. Dass aber die angebliche konservative Mehrheit in der Gesellschaft in der Presse nicht vorkommt, bleibt sein persönlicher Eindruck. Denn gerade die Berichterstattung zu pädophilen Bewegungen in der Entstehungszeit der Grünen, den Kosten der (letztlich schwarz-gelben) Energiewende oder der innerparteilichen Zersplitterung der SPD haben die Zeit vor der Wahl dominiert. Bei den drei noch übrigen großen überregionalen Tageszeitungen steht die eher linke „Süddeutsche“ der eher konservativen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der „Welt“ gegenüber. Welche Blätter es nun sind, die „nicht einmal bereit [sind], über Kritik an Wind- und Solarparks zu berichten“, erfährt der Leser von Boks Kommentar auch nicht.

Bok sieht sich vermutlich als einer der „Journalisten, die sich den Sinn für Zahlen und Stimmungen bewahrt haben“. Aber auch losgelöst von der aktuellen Wahl: Bedeutet eine wie auch immer geartete, reale oder wahrgenommene „öffentliche Meinung“ (ein höchst diffuser und umstrittener Begriff) überhaupt, dass der Journalismus dieser Meinung nach dem Mund berichten muss? Bedeutet ein „klarer Blick in die Wirklichkeit“, dass ein Journalist anders berichten muss, als er es nach sorgfältiger Recherche und nach bestem Gewissen getan hätte?

Welche Konsequenzen es konkret sind, die Bok von seinen Kollegen fordert, verrät er nicht. Deswegen ist auch nicht klar, wobei die „grüne Journaille“ versagt hat. Ein Wahlergebnis, das für eine einzelne Partei spektakulär, für politische Strömungen aber ausgesprochen ungewöhnlich ist, ist zudem ein schlechter Anlass für diese Forderungen. Nach Wolfgang Boks Kommentar bleibt also vor allem eins: Ratlosigkeit.

 

In den USA ist ein neues Gesetz auf dem Weg, das nominell die Rechte von Journalisten stärken soll. Dabei nutzt es aber eine enge Definition von „Journalist“, die besser auf die Zeit vor der Digitalisierung gepasst hätte. Aber auch das deutsche Zeugnisverweigerungsrecht lässt sich im Internetzeitalter unterschiedlich auslegen.

„Congress shall make no law […] abridging the freedom of speech, or of the press […]“

First Amendment to the Constitution of the United States of America

Die Verfassung der Vereinigten Staaten, wie auch das deutsche Grundgesetz, erkennen die Bedeutung der Presse für die Demokratie und die Gesellschaft an. Dafür können sich Journalisten in Deutschland auf umfassende Privilegien berufen – erschwerte Fusion von Medienunternehmen, um Meinungsmonopole zu verhindern, Auskunftspflicht von Behörden, Beschlagnahmeverbot für recherchiertes Material und Schutz vor Gericht in Form des Zeugnisverweigerungsrechts. Die Strafprozessordnung  erlaubt das Schweigen über Quellen und Informationen für Personen,

die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.

Das ist eine recht breite Definition, die sich vor allem auf die Produkte des Journalismus bezieht und weniger auf die einzelnen Personen, die daran beteiligt sind. „Journalist“ ist in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung – jeder kann sich so nennen.

In den USA allerdings haben Senatoren ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, das eine Definition liefert. Kritiker befürchten aber, dass diese Definition nicht den modernen Umständen der Medienwelt gerecht werden und so eher Schaden als Nutzen anrichten könnte.

Am Donnerstag hat der Senat einem Gesetz zugestimmt, das dem deutschen Zeugnisverweigerungsrecht ähnelt – das erste „Shield Law“ auf Bundesebene. Das größte Hindernis bei der Formulierung: der Streit darum, wer in den Genuss dieser Privilegien kommen soll. „I can’t support it if everyone who has a blog has a special privilege … or if Edward Snowden were to sit down and write this stuff, he would have a privilege. I’m not going to go there“, sagte die kalifornische Senatorin Dianne Feinstein. Geschützt sollen so nun Personen sein, die für Organisationen, die Informationen und Nachrichten verbreiten recherchieren und berichten – eine traditionelle Auffassung, die etwa Blogger kaum berücksichtigt, auch wenn Richter Ermessenspielraum haben sollen. Whistleblower haben ohnehin nichts von dem Gesetz.

In dieser Form würde das Gesetz zwar klassische Journalisten bei etablierten Medien etwas besser schützen (Zeugnisverweigerungsrechte gibt es aber bereits in 40 Staaten und dem District of Columbia), die Realitäten des neuen Medienzeitalters aber außen vor lassen, kritisiert etwa das Vice Magazine. Große Medienhäuser ließen sich einfacher von der Regierung beeinflussen als unabhängige Newsblogger.

Ohnehin würde das neue Gesetz keinen umfassenden Schutz bedeuten. Der Effekt hinge vom Fall ab: In zivilrechtlichen Verfahren müsste der Kläger beweisen, warum sein Anliegen, also etwa die Herausgabe der Informationen, schwerer wiegt als die Pressefreiheit, bei strafrechtlichen Verfahren läge die Beweislast aber schon beim Journalisten. In Fällen der „nationalen Sicherheit“ schließlich wären Journalisten kaum noch geschützt – wenn der Kläger beweisen kann, dass mit den Informationen etwa ein Terroranschlag verhindert werden könnte, kann der Richter nicht verhindern, dass die Herausgabe der Informationen angeordnet wird. Der Kongress und der Präsident müssen dem Gesetz noch zustimmen, bevor es erlassen wird.

Das deutsche Zeugnisverweigerungsrecht ist stark, aber auch hier gibt es Fälle, die für manche in rechtlichen Grauzonen liegen – gerade wenn es um die Möglichkeiten des Internets geht. Sind Medien für Äußerungen ihrer Nutzer oder Leer verantwortlich? Müssen die Medien Informationen über ihre Nutzer preisgeben, oder sind sie als Quellen geschützt? Dieses Jahr gab es mehrere Fälle, über die sich Kritiker empören: Ein Redakteur eines Bewertungsportals für Kliniken soll in Beugehaft gekommen sein, weil er Nutzerdaten nicht herausgab. In einem ähnlichen Fall hatte die Polizei bereits einen Durchsuchungsbefehl für die Redaktion der Augsburger Allgemeinen vorliegen, um wiederum an Nutzerdaten ihres Forums zu kommen (die Zeitung hatte die Daten herausgegeben, um eine Durchsuchung zu verhindern).

Es ist gut, dass Gesetzgeber die Presse schützen wollen. Da es aber kein Standesrecht, keine generelle Definition, kein Register für Journalisten gibt, müssen sie sorgfältig abwägen, für wen neue Regelungen gelten. Wer gerade jetzt in Zeiten des Umbruchs immer noch das Bild des Reporters mit Hut und Notizblock vor Augen hat, ignoriert die Realität. Nicht-professionelle Journalisten, citizen journalists, vielleicht auch Whistleblower erfüllen alle wenigstens teilweise die Aufgaben, die die Presse hat – und sollen so auch dementsprechend geschützt und anerkannt werden. Medien in der Demokratie sind kein Selbstzweck, sondern sollen an ihrem Nutzen und ihrem Beitrag zur Gesellschaft gemessen werden.

Am Sonntag habe ich im Kollegengespräch mit Moderatorin Steffi Stronczyk bei SWR1 mein „Septemberalbum“ vorgestellt – das Album eines Künstlers, das in kommerzieller oder künstlerischer Hinsicht der unübertroffene Höhepunkt der Karriere war. Gewählt habe ich Born In The U.S.A. von Bruce Springsteen, das sich wohl für viele Musikhörer als essentiell für Springsteens Image eingebrannt hat und das erfolgreichste in seiner Karriere war – die nichtsdestotrotz unbeeinträchtigt weitergeht.

Am Mainzer Hauptbahnhof ist nicht mehr allzu viel vom Trubel der letzten Wochen zu erkennen. Die Pendler fahren zur Arbeit, die Schüler zur Schule, die Reisenden in den Urlaub. Mit dem rheinland-pfälzischen Schulanfang ist der Verkehr weitgehend wiederhergestellt – zumindest zu den Hauptstoßzeiten.

Die Zugausfälle am Bahnhof haben sich innerhalb weniger Wochen von einer mittelgroßen Provinzposse zu einem bundesweiten Thema entwickelt. Das Thema hat aber auch gezeigt, wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. Die PR der Bahn selbst lief nur schleppend an, setzte aber schließlich fast alle Mittel ein. Je offensichtlicher die Bedeutung des Themas wurde, um so mehr Politiker meldeten sich zu Wort – und suchten munter Schuldige. Die Deutsche Bahn ist direkt verantwortlich für ihren Verkehr und deswegen ein klares Angriffsziel. Die Kritik wich aber schnell ab vom eigentlichen Thema und weitete sich zu einer Suche auch nach politischer Verantwortung aus.

Die Geschichte vom Bahnhof einer Landeshauptstadt zeigt, wie viele Organisationen von einem solchen Thema betroffen sein können: Mit der Bahn und ihren Sub-Konzernen das verantwortliche Eisenbahnbundesamt und damit das Bundesverkehrsministerium, also die Bundesregierung, als Eigentümer der Bund und damit wiederum die Bundesregierung, die Bundesnetzagentur, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Fahrgastverbände, die rheinland-pfälzische Landesregierung, die über Verkehrsverbände den Verkehr bestellt, Oppositionspolitiker, die Wahlkampf machen – und zu guter Letzt die Pendler, Schulkinder und Reisenden, die unmittelbar betroffen sind. Das bedeutet: Für jeden Interessenten gibt es eine große Auswahl an potenziellen Zielen für Kritik. Die vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten bedeuteten aber auch ein Informations-Hickhack, das nur schwer zu überblicken war.

In etwa geht die Geschichte so:

Am 1. August, einem Donnerstag, entgingen zwei S-Bahnen am Mainzer Hauptbahnhof nur knapp einem Zusammenstoß. Am Abend lief der Verkehr wieder an, doch dann folgte die Ankündigung der Bahn auf ihrer Website: Eine Woche lang solle abends und nachts der Verkehr weitgehend ruhen. Mit dem Vorfall habe das nichts zu tun, sagten sowohl Bahn als auch EVG. In der Ankündigung aber nannte die Bahn erstmals den Grund für die Ausfälle: Wegen eines unvorhersehbar hohen Krankenstandes in der Urlaubszeit könne sie das Stellwerk nicht ausreichend besetzen. Genaue Zahlen wurden nicht genannt – auch die Zahl der 15 Fahrdienstleiter, die im Werk arbeiten, fiel erst in der Woche darauf. Der Konzernbevollmächtigte der DB für Rheinland-Pfalz und das Saarland, Jürgen Konz, nannte am darauffolgenden Mittwoch (7. August) nur relative Zahlen: Der Krankenstand betrage über 30 Prozent.

Konz war nach Bad Kreuznach ins westliche Rheinhessen gekommen, um mit der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner über die Renovierung des Bahnhofs in ihrem Wahlkreis zu sprechen. Mainz war dabei nur Thema am Rande. Hier aber bestätigte erstmals ein Bahn-Mitarbeiter, dass es mit den Ausfällen keinesfalls nach einer Woche vorüber sei. Mindestens eine weitere Woche sei mit den Problemen zu rechnen, sagte Konz.

Klöckner nutzte den Anlass, einen Brief an Bahnchef Rüdiger Grube anzukündigen – einen von vielen, die auf seinem Schreibtisch landen sollten. Noch am selben Tag wurde das ganze Ausmaß bekannt: Bis Ende August sollten Züge ausfallen, sogar tagsüber. Die Information kam aber nicht von der Bahn, sondern vom Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Süd (ZSPNV Süd), der den Nahverkehr auf Gleisen in der Region bestellt. Die DB Netz hatte den Verband angerufen und ihn informiert.

Am nächsten Tag gab die Bahn nach fast einer Woche Unsicherheit dann die erste, kurzfristig angekündigte Pressekonferenz in einem Hotel in Mainz. Der Vorstandsvorsitzende der DB Netz, Frank Sennhenn, bestätigte hier offiziell die Angaben des ZSPNV Süd und entschuldigte sich bei den Fahrgästen. Ihm seien die Hände gebunden, denn Fahrdienstleiter bräuchten mindestens drei Monate für eine Ausbildung in einem speziellen Stellwerk – zu groß seien die lokalen Besonderheiten. Selbst weitere Ausfälle im September könne er nicht ausschließen.

Die Reaktionen folgten prompt. Gewerkschaft, Fahrgastverbände und vor allem Politiker kritisierten die Bahn harsch. Der rheinland-pfälzische Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) kündigte an, zu einem Runden Tisch einzuladen, um die Probleme zu besprechen. In der Zwischenzeit muss die Bahn hektisch an einer Übergangslösung gearbeitet haben: Nach dem Runden Tisch bei Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und dutzenden anderen Teilnehmern am Dienstag (13. August) konnte sie einen Plan vorlegen, der die Lage entschärfen soll. Ein Fahrdienstleiter war aus dem Urlaub zurückgekommen – genug, um von den angekündigten harschen Einschnitten im Verkehr zurückzurudern. Außerdem beginne die Bahn mit der Ausbildung zusätzlicher Fahrdienstleiter und -helfer. Lewentz zeigte sich enttäuscht, dass kein Vertreter der Bundesregierung an der Besprechung teilgenommen hatte.

Das Thema war aber mittlerweile wenigstens in den obersten Sphären der Deutschen Bahn angekommen. Rüdiger Grube hatte seinen Urlaub abgebrochen – und persönlich Mitarbeiter des Mainzer Stellwerks angerufen, um zu fragen, ob sie es ihm gleichtun wollen. Ausdrücklich habe er ihnen einen Tag Bedenkzeit für ihre Antwort gelassen. Und nachdem am Mittwoch in Frankfurt EVG und Personalvorstände der Bahn über mittel- und langfristige Änderungen der Personalpolitik sprachen, besuchte Grube das Stellwerk in Mainz – unangekündigt. Lediglich die „Bild“ konnte am nächsten Tag Fotos von der Stippvisite vorweisen. Am Sonntag (18. August) schließlich meldete sich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zu Wort. Er versprach, einen Teil der Dividende, die die Bahn jedes Jahr an den Bund abzutreten hat, wieder in das Netz zu investieren.

Zum Schulbeginn in Rheinland-Pfalz an diesem Montag lief der Verkehr halbwegs geregelt. An den verbliebenen Wochenenden im August soll sogar der reguläre Fahrplan gelten, ab September soll die Lage insgesamt wieder normal sein. Für die Kunden der Bahn war und ist die Episode noch ärgerlich. Für die Politik aber war und ist sie Anlass zum Wahlkampf.

Ein grober Überblick:

Lewentz (SPD) kritisierte Bundesregierung (CDU/FDP). Klöckner (CDU) kritisierte die Landesregierung (SPD/Grüne) und Peer Steinbrück (SPD) als vorherigen Finanzminister, der die Dividende der Bahn verteidigt habe – auch wenn die Dividende nicht das Problem sei. Rainer Brüderle (FDP) forderte den Börsengang der Bahn. Steinbrück forderte den Bund auf, die Dividende zu überprüfen. Renate Künast (Grüne) kritisierte die Bahn für ihre Entschädigungspolitik. Bei der Sondersitzung des rheinland-pfälzischen Innenausschusses am Montag (19. August) kritisierten sich die Fraktionen wiederum gegenseitig: SPD und Grüne forderten Klöckner auf, ihren bundesweiten Einfluss (gemeint ist wohl ihr Amt als CDU-Vizechefin) zu nutzen, bei der Lösung des Problems zu helfen. Klöckner wiederum kritisierte die Landesregierung, sie sei nicht entschieden genug vorgegangen, um eine Lösung des Problems zu fordern. Darüber hinaus solle Lewentz als Innenminister Lehren aus der Personalpolitik der Bahn ziehen – für die Polizei im Land.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schließlich ließ gewohnt abperlen: „Es geht jetzt erst mal darum, dass ausgebildetes Personal da ist und dass man daran arbeitet, diese Personaldecke so auszustatten, dass auch in Krankheits- und Urlaubsfällen nicht jedes Mal Tausende von Menschen leiden müssen“, sagte sie vergangene Woche.

Kleiner Disclaimer: Ich habe in den vergangenen Wochen für die dpa über das Thema Zugausfälle am Mainzer Hauptbahnhof geschrieben.

Franz Josef Wagner tut so, als würde er an eine bessere Welt glauben. Eine Welt, in der alle anständig und ordentlich sind, in der Verbrecher ihre gerechte Strafe bekommen (gerecht heißt dabei selten „in Einklang mit deutschen Gesetzen“) und in der junge Menschen alten Menschen über die Straße helfen.

Die kalkulierte Empörung der „Bild“ über den Song „Stress ohne Grund“ von Shindy und Bushido passt perfekt in diese Schablone. Wagner will Bushido nicht mit „Lieber“ anschreiben, denn darin steckt ja Liebe. Auch das höfliche „Sehr geehrter“ scheint ihm nicht zu passen. Also muss Bushido „böse“ sein. Wagners folgende Formulierungen sind holprig: „Was für ein Idiot Mensch sind Sie?“, „Ihr neues Video ist so eklig, wie Ratten essen“. Wie essen Ratten überhaupt? Interessant wird es dann aber doch noch: Wagner nennt Bushido „Arschloch“, „Idiot“ und „dumme Wurst“. Das passt nicht mit seiner Aufgabe als Journalist zusammen, denn auch Kolumnisten sind den journalistischen Standards verpflichtet. Herablassende Kritiken, Spott und Ablehnung, überhaupt starke Meinungen sind erlaubt und gefordert. Aber offene, simple Beleidigung?

Der Inhalt von Bushidos Zeilen steht außer Frage, aber Klaus Wowereit und Serkan Tören hätten Bushidos ziemlich offensichtliche Absichten durchschauen können. Ihre Anzeigen helfen „Bild“ für die Auflage und Bushido für die Bekanntheit. Wowereit und Tören können nur verlieren, wenn es ihnen nicht um Schmerzensgeld geht. Dafür können sie nichts, müssen aber trotzdem mit der Situation umgehen. Franz Josef Wagner nutzt diese Situation aus und schwingt sich zum Sprachrohr des Volkes auf. Er wiederholt, was die Masse denkt, aber eben auch sagt – was seine eigenen Beleidigung nur noch niveauloser erscheinen lässt. Sein Kommentar ist belanglos und unangebracht. Er trägt nichts zur Debatte bei, er analysiert nichts.

Dabei braucht es auch nicht viel Analyse. Bushido macht Promotion mit einfachsten Mitteln, und die Medien sind in einem Teufelskreis gefangen. Sie werden nicht müde, Bushido die Relevanz abzusprechen und zu empfehlen, ihn zu ignorieren, dabei tun sie genau das Gegenteil. Bushido twittert munter Link um Link zu all den Kommentaren. Seine Raps seien holprig, die Reime schlecht, der Rhythmus unbeständig, schreiben Journalisten, die sich bisher wohl kaum mit HipHop befasst haben. Das kann Bushido egal sein, denn mit ausgefeilter Technik hat er noch nie beeindrucken können. Doch wie die deutsche Medienszene funktioniert, hat er durchschaut. Keine Zeitung kann sich jetzt noch leisten, nicht über den Eklat zu berichten, nachdem die „Bild“ als erste das Sommerloch vollgestopft hat – auch wenn es überhaupt nichts Neues oder Überraschendes zu der traurigen Aufführung zu sagen gibt.

In der Moselschleife bei Ürzig soll 2017 eine riesige Brücke Eifel und Hunsrück verbinden. Das Projekt ist durchgeplant, abgesegnet und bereits im Bau – aber noch immer wollen es seine Gegner verhindern. Ihr Kampf ist wohl vergebens.

Hochmoselübergang bei Ürzig (Fotomontage). Quelle: Landesbetrieb Mobilität Trier.

Hochmoselübergang bei Ürzig (Fotomontage). Quelle: Landesbetrieb Mobilität Trier.

Dies ist die überarbeitete Version eines Artikels, den ich zusammen mit Michael Güthlein für das Abschlussprojekt dieses Sommersemesters geschrieben hatte.

Hugh Johnson steht auf einem Bergkamm mit einem Mikrofon in der Hand. Hinter ihm erstrecken sich Hänge mit unzähligen Rebstöcken voller reifer Trauben entlang der Moselschleife bei Ürzig. Keine Wolke verdeckt die Sonne dieses Spätsommerabends. Der 70-jährige Johnson mit seiner jungenhaften Frisur und einem Bauch, der von viel Genuss zeugt, ist aufgebracht. „Auf der Welt gibt es keinen Wein, der mit Mosel-Riesling vergleichbar ist. Wissen Sie, was für ein Schatz dieses Erbe ist?“, fragt er auf Englisch. Die Zuhörer applaudieren enthusiastisch, aber es ist nur eine Handvoll, die zum Ürziger Würzgarten, einem der vielen Riesling-Weinberge der Gegend, gekommen ist. Dabei ist Hugh Johnson der erfolgreichste Weinkritiker der Welt: Seine Bücher erreichen eine Gesamtauflagevon 3,5 Millionen. Johnson war im September 2009 an die Mosel gekommen, um gegen den „großen Schatten der Nutzlosigkeit“ zu protestieren: den Hochmoselübergang, eine Brücke, die auf einer Länge von 1,7 Kilometern die Eifel- mit der Hunsrückseite der Mosel verbinden soll. Die Aktivistin Sarah Washington, die seit 2008 an der Mosel wohnt, hatte Johnson zum Protest aufgerufen. „Deutschland sollte seine Vorzüge feiern und Infrastruktur nur da bauen, wo sie gebraucht wird“, sagt sie.

Seit 50 Jahren bestehen Pläne für einen Ausbau der Bundesstraße 50 (B50neu), und fast genauso lange wehren sich Anwohner, Aktivisten und Kritiker aus der ganzen Welt dagegen. Die Befürchtung: Eine Brücke über die Mosel störe das empfindliche Mikroklima in den Spitzenlagen der Weinberge, verschandele die Landschaft und schrecke Touristen von einer Gegend ab, die von Besuchern und Wein lebt. Die Anstrengungen blieben aber vergebens: 2008 erhielt das Projekt die endgültige Baugenehmigung, seit April 2009 bohren Arbeiter für die Fundamente der Brückenpfeiler. Auch die letzten Klagen gegen das Projekt waren gescheitert. Die Gegner der Brücke sind müde, aber kämpfen trotzdem weiter – obwohl sie kaum noch Chancen auf Erfolg haben.

Die B50neu umfasst insgesamt 25 Kilometer Strecke. Sie soll die A60 bei Wittlich mit der A61 bei Rheinböllen und damit die Ballungsräume in Belgien und den Niederlanden mit dem Rhein-Main-Gebiet verbinden. Zentraler Teil ist die Brücke, die die Mosel zwischen Ürzig und Zeltingen-Rachtig überqueren soll. Die Behörden hatten eine Fertigstellung 2016 geplant und kommunizieren das auch noch so. Das sei allerdings nicht mehr realistisch, sagt Hans-Michael Bartnick, stellvertretender Leiter des Landesbetriebs Mobilität (LBM) in Trier. Der LBM kümmert sich um Straßen in der Region und leitet damit auch die Planung der B50neu. Mindestens bis 2017 werde der Bau dauern. „Sie können bei einem so großen Projekt nicht von einer Punktlandung ausgehen“, sagt Bartnick.

Gemessen am Planungsvorlauf ist ein Jahr Verzögerung tatsächlich eine kurze Zeit. Angestoßen hatte das Projekt in den 1960er-Jahren, mitten im Kalten Krieg, Heinrich Holkenbrink (CDU), rheinland-pfälzischer Wirtschafts- und Verkehrsminister in den Regierungen von Helmut Kohl und Bernhard Vogel. Als Verbindung der US-Militärbasen in Bitburg und Hahn untereinander und mit den Häfen der Nordsee sollte die Brücke für einen schnelleren Transport von Truppen, Waffen und Panzern im Kriegsfall sorgen. Die Planungen begannen aber erst Mitte der 1970er-Jahre. Schon 1978 gründeten Anwohner die „Bürgerinitiative Rachtig“ und warnten: „Noch ist das Moseltal schön und still, das man durch die Brücke zerstören will.“ Der Protest war vielleicht verfrüht. Denn es dauerte bis zum Jahr 2000, bis die Planfeststellung abgeschlossen war. Damals regte sich der Protest wieder. Nicht nur die Brücke über die Mosel kritisieren die Gegner, der Bau der Straße dorthin versiegle auch den Wasserzufluss für die Weinberge der „Rieslingmeile“. Die Straße folgt über fünf Kilometer dem Steilhang voller Spitzenweinberge.

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte nach fertiger Planung gegen die einzelnen Streckenabschnitte geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gab 2003 auch einer der Klagen statt – der Abschnitt, zu dem auch die Moselbrücke gehört, führt durch ein Vogelschutzgebiet, in dem seltene Spechte leben. Auch in der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht siegten die Umweltschützer. Der LBM musste nachbessern – einen Abbruch des Projekts gab es indes nicht. 2007 klagte der BUND erneut gegen den überarbeiteten Plan, scheiterte aber. Das Projekt Hochmoselübergang erhielt im Juli 2008 das uneingeschränkte Baurecht. Die mittlerweile prognostizierten Kosten von 375 Millionen Euro übernimmt zu einem Großteil der Bund, das Land Rheinland-Pfalz beteiligt sich mit Fixkosten von 20 Millionen Euro.

Der Protest der Anwohner in der Region lag brach, bis 2008 die Mittel für die Brücke flossen. Erst Anfang des Jahres war die englische Installationskünstlerin Sarah Washington aus London nach Ürzig gezogen. Als sie dort vom geplanten Bau der Brücke hörte, suchte sie Mitstreiter, fand sie aber erst, als sich die örtliche Initiative wieder regte. Washington schloss sich „Eifel-Mosel-Hunsrück in Bewegung“ an – 2010 gab die Organisation den sperrigen Namen zugunsten von „Pro Mosel“ auf. Die Mitglieder begannen eine Kampagne, über die ab 2009 weltweit Medien, von der New York Times über den Spiegel zur BBC, berichteten. Die meisten Berichte zeugten von Unglaube, wie deutsche Amtsträger eine filigrane Kulturlandschaft mit einer unnötigen Brücke derart verschandeln könnten. Transparente, Buh-Rufe und Trillerpfeifen empfingen Ministerpräsident Kurt Beck, Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee und seinen rheinland-pfälzischen Kollegen Hendrik Hering (alle SPD) zum ersten Spatenstich 2009.

„Unser größter Erfolg war es, eine große Aufmerksamkeit in der internationalen Weinszene zu erzeugen“, sagt Sarah Washington. Sie war es auch, die Hugh Johnson für den Protest an der Moselschleife hatte gewinnen können. Neben ihm sprachen sich auch die Weinkritiker Stuart Pigott und Jancis Robinson gegen das Projekt aus, das die Wehlener Sonnenuhr, das Zeltinger Himmelreich, den Bernkasteler Doctor und viele weitere berühmte Lagen bedrohe. Das fand Anklang in den Medien. Auch Renate Künast und Joschka Fischer (beide Grüne) schlossen sich der internationalen Kritik an. Bei einem Treffen in einem chinesischen Restaurant in Berlin 2010 sicherten sich die Winzer, die Kritiker und die Politiker gegenseitig ihre Zuversicht zu. Es war der Höhepunkt der Proteste. Aber die Bagger waren schon im April 2009 angerollt. Die Arbeiten an Straße und Brücke hatten längst begonnen. Die Aktionen von Pro Mosel erlahmten wieder.

SPD, CDU und FDP in Rheinland-Pfalz hatten den Hochmoselübergang immer befürwortet. Lediglich die Grünen und die Linken waren dagegen, doch beide Parteien waren nie im Landtag vertreten. Allein die Grünen zogen 2011 in das Parlament ein – und mussten sich in den Koalitionsverhandlungen dem Willen der SPD beugen. Die Arbeiten an der Brücke gingen ungestört weiter. Jetzt sind die Fundamente der ersten Pfeiler gegossen. Auf der Hunsrückseite schweißen Arbeiter die Teile der Trasse zu einer ständig wachsenden Zunge zusammen, die hydraulische Pressen bald über die Mosel schieben werden. Auf der Eifelseite zeigt eine Lücke im Wald, wo die Brücke schließlich ankommen wird.

Georg Laska ist seit 2010 der Vorsitzende von Pro Mosel. Er klingt resigniert, wenn er über die Brücke spricht. „Eine gewisse Ermüdung ist da“, sagt er. „Dass die Bautätigkeit mittlerweile sichtbar ist, drückt natürlich auch auf die Motivation.“ Laska spricht von einem weiteren Kreis von 200 Pro Mosel-Unterstützern, die kürzlich noch einmal Hilfe erhielten: Die Bundestagsfraktion der Linken erfragte Ende Mai mit einer Kleinen Anfrage den Stand des Projekts – und den Nutzen, würde es abgebrochen. Doch die Antwort der Bundesregierung ist eindeutig. Denn das Projekt befinde sich mitten im Bau, viele Teile seien schon fertig, die Verträge mit den Baufirmen geschlossen. Verlorene Investitionen wären die einzige Folge eines Stopps, sagt die Bundesregierung. 78 Prozent der Kosten seien bereits vertraglich gebunden, bestätigt Hans-Michael Bartnick vom LBM.

Und die Politik glaubt die Menschen auf ihrer Seite. „Die Bevölkerung steht sehr geschlossen hinter dem Projekt“, hatte Hendrik Hering in einem ZDF-Interview 2009 gesagt. Georg Laska bezweifelt das. „Die Bürgerschaft war schon immer gespalten. Viele sehen in der Brücke eine Chance. Für die anderen ist das nur ein sinnloses Betonteil.“ Seine Mitstreiterin Sarah Washington betont vor allem die Menge an internationalen Brückengegnern. Als der Bernkasteler Winzer Ernst Loosen etwa 2010 von einer Reise nach Australien und Asien wiedergekommen war, hatte er gesagt: „Man ist keine zehn Minuten aus dem Flieger, schon wird man gefragt: ‚What’s going on with that fucking bridge?’“

Die internationale Aufmerksamkeit sorgte auch für neue Anstrengungen gegen die B50neu. Ernst Loosens preisgekrönte Rieslinge hatten die Amerikanerin Jessica Pierce angelockt. „Die Gegend und die Pläne dafür selbst zu sehen, hat mir die Augen geöffnet“, sagt die 31-Jährige Sommelière, die im italienischen Pollenzo an der Universität für Gastronomie studiert. Zur Vorbereitung auf ihre Masterarbeit hatte sie 2013 bei Loosen als Praktikantin angeheuert. „Die Brücke ist eine physische Verkörperung der Globalisierung“, erklärt sie, und auch sie wollte etwas tun – mit anderen Mitteln als Pro Mosel. Ihre Idee: Ein Film über die Veränderungen, die die Brücke mit sich bringt, um Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen für die Bewohner zu lenken. Pierce brauchte allerdings Kameras und Hilfe beim Schneiden. Deswegen sammelte sie auf einer Crowdfunding-Website Spenden. Sie wandte sich an Sarah Washington, die per E-Mail dazu aufrief, Pierce zu unterstützen. Für ihr Projekt wollte sie 30.000 Dollar – scheiterte jedoch. 64 Spender hatten ihr nur 4.950 Dollar versprochen, darunter auch Hugh Johnson. Er sagte: „Ich halte den Film für eine hervorragende Idee und unterstütze ihn. Ich finde, jeder sollte etwas spenden, auch wenn es nur ein Dollar ist.“ Trotzdem platzte das Projekt auf der Website. Pierce will den Film trotzdem machen. „Auf eine Art ist es ein Protest, und ich hoffe, er inspiriert andere“, sagt sie. In ihrer Heimat Oregon hatte sie Spenden für eine Kamera gesammelt, außerdem will sie sich auf Stipendien für den Film bewerben. Mindestens bis Dezember wird sie ohnehin an der Mosel bleiben, um bei der Weinernte im Herbst zu helfen. „Es wird länger dauern, als ich gehofft hatte, aber ich werde diesen Film machen“, sagt Pierce.

Mitglied von Pro Mosel ist Jessica Pierce nicht, auch wenn sie deren Sache unterstützt und respektiert, wie sie sagt. Für Hans-Michael Bartnick sind die Proteste und Klagen gegen die B50neu aber lediglich Stolpersteine in der Planung. „Das Projekt ist auf allen Ebenen, politisch, rechtlich und ökonomisch, abgesegnet“, sagt er. Der Widerstand komme nur von einer kleinen Gruppe. Auch die vom Bau unmittelbar Betroffenen seien ausreichend miteinbezogen worden, sagt Bartnick – etwa bei einem Erörterungstermin im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens im Januar 2000. „Da hatten wir in Bernkastel-Kues eine Riesenhalle gemietet, die war gähnend leer“, sagt Bartnick. „Dass die Leute innerlich gegen den Bau wären, haben wir nicht erlebt.“ Sarah Washington sieht das anders. Alle der über 2.000 Einwände von Bürgern seien kurzerhand abgewiesen worden. „Die ganze Sache war reine Formalität“, sagt sie.

Doch Pro Mosel ist jetzt matt. Die Chance ist gering, den Bau der Brücke und der Straße noch verhindern zu können, und das wissen die Mitglieder. Trotzdem bereiten sie einen weiteren Stolperstein vor. Vor dem Verwaltungsgericht Trier wollen sie gegen das Land Rheinland-Pfalz klagen, um Einblick in Akten der Baufirmen zu erhalten. Es gebe vielleicht Probleme mit der Statik, sagt Georg Laska, der Bau habe sich verzögert, es drohe eine „Kostenexplosion“. Die Firmen hatten die Einsicht zunächst abgelehnt und sich auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse berufen. Doch Fragen nach etwaigen Problemen mit der Statik der Brücke hatte die Bundesregierung bereits im Juni abgewiegelt. „Es gibt kein neues Problem mit der Statik. Die Gegner der Brücke suchen nur Gründe, kontinuierlich zu stören“, sagt auch Bartnick. Georg Laska dagegen sieht in der Klage die größte verbliebene Chance von Pro Mosel. „Viele Großprojekte wurden erst nach Jahrzehnten gestoppt. Wir werden also nicht aufgeben.“ Das Gericht hat der Klage noch nicht stattgegeben. Laska weiß nicht, wann es zu einem Prozess kommen könnte.

Die Berichte in Zeitungen auf der ganzen Welt, der Besuch von Hugh Johnson, die Unterstützung von Spitzenpolitikern– es scheint, als sei all der Protest umsonst gewesen. Zu spät hatten die Brückengegner die Kraft gefunden, sich weiter zu wehren. Die Behörden haben Tatsachen geschaffen, die den Gegnern wortwörtlich über den Kopf wachsen. Was bleibt, ist Hoffnung. „Wir werden weiter nach Möglichkeiten suchen, zu zeigen, wie verrückt es ist, die Weinkulturlandschaft der Mittelmosel in Gefahr zu bringen“, sagt Sarah Washington. Vielleicht gebe es ja auch einen Sinneswandel nach der nächsten Wahl. „Es ist unwahrscheinlich, aber es sind schon seltsamere Dinge passiert.“ Konkrete Aktionen haben die beiden gerade nicht geplant.